Выбрать главу

Bob blickt auf, sieht den Governor, die Arme vor der Brust verschränkt. Er steht breitbeinig da und nimmt alles mit seinen cleveren, düsteren Augen auf. Schüchtern gesellt sich Bob zu ihm an der Tür.

»Die wird schon wieder«, flüstert Bob dem Governor zu. »Aber das geht ihr gerade ganz schön an die Nieren.«

»Und wer kann ihr das schon übel nehmen?«, gibt der Governor zu bedenken. »Einfach so den Beschützer und Ernährer zu verlieren ist schon kacke.« Er kaut einen Augenblick auf der Innenseite der Wange, überlegt. »Lasst sie in Ruhe. Wir räumen später auf.« Dann grübelt er weiter, ohne die Augen von dem Toten neben dem Bürgersteig zu nehmen. Endlich ruft er: »Gabe! Komm mal her.«

Der untersetzte Mann im Rollkragenpulli und dem Bürstenhaarschnitt tut, wie ihm geheißen.

Leise befiehlt der Governor: »Ich will, dass du das Arschloch von Metzger aufweckst und in eine Zelle verfrachtest. Am besten zusammen mit den Wachen.«

Gabe nickt, dreht sich um und verschwindet wieder im Lebensmittellager.

»Bruce!«, ruft der Governor und meint damit seine Nummer eins. Der schwarze Mann mit dem rasierten Kopf und Kevlar-Weste tritt mit einer AK-47 an der Hüfte zu ihm.

»Yeah, Boss?«

»Ich will, dass du alle zusammentrommelst und sie zum Marktplatz bringst.«

Der schwarze Mann neigt den Kopf ungläubig zur Seite. »Wie, alle …«

»Du hast schon richtig gehört – alle.« Der Governor zwinkert ihm zu. »Wir werden heute Nacht ein kleines Meeting abhalten.«

»Wir leben in einer brutalen Zeit, sind ständig unter viel Druck – und das in jeder Minute unseres Daseins.«

Der Governor brüllt in ein Megafon, das Martinez in einem verlassenen Lager gefunden hat. Seine rauchige, kehlige, heisere Stimme dröhnt über die kahlen Bäume und brennenden Fackeln. Die Sonne ist untergegangen, und die gesamte Bevölkerung von Woodbury ist jetzt in der Dunkelheit vor dem Pavillon auf dem Marktplatz versammelt. Der Governor steht auf den steinernen Stufen des Rathauses und richtet das Wort an seine Bürger in der unverkennbaren Tonlage eines Politikers und mit den Augen eines Wilden.

»Ich verstehe den Stress, den ihr alle verspürt«, fährt er fort und geht die Stufen auf und ab, genießt jeden Augenblick seines Auftritts. Seine Stimme hallt über den mit Gebäuden umsäumten Platz, wird von den mit Brettern beschlagenen Läden zurückgeworfen. »Jeder Einzelne von uns hat in den letzten Wochen und Monaten trauern müssen … Jeder hat jemanden verloren, der ihm nahe stand.«

Er hält inne, lässt seine Worte wirken, schaut sich um und sieht viele zu Boden gerichtete Gesichter, die Augen schimmern im Licht der Fackeln. Er spürt den Schmerz förmlich, der seine Zuhörer erdrückt. Innerlich lächelt er, wartet auf den richtigen Augenblick, um fortzufahren.

»Was heute vor dem Lebensmittellager passiert ist, war völlig unnötig. Ihr lebt mit Waffen … das verstehe ich. Aber es war trotzdem unnötig. Es war ein Symptom von etwas anderem, einer Krankheit, und ich werde mich um diese Krankheit kümmern … Ich werde sie heilen!«

Er blickt gen Osten, wo Lilly noch immer auf dem Bürgersteig neben dem zugedeckten Leichnam des Riesen sitzt. Bob kniet neben ihr, streicht ihr mit der Hand über den Rücken und starrt auf das blutige Laken, unter dem sich die körperliche Hülle von Josh Lee Hamilton befindet.

Der Governor wendet sich erneut seinem Publikum zu. »Wir müssen uns impfen … Und damit fangen wir gleich heute Nacht an. Von jetzt ab wird hier ein anderer Wind wehen, das verspreche ich euch … Es wird neue Regeln geben.«

Er geht erneut die Stufen auf und ab und starrt finster in die Menschenmenge.

»Was uns von den Monstern da draußen unterscheidet, nennt man Zivilisation!« Er brüllt das Wort Zivilisation so laut, dass es von den Dächern hallt. »Ordnung! Gesetze! Schon die alten Griechen wussten, wie das geht! Die haben Ahnung gehabt, dem Baby sogar einen Namen gegeben. Sie nannten es ›Katharsis‹.«

Einige Gesichter schauen ihn jetzt nervös, aber auch voller Erwartung an.

»Seht ihr die Rennstrecke da drüben?«, bellt er die rhetorische Frage ins Megafon. »Seht euch das Stadion gut an!«

Er dreht sich um und gibt Martinez ein Zeichen, der im Schatten des Pavillons steht und auf den Knopf seines Walkie-Talkies drückt und einen Befehl hineinspricht. Jetzt kommt der Teil, auf dessen genaues Timing der Governor gepocht hat.

»Von heute Abend an«, fährt der Governor fort und schaut zu, wie viele Köpfe sich jetzt zu dem riesigen, UFO-ähnlichen Gebäude im Westen drehen. Die Silhouette des Stadions ragt in den Sternenhimmel. »Ab sofort! Das ist unser neues griechisches Theater!«

Mit Glanz und Gloria eines spektakulären Feuerwerks gehen auf einmal die riesigen Flutlichter an, eines nach dem anderen. Das Geräusch kann man bis auf den Marktplatz hören. Sie senden ihre silbernen Lichtkegel in die Arena hinab. Das Spektakel erntet einen allgemein hörbaren Luftzug, ein paar Leute beginnen sogar zu klatschen.

»Der Eintritt ist frei!« Der Governor spürt, wie der Energiepegel der Masse steigt. Die Atmosphäre beginnt förmlich zu knistern. Jetzt stellt er sich in Pose. »Wollt ihr im Ring kämpfen? Kein Problem! Ihr müsst nur die Regeln brechen, und schon seid ihr dabei! Einfach nur die Regeln brechen!«

Er blickt in die Menge, während er auf und ab stolziert, fordert sie mit seinem Blick heraus. Einige schauen einander an, andere nicken, wieder andere machen den Eindruck, als ob sie ihn für den Erlöser halten.

»Jeder, der gegen die Regeln verstößt, muss kämpfen! Ganz einfach. Und wenn ihr nicht wisst, wie die Regeln lauten, könnt ihr fragen, das Scheißgesetzbuch lesen, in der Bibel nachschauen. ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.‹ Die goldene Regel und so weiter. Aber hört mir gut zu: Sobald ihr auch nur ein bisschen zu viel Scheiße baut … steht ihr im Ring.«

Ein paar Männer brüllen vor Begeisterung auf, und der Governor nimmt dies als Anlass, die Flammen noch weiter anzufachen. »Von jetzt an: Wenn ihr jemanden ficken wollt – wenn ihr gegen die Regeln verstoßt, dann kämpft ihr!«

Immer mehr Menschen stimmen in das Gegröle ein, das sich jetzt bis zum Himmel erhebt.

»Wenn ihr von jemandem stehlt, dann kämpft ihr!«

Mehr Johlen, jetzt ein Chor redlichen Zorns.

»Wenn ihr die Alte vom Nachbarn fickt, dann kämpft ihr!«

Noch mehr Brüllen, die ganze Angst und Frustration kommt aus ihnen heraus.

»Ihr tötet jemanden? Ihr steht im Ring!«

Das Jubeln schlägt um, und wütende Rufe hallen jetzt durch die Luft.

»Wenn ihr euch irgendwie Ärger mit jemandem einhandelt – insbesondere, wenn jemand dabei umkommt –, dann kämpft ihr in der Arena. Vor Gott. Bis zum Tod.«

Die Schreie legen sich und machen einer Mischung aus Beifall und Brüllen Platz. Der Governor wartet, bis auch diese Welle der Begeisterung abebbt.

»Es fängt heute Abend an«, verkündet er, kaum lauter als ein Flüstern, so dass das Megafon knackst. »Es fängt mit diesem Verrückten an, dem Typen, der das Lebensmittellager unter sich hatte – Sam der Metzger. Er glaubt, er ist Richter, Geschworene und Henker in einem.«

Plötzlich deutet der Governor zur Arena und ruft dann mit einer Organ, auf das ein Massenprediger stolz gewesen wäre: »Wer möchte Vergeltung sehen? WER WILL RECHT UND ORDNUNG?«

Die Menge flippt aus.

Lilly blickt auf und sieht, wie plötzlich an die vierzig Menschen sich vom Marktplatz wegbewegen. Die Menge zieht laut durch die Straßen – wie eine gigantische menschliche Amöbe, die Fäuste gen Himmel gestreckt, grölend und jaulend. Sie wälzt sich in Richtung der Arena, die im Halbschatten des grellen, silbernen Lichts in zweihundert Metern Entfernung im Westen liegt. Lilly wird schon beim Anblick der Meute schlecht.