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Sie wendet den Kopf ab und stammelt: »Bob, du … du kannst dich jetzt um die Leiche kümmern.«

Er steht noch immer neben ihr, beugt sich zu ihr hinab und legt die Hand sanft auf ihre Schulter. »Bei uns ist er gut aufgehoben, Kleines.«

Lilly starrt ins Nichts. »Sag Stevens Bescheid, dass ich mich um die Beerdigung kümmere.«

»Wird gemacht.«

»Wir bringen ihn morgen unter die Erde.«

»Hört sich gut an, meine Liebe.«

Lilly richtet den Blick wieder auf den Mob, der sich jetzt in die Arena drängt. Einen fürchterlichen Augenblick lang kommen ihr Szenen aus alten Horrorfilmen in den Sinn, in denen wütende Bürger mit Fackeln und Heugabeln Frankensteins Schloss stürmen, um das Monster zu lynchen.

Sie zuckt zusammen. Ihr wird klar, dass sie alle zu Monstern geworden sind – jeder Einzelne – inklusive Lilly und Bob. Genauso wie ganz Woodbury.

Dreizehn

Bob Stookey erliegt seiner Neugier. Nachdem er Lilly zurück in ihre Wohnung über der Chemischen Reinigung gebracht und ihr zehn Milliliter Schlafmittel gespritzt hat, schaut er bei Stevens vorbei. Sie schaffen Joshs Leichnam an seinen vorübergehenden Aufbewahrungsort in der behelfsmäßigen Leichenhalle unter der Arena. Danach schleppt Bob sich zurück zu seinem Camper, schnappt sich eine neue Flasche Whiskey und kehrt zur Arena zurück.

Als er am südlichen Eingang ankommt, schwellen die Rufe und das Getöse der Menge an und ab wie Wellen, die am Ufer brechen. Der Lärm wird durch die metallenen Streben und das Dach nur noch verstärkt. Bob kriecht durch den dunklen, feuchten Tunnel in Richtung Licht. Kurz bevor er ins Freie kommt, hält er inne, holt die Whiskeyflasche hervor und nimmt einen tiefen Schluck, um seine Nerven zu beruhigen. Der Whiskey brennt im Rachen, und seine Augen werden ganz wässrig.

Dann tritt er in die Arena.

Zuerst kann er nichts richtig erkennen, alles ist unscharf. In der Mitte sieht er verschwommene Gestalten hinter einem hohen Zaun, der sie von den Zuschauern trennt. Die Ränge zu seiner Linken und Rechten sind so gut wie leer. Die meisten Leute sitzen ganz oben, klatschen, johlen und strecken die Hälse, um so viel wie möglich von dem Geschehen mitzukriegen. Das grelle Flutlicht brennt in Bobs Augen, und er muss blinzeln. Die Luft riecht nach verbranntem Gummi und Benzin, und Bob schielt in Richtung Rennstrecke, um zu sehen, was los ist.

Er geht zum Zaun und lugt durch den Maschendraht.

In der Mitte stehen sich zwei große Männer gegenüber. Sam der Metzger, halb nackt in seiner mit Blut bespritzten Sporthose – mit Hühnerbrust und über den Gürtel hängender Wampe. Er holt mit einem extra präparierten hölzernen Stock aus und versucht, seinen Gegner damit zu treffen. Stinson, die große, teigige Wache mittleren Alters, trägt eine Tarnhose, die von verschiedensten Körperflüssigkeiten ganz dunkel geworden ist. Er stolpert, weicht aber dem Prügel aus. In seiner schmierigen Hand hält er eine fünfzig Zentimeter lange Machete. Jetzt erwischt der Metzger Stinsons Gesicht mit dem Stock, in dessen einer Seite ein Haufen rostiger Nägel steckt, verpasst ihm damit tiefe Fleischwunden.

Stinson fällt hintenüber, und tiefdunkles Blut und rosafarbener Speichel fliegen durch die Luft.

Die Menge brüllt empört, als Stinson über die eigenen Beine stolpert. Staub fliegt in die Lichtkegel der Flutlichter auf, als er auf dem Boden aufkommt. Die Machete gleitet ihm aus den Fingern, landet unerreichbar im Sand. Der Metzger stürzt sich mit seiner Keule auf ihn. Nägel brechen durch Stinsons Haut, Hals, Halsschlagader und linke Brust, ehe er es schafft, beiseite zu rollen. Die Menge tobt.

Bob wendet sich ab. Er fühlt sich nicht gut, ihm ist schlecht und schwindlig. Also nimmt er einen weiteren riesigen Schluck Whiskey. Der Alkohol lindert sein Entsetzen, das Brennen in der Kehle lenkt ihn ab. Dann setzt er erneut an. Und noch einmal. Endlich hat er genug, fasst genügend Mut, um sich das Gemetzel in der Mitte wieder anzuschauen. Der Metzger drischt auf Stinson ein, dass das Blut spritzt – so schwarz wie Teer im Flutlicht – und das braune Gras in der Arena wird immer dunkler.

Auf der breiten Sandbahn, die den Zaun umgibt, stehen an jedem Ausgang bewaffnete Wachen, die dem Abschlachten eifrig zuschauen. Sie tragen ihre Maschinengewehre stets schussbereit an den Hüften. Bob nimmt einen weiteren Schluck und wendet sich von dem grässlichen Schauspiel ab, konzentriert sich stattdessen auf die oberen Ränge. Die riesige Leinwand bleibt dunkel. Sie wird nicht mit Strom versorgt, funktioniert wahrscheinlich auch gar nicht mehr. Die Glasscheiben der VIP-Boxen sind alle dunkel, die Boxen leer. Alle bis auf eine.

Der Governor und Martinez stehen in der mittleren Box und schauen sich das Spektakel mit undurchdringlicher Miene an.

Bob setzt erneut an, trinkt, bis er die halbe Flasche intus hat. Er weiß, dass er keinen in der Menge direkt anblicken will. Also mustert er die Gesichter der Bewohner Woodburys im Augenwinkel. Alle sind da, alt und jung, Mann und Weib, und jeder Einzelne ist von dem blutigen Gemetzel in den Bann gezogen. Viele von ihnen machen Fratzen, spiegeln die Manie wieder, die hier herrscht. Einige Schaulustige sind aufgestanden und wirbeln mit den Händen in der Luft herum, als ob sie zu Jesus gefunden hätten.

In der Mitte verpasst der Metzger Stinson einen letzten Hieb in die Nieren. Blut quillt, sprudelt hervor, und Stinson beginnt zu zucken, ist dem Todeskampf nahe. Keuchend, vor psychotischer Freude sabbernd, hebt der Metzger die Keule und wendet sich der Menge zu, welche mit begeisterten Rufen und Brüllen antwortet.

Angeekelt, benommen und beinahe taub vor Entsetzen nimmt Bob Stookey noch einen Schluck Whiskey und senkt dann den Kopf zu Boden.

»ICH GLAUBE, WIR HABEN EINEN SIEGER!«

Die Stimme schallt durch das Stadion, wird von schrillem Feedback und elektronischem Knacken begleitet. Bob schaut zum Governor hoch, der sich jetzt hingesetzt hat und in ein Mikrofon spricht. Selbst aus dieser großen Entfernung kann Bob die bösartige Befriedigung des Mannes sehen, die in dessen Augen leuchtet. Bob wendet sich wieder ab.

»ABER NEIN! FREUEN WIR UNS NICHT ZU FRÜH! MEINE DAMEN UND HERREN, ICH GLAUBE, WIR ERLEBEN GERADE EIN COMEBACK!«

Bob hebt erneut den Kopf.

In der Mitte hat sich der große, teigige Mann, der gerade noch leblos auf dem Boden lag, wieder erhoben. Er torkelt zur Machete, ergreift sie mit seiner blutigen Hand und wackelt unstet auf den Metzger zu, der ihm den Rücken zugedreht hat. Stinson stürzt sich mit jedem ihm verbleibenden Quäntchen Kraft auf seinen Kontrahenten. Der Metzger dreht sich um und versucht, sein Gesicht zu schützen, als die Machete auf ihn zuschnellt.

Die Klinge bohrt sich tief in den Hals – so tief, dass sie stecken bleibt.

Der Metzger kommt ins Wanken, fällt auf den Rücken. Die Machete steckt noch immer in seinem Hals. Stinson wirft sich voller Wut auf ihn, der Blutverlust lässt ihn wie betrunken durch die Gegend taumeln, beinahe so wie ein Zombie. Die Menge grölt vor Aufregung. Stinson zieht die Machete aus Sams Hals, um erneut auszuholen, diesmal gezielt und mit aller Kraft, und die Wucht seines Hiebs durchtrennt den Hals zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Oder sonst wo, egal.

Das Publikum kann kaum noch an sich halten, als der herrenlose Kopf des Metzgers über den Rasen rollt.

Bob wendet sich ab. Er fällt auf die Knie, hält sich mit einer Hand am Zaun fest. Sein Magen verkrampft sich, und er übergibt sich auf dem Betonboden. Die Flasche gleitet ihm aus den Händen, zerbricht aber nicht. Bob kotzt seinen gesamten Mageninhalt aus. Er würgt und würgt, und immer wieder kommt etwas aus seinem Mund. Der Lärm der Menschenmenge tritt in den Hintergrund. Er kann nichts mehr erkennen vor lauter Tränen in den Augen. Er kotzt und kotzt, bis nur noch Gallensaft übrig bleibt, der ihm in langen Fäden aus dem Mund hängt. Er fällt mit dem Rücken zuerst gegen eine Bande, tastet nach der Flasche, findet sie und leert den Rest des Inhalts.