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Der Platz zeigt eine Reihe weiterer frischer Gräber auf. Einige sind mit handgearbeiteten Kreuzen oder sorgfältig aufgeschichteten, polierten Steinen versehen. Die Erde auf Joshs Grab ragt einen guten Meter über den Boden. Sie haben seinen Leichnam in die Überreste eines Pianos stecken müssen, das Deets in einem Lager gefunden hat. Es war der einzige Container, der groß genug für den toten Giganten war, und Bob und Deets haben viele Stunden damit verbracht, das Loch in den gefrorenen Boden zu graben.

»Hoffen wir also, dass es Josh gut geht, denn …« Lillys Stimme will nicht mehr. Sie kriegt keinen Ton mehr heraus. Sie schließt die Augen, und Tränen kullern ihr die Wangen hinab. Bob geht auf sie zu, legt einen Arm um sie. Lilly schluchzt, erbebt am ganzen Körper. Sie kann nicht weitermachen.

Bob ergreift das Wort: »Im Namen des Vaters … des Sohnes … und des Heiligen Geistes. Amen.« Die anderen wiederholen die letzten Worte. Niemand macht Anstalten, das Grab verlassen zu wollen. Der Wind fegt über den Spielplatz und weht feinen, trockenen Schnee über den Boden und in ihre Gesichter.

Bob versucht, Lilly behutsam vom Grab zu drängen. »Los, Kleines … Ab in die Wärme mit dir.«

Lilly wehrt sich kaum, schlurft neben Bob her, als die anderen sich still mit gesenkten Köpfen und niedergeschlagenen Mienen abwenden. Einen Moment lang hat es den Anschein, als ob Megan hinter Lilly her eilen, ihr vielleicht ein paar tröstende Worte sagen will. Sie trägt eine abgewetzte Lederjacke, die ihr wohl irgendein Freier im drogengeschwängerten Liebesrausch überlassen hat. Aber Megan mit ihren Korkenzieherlocken und grünen Augen seufzt nur gequält und hält Abstand.

Stevens nickt Alice zu; die beiden biegen in die Seitenstraße in Richtung Arena ein, und jeder schlägt den Kragen gegen den Wind nach oben. Sie haben den halben Weg hinter sich gebracht, weit genug, um von den anderen nicht mehr gehört zu werden, als Alice Stevens fragt: »Haben Sie es auch gerochen?«

Er nickt. »Jawohl … Der Wind … Es kommt von Norden her.«

Alice seufzt und schüttelt den Kopf. »Ich wusste doch, dass diese Idioten eine ganze Horde mit ihrem Lärm anlocken würden. Sollten wir jemandem Bescheid geben?«

»Martinez weiß es schon.« Der Arzt deutet auf den Wachturm hinter ihnen. »Die rasseln schon mit den Säbeln. Möge Gott uns helfen.«

Alice stößt erneut einen Seufzer aus. »Wir werden in den nächsten Tagen wohl einiges zu tun haben, nicht wahr?«

»Die Wache, Stinson, hat gestern Abend unsere halben Blutreserven aufgebraucht. Wir brauchen neue Spender.«

»Sie können mich nehmen«, bietet Alice an.

»Wirklich sehr nett, aber wir haben genug A positiv, um die Wände damit zu streichen. Und wenn ich tatsächlich noch mehr von dir abzapfe, dann kannst du dich gleich neben den Riesen da legen.«

»Was brauchen wir dann? 0 positiv?«

Der Arzt zuckt die Achseln. »Das ist, wie wenn man eine Stecknadel in einem Heuhaufen sucht.«

»Ich habe Lilly noch nicht gecheckt – und den anderen Jungen auch noch nicht. Wie hieß er noch mal?«

»Scott? Der Junkie?«

»Genau.«

Der Arzt schüttelt den Kopf. »Der hat sich die letzten Tage überhaupt nicht mehr blicken lassen.«

»Ach, das wird schon.«

Der Arzt schüttelt noch immer den Kopf, die Hände tief in die Taschen gesteckt, während er forschen Schrittes auf die Arena zuläuft. »Ja, ja … Man kann nie wissen.«

Lilly, zurück in ihrer kleinen Wohnung im ersten Stock über der mit Brettern verschlagenen Chemischen Reinigung, fühlt sich wie betäubt. Sie ist Bob dankbar, dass er noch ein Weilchen bei ihr geblieben ist. Er kocht ihr Abendessen – zwar genau das, was er immer macht, nämlich getrocknetes Rindfleischgulasch mit Gewürzen aus der Tüte –, und sie teilen sich genug von Bobs Single-Malt-Scotch gemischt mit Schlafmittel, dass Lillys Gedanken nicht mehr ganz so unablässig mit ihr durchgehen.

Die Geräusche von draußen werden jetzt immer leiser, scheinen sich weiter zu entfernen. Bob aber ist noch immer sehr nervös, als er Lilly zu Bett bringt. Irgendetwas passiert da draußen auf der Straße, wahrscheinlich, nein, mit ziemlicher Sicherheit ist es nichts Gutes. Aber Lilly kann sich nicht mehr darauf konzentrieren, hört die Stimmen, den Aufruhr, die Schritte kaum.

Es kommt ihr vor, als ob sie in der Luft schwebte, und kaum hat sie den Kopf auf das Kissen gelegt, gleitet sie in einen Dämmerzustand. Die nackten Böden und mit Laken behangenen Fenster der Wohnung verschwinden hinter einer weißen Wand. Aber ehe sie in einen traumlosen Schlaf fällt, sieht sie Bobs wettergegerbtes Gesicht über ihr.

»Warum hauen wir nicht zusammen ab, Bob?«

Die Frage hängt für eine Weile im Raum. Dann zuckt er die Achseln und antwortet: »Hab mir noch keine Gedanken darüber gemacht.«

»Hier gibt es nichts mehr für uns.«

Er wendet den Blick ab. »Der Governor meint, dass sich bald alles zum Besseren wenden wird.«

»Was läuft eigentlich zwischen euch beiden?«

»Was soll das denn?«

»Er hat dich in der Hand, Bob.«

»Stimmt doch gar nicht.«

»Ich verstehe es einfach nicht.« Lilly dämmert vor sich hin. Sie kann den alten Mann auf der Bettkante kaum noch ausmachen. »Der bringt einem nur Scherereien, Bob.«

»Er versucht doch nur …«

Lilly kriegt das Klopfen an der Tür kaum mit. Sie versucht, die Augen offen zu halten. Bob geht hin, und Lilly bemüht sich, lange genug wach zu bleiben, um zu sehen, wer sie besucht. »Bob? … Wer ist es denn …?«

Schritte. Dann erscheinen zwei Gestalten über ihrem Bett, wie Geister. Sie tut ihr Bestes, um sie auszumachen, aber ihre Augenlider sind so schwer.

Bob steht neben einem ausgemergelten, dunkeläugigen Mann mit kohlschwarzen Haaren und einem penibel geschnittenen Fu-Manchu-Schnurrbart. Er lächelt, als Lilly die Augen zumacht.

»Schlaf gut«, wünscht ihr der Governor. »Du hast einen langen Tag gehabt.«

Die Verhaltensmuster der Zombies hören nicht auf, die Grübler und Denker von Woodbury zu faszinieren. Einige glauben, dass sich die Untoten wie Bienen in einem Bienenstock verhalten und von etwas viel Komplexerem als bloßem Hunger angetrieben werden. Es gibt Theorien, die behaupten, dass sie sogar von unsichtbaren, pheromonähnlichen Signalen gesteuert werden und ihr Verhalten der chemischen Substanz ihrer Beute anpassen. Andere wiederum sind der Meinung, dass es nichts mit bloßen Sinnesorganen wie den Augen oder der Nase zu tun hat, sondern dass es viel tiefer geht und sie ihr Verlangen überhaupt nicht steuern können. Keine einzelne Mutmaßung hat sich bisher als besser als die anderen erwiesen, aber die meisten Bewohner Woodburys sind sich einer Sache sicher, was das Verhalten der Untoten angeht: Man sollte vor jeder Herde – ganz gleich wie groß – Angst haben und muss sie mit der größtmöglichen Vorsicht behandeln. Sie versammeln sich wie aus dem Nichts und haben fatale Auswirkungen. Eine Herde, selbst eine kleine, wie die paar Zombies, die sich jetzt etwas nördlich von Woodbury versammeln und von dem Geschrei und Getöse gestern Abend in der Arena angelockt wurden, kann einen Truck umwerfen, Zaunpfosten wie Streichhölzer zerknicken oder selbst die höchsten Mauern zum Einsturz bringen.

Die letzten vierundzwanzig Stunden hat Martinez damit verbracht, seine Truppen zusammenzutrommeln und sich auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Wachen auf den nordöstlichen und -westlichen Wachtürmen haben die Zombies keine Minute aus den Augen gelassen, die sich erst circa eineinhalb Kilometer vor Woodbury zu einer Herde zusammengefügt haben. Weiterhin haben sie berichtet, dass aus den anfangs noch circa zehn Zombies mittlerweile fünfzig geworden sind, und dass sie im Zickzack durch die Bäume entlang der Jones Mill Road taumeln und dabei etwa zweihundert Meter die Stunde zurücklegen. Und es werden immer mehr. Sie konnten auch beobachten, dass eine Herde immer langsamer als ein einzelner Untoter ist. Diese Herde hier hat fünfzehn Stunden gebraucht, um sich bis auf vierhundert Meter zu nähern.