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Bob wird von einer Flutwelle von Emotionen heimgesucht, gibt sich einem Seufzer nach dem anderen hin.

Er hält Megan eng an sich, sucht nach den richtigen Worten. Sein Kopf schwirrt vor lauter widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits ekelt ihn ihre Geschichte von den abgehackten Köpfen und Scott Moons geschändetem Leichnam an. Zudem kommt ihm die Frage in den Sinn, was sie überhaupt beim Governor zu suchen hatte. Aber Bob überkommt auch ein Gefühl des unerwiderten Verlangens. Die Nähe ihrer Lippen, die Wärme ihres Schlüsselbeins, der Glanz ihrer Locken, die ihr Kinn streifen – all das benebelt Bob schneller und stärker, als eine ganze Kiste zwölf Jahre alten Bourbons. Er kämpft gegen das Verlangen an, sie auf die Stirn zu küssen.

»Das wird schon wieder«, flüstert er ihr sanft ins Ohr. »Wir machen das schon.«

»Oh, Bob …« Ihre Stimme klingt benommen, vielleicht ist sie noch high. »Bob …«

»Alles wird gut«, wiederholt er, fährt ihr über die Haare mit seiner schmierigen, knorrigen Hand.

Sie reckt den Hals in seine Richtung und küsst ihn auf das unrasierte, grauhaarige Kinn.

Bob schließt die Augen, und eine Welle des Begehrens schwappt über ihn hinweg.

Sie verbringen die Nacht zusammen. Zuerst versetzt Bob der Gedanke in Panik, dass er sich eine so lange Zeit in Megans unmittelbarer Nähe aufhalten wird. Bob hat seit elf Jahren keinen Sex mehr gehabt, nicht seitdem er das letzte Mal mit Brenda, seiner verstorbenen Frau, zusammen gewesen war. Jahrzehntelanger Alkoholmissbrauch hat Bobs Manneskraft mehr als nur angeschlagen. Aber das Verlangen glüht noch immer in ihm wie ein schwelendes Stück Kohle. Er will sie so sehr, dass sein Hals rau wird wie Sandpapier und ihm heiße Schauer den Rücken rauf und runter laufen.

Aber die beiden schlafen nur ruhelos ineinander verschlungen, liegen unter den vollgeschwitzten Decken im Doppelbett im hinteren Zimmer. Bob ist erleichtert, dass sie nicht einmal annähernd dazu kommen, Sex zu haben.

Während der gesamten Nacht schweben in Bobs fiebrigen Gedanken halb geformte Bilder herum, wie sie auf einer einsamen Insel umgeben vom zombiesicheren Meer miteinander schlafen. Allerdings wird diese Vorstellung immer wieder von der harschen Realität der kleinen Wohnung unterbrochen, in der sie sich befinden. Bob wundert sich nicht schlecht über die unglaubliche Tatsache, dass er Megans unregelmäßiges Atmen an seiner Seite hört, die Wärme ihrer Hüften an seinem Bauch spürt, Strähnen ihrer Haare sein Gesicht kitzeln, ihr moschusartiger, süßer Geruch seine Sinne betört. Merkwürdigerweise fühlt er sich zum ersten Mal, seitdem die Plage ausgebrochen ist, wieder als ganzer Mensch. Er verspürt einen beinahe wahnwitzigen, alles belebenden Schimmer der Hoffnung. Die verstörenden Untertöne des Verdachts und gemischter Emotionen, was den Governor angeht, schmelzen in dem dunklen Loch des Schlafzimmers dahin, und ein Gefühl des Friedens, wie kurz auch immer, schwappt über Bob Stookey hinweg und lullt ihn in einen tiefen Schlaf.

Kurz nach Morgengrauen wird er von einem alles durchdringenden Schrei aufgeweckt.

Zuerst glaubt er, er sei noch am Träumen. Der Schrei stammt von draußen, und Bob nimmt ihn als ein geisterhaftes Echo wahr, als ob gerade das Ende eines Albtraums sein waches Bewusstsein gestreift hat. In seinem noch schlaftrunkenen Zustand streckt er den Arm nach Megan aus, aber sie ist nicht mehr da. Die Decken sind am Fußende zusammengeknüllt. Megan ist verschwunden. Er setzt sich wie vom Blitz getroffen auf.

»Megan? Schätzchen?«

Er steht auf und geht barfuß zur Tür, spürt nicht die Kälte des Bodens. Dann erneut ein Schrei, der durch die Winterwinde an sein Ohr dringt. Er bemerkt nicht den umgestoßenen Stuhl in der Küche, die aufgerissenen Schubladen, die offenen Schranktüren – alles Anzeichen, dass jemand sein Hab und Gut inspiziert hat.

»Megan?«

Er geht weiter, durch die Tür, stolpert auf den Treppenabsatz im ersten Stock und blinzelt in das harsche Licht des bedeckten Winterhimmels, spürt den eisigen Wind in seinem Gesicht.

»MEGAN!!«

Zuerst versteht er den Tumult nicht, der unten auf der Straße herrscht. Er sieht Leute auf den Treppen, auf der Straße und entlang des Parkplatzes bei der Post – insgesamt vielleicht ein Dutzend –, und sie deuten alle auf Bob oder vielleicht auf etwas auf dem Dach. Schwer zu sagen. Mit wild pochendem Herzen rennt Bob die Treppe hinunter. Er bemerkt den Strick nicht, der um das Geländer geknotet ist, bis er auf der Straße steht.

Bob dreht sich um und erstarrt. Sein Körper wird zu Granit, eiskalt. »O Gott, nein«, stammelt er und blickt auf den leblosen Körper, der neben ihm baumelt, vom Wind hin und her geschaukelt wird. »O nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein …«

Megan hängt mit einer improvisierten Schlinge ums Genick vom Treppenabsatz. Ihr Gesicht ist farblos und bleich wie altes Porzellan.

Lilly Caul hört den Aufruhr von ihrem Fenster über der Chemischen Reinigung und wuchtet sich aus dem Bett, um den Vorhang aufzuziehen. Vor den Hauseingängen haben sich Trauben von Leuten versammelt und deuten in Richtung Post. Ihre Mienen lassen nichts Gutes ahnen, und sie flüstern hinter vorgehaltener Hand. Lilly weiß, dass etwas Fürchterliches passiert ist. Als sie den Governor erspäht, der raschen Schrittes den Bürgersteig entlangkommt, wirft sie sich ihre Klamotten über. Hinter dem Mann mit dem langen Mantel eilen Gabe und Bruce her, versuchen, Schritt zu halten, die geladenen Maschinengewehre schussbereit.

Sie braucht keine drei Minuten, um fertig angezogen die Treppe hinunterzulaufen, eine Gasse zwischen zwei Gebäuden hindurch zu eilen und die zwei Häuserblocks zur Post zurückzulegen.

Am Himmel hängen bedrohliche Wolken, und der Wind bringt Schneeregen mit sich. Als Lilly die Menge erblickt, die sich um Bobs Treppe versammelt hat, ist ihr bewusst, dass sie dem Nachspiel von etwas Schrecklichem beiwohnt. Es ist in den Gesichtern der Anwesenden geschrieben, und die Art, mit der der Governor und Bob sich etwas abseits unterhalten – jeder der beiden starrt zu Boden, die Mienen zu finsteren Grimassen verzogen, voller Besorgnis und unerbittlicher Entschlossenheit.

Mitten im Kreis der Schaulustigen knien Gabe und Bruce auf dem Bürgersteig neben einem mit einem Laken bedeckten Bündel. Der Anblick lässt Lilly erstarren. Sie steht am Rande der Menge, und es fährt ihr eiskalt den Rücken hinunter. Der Anblick eines weiteren, auf dem Bürgersteig liegenden Leichnams erschüttert sie zutiefst.

»Lilly?«

Sie dreht sich um und sieht Martinez neben ihr stehen. Über seiner Lederjacke trägt er Patronengurte, als ob es Schärpen wären. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Das war doch eine Freundin von dir, oder?«

»Wer ist es denn?«

»Du hast es noch nicht gehört?«

»Ist es Megan?« Lilly drängt sich an Martinez vorbei, stößt einige Schaulustige beiseite. »Was ist passiert?«

Bob Stookey geht auf sie zu, stellt sich ihr in den Weg und nimmt sie sanft bei den Schultern. »Lil’, so warte doch. Du kannst nichts mehr machen.«

»Was ist passiert, Bob?« Lilly blinzelt, als ihre Augen zu brennen anfangen und ihr Herz schwer wird. »Hat ein Beißer sie erwischt? Lass mich los!«

Bob hält sie an den Schultern fest. »Nein, Lilly. Das nicht.« Erst jetzt sieht sie Bobs Augen, rot umrandet und voller Trauer. Sein Gesicht zittert vor Schmerz. »Diese Leute werden sich um sie kümmern.«

»Ist sie …«

»Sie ist von uns gegangen, Lil’« Bob starrt zu Boden und schüttelt langsam den Kopf. »Hat sich ihr eigenes Leben genommen.«

»Was … Was ist passiert?«

Bob aber starrt nur weiter auf die Erde und faselt, dass er keine Ahnung hat.

»Lass mich los, Bob!« Lilly drängt sich weiter durch die unzähligen Reihen von Schaulustigen.