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Sechzehn

Am nächsten Tag wütet der Sturm über Georgias Südosten mit all seiner Macht, und Woodbury erfährt ein wahres Bombardement von peitschendem Regen und eiskalten Graupelschauern. Telefonmasten geben unter dem Gewicht nach, fallen krachend auf Highways voller verlassener Autowracks. Gullis und Bachläufe überfluten, leere Bauernhöfe stehen unter Wasser, während die höheren Gefilde mit einer tückischen Eisschicht bedeckt sind. Fünfzehn Kilometer südöstlich von Woodbury, in einem bewaldeten Talkessel in der Nähe des Highway 36, zieht der Sturm über den größten Friedhof im Süden der Vereinigten Staaten.

Das Edward Nightingale Memorial Gardens and Columbarium grenzt über eine Länge von eineinhalb Kilometer an eine Allee an, die südlich des Sprewell State Park verläuft. Der Friedhof beherbergt Zehntausende historischer Gräber. Die gotische Kapelle und das Besucherzentrum befinden sich im Osten der Anlage, ein Katzensprung vom Woodland Medical Center entfernt, das eines der größten Krankenhäuser von Georgia ist. Seit den ersten Wochen ist es quasi zur Hochburg dieser grässlichen Reanimationen geworden. Das Personal ist schon vor langer Zeit getürmt. Jetzt wimmelt der gesamte Gebäudekomplex mitsamt der Leichenhalle und dem riesigen Labyrinth von Aufbahrungshallen in den gewaltigen Kellergeschossen von Nightingale von Zombies. Einige warteten auf Autopsien, andere auf ihre Beerdigung. Alle von ihnen sind bis zu diesem Zeitpunkt in ihren Kühlfächern eingeschlossen.

An jenem Samstag um vier Uhr siebenunddreißig Eastern Standard Time tritt der nahe gelegene Flint River über seine Ufer. Unter Blitzen, die in stroboskopartigen Abständen die Erde erhellen, strömen die Wassermassen über die Ufer, machen Bauernhöfe dem Erdboden gleich, stürzen Werbetafeln um und spülen zurückgelassene Autos über Feldwege wie Spielzeug, das von einem wütenden Kind zur Seite geworfen wird. Die Schlammlawinen beginnen eine Stunde später. Der gesamte Hang nördlich des Friedhofs bricht zusammen und stürzt auf den Flint River zu. Auf seinem Weg deckt er Gräber ab, spült alte Särge mit sich, die aufreißen und ihren grässlichen Inhalt in den Ozean von Schlamm, Eisregen und Wind entleeren. Die meisten Skelette brechen einfach auseinander wie Streichhölzer, aber viele der nicht so alten Leichen, insbesondere diejenigen, die noch intakt und frisch genug sind, um zu krabbeln oder zu kriechen, arbeiten sich langsam, aber stetig in Richtung Land.

Verzierte Fenster entlang des Nightingale Besucherzentrums zerbersten vom Druck der Schlammlawine, implodieren, und die orkanartigen Winde bewerkstelligen den Rest, blasen Teile gotischer Turmspitzen fort und reißen ganze Dächer auf. Einen halben Kilometer weiter östlich treffen die Fluten auf das Krankenhaus und bringen Trümmer und Treibgut mit sich, denen die Türen und Fenster nicht standhalten können.

Die Untoten, die bis vor Kurzem noch in der Leichenhalle gefangen waren, tauchen jetzt aus allen erdenklichen Öffnungen hervor, werden von den Luftströmungen und den Winden erfasst.

Um fünf Uhr ist eine Unmenge von Zombies – es sind genug an der Zahl, um eine ganze Totenstadt zu bevölkern – gleich einer gestrandeten Schule von Fischen an Land gespült worden und verteilt sich über die angrenzenden Tabakfelder und Obstplantagen. Sie stolpern neben- und übereinander her, hängen in Bäumen, andere treiben weiter, Kilometer über Kilometer unter Wasser, dreschen im düsteren Nass vor unfreiwilligem, instinktivem Urhunger um sich. Tausende sammeln sich in den Moränen, Tälern und geschützten Landstrichen nördlich des Highway. Sie klettern aus dem Schlamm wie Pantomimen von Urmenschen aus einer paläolithischen Suppe.

Noch bevor die Regenstürme vorbei sind, sie ziehen weiter gen Osten Richtung Küste, übertrifft die noch verstreute Zahl der Toten sogar die Menge der Lebenden, die zu Zeiten vor der Plage in der Stadt Harrington lebten.

Das Nachspiel dieses Jahrhundertsturms endet in beinahe tausend Zombies, die sich langsam zusammenfinden und die größte Herde seit Beginn der Plage bilden. In der verregneten Dunkelheit sammeln sie sich mühsam und unbeholfen, bis sie sich in einem riesigen Pulk zwischen dem Crest Highway und der Roland Road gefunden haben. Die Herde ist so dicht, dass ihre verwesenden Köpfe aus der Ferne wie eine dunkle, brackige Flut aussehen, die unaufhaltsam über das Land strömt.

Aus keinem ersichtlichen Grund, außer vielleicht der unerklärlichen Verhaltensweise der Toten, rollt die Herde vielleicht aus Instinkt, vielleicht wegen des Geruchs, der Pheromone oder einfach nur aus Zufall nach Nordwesten direkt auf die am dichtesten bevölkerte Stadt der Gegend zu: Woodbury. Sie haben noch fünfzehn Kilometer vor sich.

Der Sturm hinterlässt Bauernhöfe und Felder im Südosten Georgias in riesigen Seen schwarzen, dreckigen Wassers. Die flachen Teiche gefrieren, die höher gelegenen Landstriche bilden ein einziges Schlammfeld.

Die immer schwächer werdende Regenfront zieht über das Land, verwandelt die Wälder und Hügel um Woodbury in ein Wunderland glitzernder Äste, Stromleitungen, die unter dem Gewicht der unzähligen Eiszapfen nachzugeben drohen, und kristalliner Pfade. Das alles wäre vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt ein wunderbarer Anblick, aber jetzt, inmitten dieser alles verwüstenden Plage und verzweifelter Menschen, ist es alles andere als das.

Am nächsten Tag mühen sich die Bewohner von Woodbury ab, die Stadt wieder auf Vordermann zu bringen. Der Governor weist seine Männer an, eine nahe gelegene Meierei nach Salzblöcken zu durchsuchen. Sie werden fündig und transportieren sie auf Pritschenwagen zurück, um sie dann mit Motorsägen in leichter zu hantierende Brocken zu schneiden, klein zu machen und schließlich auf die Straßen und Bürgersteige zu streuen. Sandsäcke werden südlich der Stadt aufgestapelt, um das Wasser abzuhalten. Den ganzen düsteren grauen Tag lang schöpfen, hacken, streuen und schaufeln die Bewohner die Stadt wieder frei.

»Die Show muss weitergehen, Bob«, meint der Governor am späten Nachmittag im Stadion. Die grellen Flutlichter scheinen durch den Nebel auf ihn herab, und das Nageln der Generatoren dröhnt in der Ferne. Die Luft riecht nach Gas, Alkalien und brennendem Müll.

Die Oberfläche der Rennbahn wiegt sich im Wind, der Schlamm ist so dick wie Haferbrei. Der Regen hat auch das Stadion und die Rennbahn nicht verschont, und das Wasser steht teilweise einen halben Meter hoch. Die mit Eis überzogenen Tribünen funkeln vor sich hin und werden von ein paar Arbeitern mit Gummiwischern und Schaufeln freigekratzt.

»Hä?« Bob Stookey hockt fünf Meter hinter dem Governor auf einer der Tribünen.

Gedankenverloren entkommt ihm ein Rülpser, der Kopf rollt im Vollrausch auf seinen Schultern hin und her. Bob sieht wie ein verlorener, kleiner Junge aus. Neben ihm liegt eine ausgetrunkene Flasche Jim Beam auf der mit Eis überzogenen, stählernen Sitzbank. Eine weitere, noch halb voll, hält er in seiner schmierigen, klammen Hand. Er hat die letzten fünf Tage durchgesoffen, seitdem er Megan Lafferty aus dieser Welt befördert hat.

Ein unverbesserlicher Säufer kann den Rausch besser aufrechterhalten als ein x-beliebiger Gelegenheitstrinker, denn die erreichen den Höhepunkt ihrer Trunkenheit, indem sie dieses Prickeln verspüren und sich in Gesellschaft wohlfühlen, kurz bevor ihnen der Vollrausch jeglichen Verstand raubt. Bob jedoch kann das Delirium erst nach einer Flasche Whiskey erreichen und für Tage aufrechterhalten.

Aber jetzt hat Bob Stookey das Ende seines Saufgelages erreicht. Nachdem er täglich vier Flaschen geleert hat, fängt er an, ständig einzunicken. Die Realität entgleitet ihm immer mehr, er beginnt zu halluzinieren, beinahe ohnmächtig zu werden.

»Ich habe gesagt, dass die Show weitergehen muss«, wiederholt der Governor etwas lauter und klettert über den ersten Maschendrahtzaun, der ihn von Bob trennt. »Die Leute kriegen langsam Hüttenkoller, Bob. Sie brauchen wieder etwas Ablenkung.«

»Wohl wahr«, grunzt Bob lallend. Er kann kaum den Kopf gerade halten und lugt unstet zum Governor hinab, der jetzt direkt vor der Tribüne steht und Bob unheilvoll durch den Maschendrahtzaun anblickt.