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In Bobs fiebrigen Augen sieht der Governor unter dem kalten Flutlicht wie ein Dämon aus. Über seinem Kopf mit den nach hinten gezogenen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen schwarzen Haaren schwebt ein silberner Heiligenschein. Sein Atem ist als silbriger Rauch sichtbar, und sein schwarzer Fu-Manchu-Schnauzer wippt auf und ab, als er weiter auf Bob einredet: »So ein kleiner Wintersturm kann uns nichts anhaben, Bob. Ich habe da eine Idee … Das wird die Leute umhauen. Warte es nur ab. So etwas hast du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«

»Hört sich … gut an«, stammelt Bob. Sein Kopf fällt nach vorne, und ein dunkler Schatten legt sich über seine Augen.

»Morgen Abend, Bob.« In Bobs schummrigem Blick scheint das Gesicht des Governors wie ein Geist in der Luft zu schweben. »Das wird allen eine Lehre sein, Bob. Von jetzt ab wird hier ein anderer Wind wehen. Recht und Ordnung, Bob. Da kann man so viel lernen, dass einem der Schädel platzen mag. Aber gleichzeitig liefern wir auch eine Supershow, ist doch klar. Das wird ihnen die Zehennägel aufrollen. Das werden wir genau hier erreichen, in diesem Schlamm und der ganzen Scheiße. Bob? Hörst du mir überhaupt zu? Bob? Alles klar bei dir? Hey, alter Mann, immer schön bei mir bleiben!«

Bob wird schwarz vor Augen. Er verliert das Bewusstsein, fällt vom Sitz, und das Letzte, was er sieht, ist das Gesicht des Governors, das von den rostigen, geometrischen Maschen des Zauns zwischen ihnen in Einzelteile zerschnitten wird.

»Wo zum Teufel steckt eigentlich dieser Martinez?« Der Governor wirft einen Blick über die Schulter. »Habe schon seit Stunden weder Haut noch Haare von dem Arschloch gesehen.«

»Jetzt hört mir mal zu«, fordert Martinez die Männer auf und schaut jedem der Mitverschwörer der Reihe nach tief in die Augen. Die fünf sitzen in einem Halbkreis in einer Ecke des düsteren, alten Eisenbahnlagers um ihn herum. Überall hängen alte Spinnweben, und es ist so dunkel wie in einem Grab. Martinez zündet sich einen Zigarillo an, und sein markantes, intelligentes Gesicht wird von Rauch umhüllt. »Man stülpt einen Eimer nicht langsam und vorsichtig über eine Scheißkobra – man tut es so schnell und gezielt wie nur möglich.«

»Wann?«, will der Jüngste namens Stevie von ihm wissen. Er hockt neben Martinez, ist groß und schlank, halb schwarz, halb weiß, trägt eine glänzende, schwarze Jacke, hat etwas Flaum über der Lippe und blinzelt nervös mit seinen langen Wimpern in die Runde umher. Stevies scheinbare Arglosigkeit wird nur von seiner Lust getrübt, Zombies zu ermorden.

»Bald.« Martinez zieht an seinem Stumpen. »Ich lasse es euch heute Abend wissen.«

»Wo?«, fragt ein weiterer Mitverschwörer, ein älterer Mann in einer Wolljacke und einem Schal, der auf den Namen Schwede hört. Sein wilder Schopf blonder Haare, das lederne Gesicht und die breite Brust, die zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Patronengurten behängt ist, verleihen ihm den Anschein, als ob er gerade aus der französischen Résistance des Zweiten Weltkrieges kommt.

Martinez wirft ihm einen Blick zu. »Das werdet ihr schon früh genug erfahren.«

Der Schwede seufzt genervt. »Wir spielen hier mit dem Feuer, Martinez. Zumindest könntest du uns ein paar Hinweise geben, auf was genau wir uns da einlassen.«

Ein weiterer Mann erhebt die Stimme, ein Schwarzer in einer Daunenweste namens Broyles. »Schwede, der hat schon seine Gründe, warum er uns nichts erzählt.«

»Yeah? Dann klär mich mal auf.«

Der schwarze Mann mustert den Schweden. »Fehlertoleranz.«

»Was meinst du?«

Der Schwarze schaut Martinez an. »Es steht zu viel auf dem Spiel. Nur einer von uns muss gefasst werden, gefoltert und so Zeug.«

Martinez nickt und zieht an seinem Stumpen. »So in der Art … Genau.«

Ein vierter Mann, ein ehemaliger Mechaniker namens Taggert, ergreift das Wort. »Und was ist mit den beiden Kletten?«

»Du meinst Bruce und Gabe?«, vergewissert sich Martinez.

»Ja … Glaubst du, dass wir sie überzeugen können?«

Martinez zieht erneut an seinem Stumpen. »Was glaubst du denn?«

Taggert zuckt die Achseln. »Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie damit etwas zu tun haben wollen. Die kriechen Blake derartig in den Arsch, dass sie ihm oben wieder rauskommen.«

»So sieht es aus«, stimmt Martinez zu und holt tief Luft. »Und genau deswegen müssen wir die beiden als Erste aus dem Weg schaffen.«

»Also, wenn ihr mich fragt«, murmelt Stevie, »haben die meisten Leute in der Stadt nichts gegen den Governor.«

»Er hat recht«, pflichtet der Schwede dem Jungen mit nervösem Nicken bei. »Ich würde schätzen, dass sogar neunzig Prozent der Menschen hier das Arschloch mögen und nichts dagegen haben, wie er die Stadt regiert. Solange es genug zu essen gibt, die Barrikade hält und die Show weiter geht … Genau wie die Deutschen in den Dreißigerjahren, als der Sack Adolf Hitler …«

»Alles klar, das reicht.« Martinez wirft den ausgerauchten Zigarillo auf den Boden und tritt ihn aus. »Jetzt hört mal zu … alle Mann.« Er blickt jeden an und spricht mit leiser, monotoner Stimme, in der seine Nervosität mitklingt. »Diese Sache wird abgehen, und zwar schnell und durchgreifend … Sonst enden wir genau wie alle anderen irgendwann im Schlachthaus und werden an Zombies verfüttert. Er wird einen Unfall haben. Mehr braucht ihr im Augenblick nicht zu wissen. Wenn ihr nichts damit zu tun haben wollt, bitte, da ist die Tür. Ich nehme es euch nicht übel. Das ist eure letzte Chance.« Er wird ein wenig persönlicher. »Ihr wart immer gute Arbeiter, gute Männer, ehrlich … Und jemandem vertrauen zu können ist Gold wert, insbesondere hier. Wenn ihr raus wollt, schütteln wir uns jetzt die Hände und das war es. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber tut es jetzt. Denn wenn das alles erst einmal abgeht, gibt es keine Notbremse mehr, die wir ziehen können.«

Martinez wartet.

Niemand sagt etwas, niemand steht auf und verlässt das Lager.

In jener Nacht sinken die Temperaturen, und die eisigen Nordwinde nehmen zu. Aus den Schloten qualmt Rauch von den vielen Holzfeuern in Woodbury, und die Generatoren brummen sonor vor sich hin. Im Westen leuchten noch immer die Flutlichter des Stadions, und die Vorbereitungen für die große Weltpremiere am folgenden Abend sind in vollem Gang.

Lilly Caul ist allein in ihrer Wohnung über der Chemischen Reinigung. Sie legt zwei halb automatische Handfeuerwaffen mit extra Munition auf ihrem Bett zurecht – zwei .22-Kaliber Ruger Lite, ein extra Magazin und eine Schachtel 32er-Korn Hohlspitzgeschosse. Martinez hat ihr die Waffen gegeben und ihr im Schnelldurchlauf gezeigt, wie man sie neu lädt.

Sie tritt einen Schritt zurück, starrt auf die vergoldeten Pistolen und kneift die Augen zusammen. Ihr Herz schlägt schneller, ihr Schlund wird ganz trocken, und sie weiß, dass ihre alten Wegbegleiter, Panik und Selbstzweifel, wieder mit von der Partie sind. Sie hält inne, schließt die Augen und schluckt die Angst mit Mühe und viel Selbstkontrolle wieder hinunter. Dann öffnet sie die Augen, hält die rechte Hand in die Höhe und betrachtet sie, als ob sie jemand anderem gehörte. Die Hand zittert nicht, ist völlig ruhig.

Sie wird diese Nacht kein Auge mehr zutun. Die nächste vielleicht auch nicht.

Lilly holt einen großen Rucksack unter dem Bett hervor, packt die Waffen, die Munition, eine Machete, eine Taschenlampe, Nylonleine, Schlafmittel, Panzerband, eine Dose Red Bull, ein Feuerzeug, eine Rolle Plastikplane, fingerlose Handschuhe, ein Fernglas und eine extra Daunenweste ein. Dann schließt sie den Rucksack und stopft ihn wieder unter das Bett.

Sie hat weniger als vierundzwanzig Stunden, bis die Mission beginnt, die ihr Leben entscheidend verändern wird.