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»Was denn?«, erkundigt er sich. Josh sitzt ihr gegenüber, ebenfalls im Schneidersitz, und wischt sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Nacken. Vor ihm liegt eine Schachtel Zigarren. Es sind seine letzten. Er zögert, will sie nicht anrühren. Da schwingt ein Touch Aberglaube mit, dass es sein Schicksal besiegeln würde.

Lilly hebt den Kopf und blickt ihn an. »Wenn die Zombies angreifen … Wie kommst du damit klar, ohne dir … Ohne dir in die Hose zu machen?«

Josh kichert erschöpft. »Sobald du weißt, wie das geht, musst du es mir beibringen.«

Sie starrt ihn ungläubig an. »Willst du mich etwa auf den Arm nehmen?«

»Was?«

»Willst du mir etwa erzählen, dass du Angst gehabt hast?«

»Klar doch.«

»Jetzt langt’s aber.« Sie neigt den Kopf zur Seite. »Du?«

»Ich will dir mal etwas sagen, Lilly.« Josh nimmt die Schachtel, schüttelt sie, nimmt sich eine Zigarre heraus, steckt sie mit seinem Zippo an und zieht genüsslich daran. »Nur Dumme oder Schwachsinnige haben dieser Tage keine Angst. Wenn man keine Angst hat, passt man nicht auf.«

Sie blickt auf die Reihe Zelte entlang des Zauns und stöhnt gequält auf. Ihr Gesicht ist abgehärmt, fahl. Sie macht den Eindruck, als ob sie über etwas nachdenkt, versucht, es in Worte zu kleiden, aber der Gedanke scheint sich schlichtweg zu weigern, in den Rahmen ihres Wortschatzes gezwängt zu werden. Schließlich: »Das macht mir schon länger zu schaffen. Ich bin nicht … Ich bin nicht stolz darauf. Im Gegensatz, es versperrt mir einfach so viel.«

Jetzt ist es an Josh, sie anzustarren: »Was denn?«

»Der Feigling-Faktor.«

»Lilly …«

»Nein. Hör mir zu. Das muss raus.« Sie weigert sich, seinem Blick zu begegnen. Die Scham brennt ihr in den Augen. »Ehe das alles angefangen hat, dieser Ausbruch … war es … es war einfach nur nervig. Ich habe mir selbst den Weg versperrt, einige Sachen nicht gemacht, weil ich so ein Schisser bin. Aber jetzt … Jetzt geht es um etwas … Ich weiß auch nicht, jemand könnte wegen mir sterben.« Dann schafft sie es endlich, dem großen Mann in die Augen zu schauen. »Vielleicht sogar jemand, den ich lieb gewonnen habe.«

Josh weiß genau, wovon sie spricht, und es kommt ihm vor, als ob sich eine Hand um sein Herz legt und zudrückt. Von dem Augenblick an, als er Lilly Caul das erste Mal zu Gesicht bekommen hat, verspürt er ein Gefühl, das er seinerzeit als Teenager in Greenville einmal erlebt hat. Es ist wie eine begeisterte Faszination. Er kommt sich vor wie ein Junge, der sich von dem Anblick ihres weiblichen Nackens nicht mehr losreißen kann, der vom Geruch der Haare, den Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken verzaubert ist. Ja, Josh Lee Hamilton hat es erwischt. Aber er darf es nicht zulassen, dass er diese Beziehung auch noch in den Sand setzt – wie er es mit so vielen vor Lilly gemacht hat. Aber das ist vor dem Ausbruch gewesen, ehe die Welt die Hoffnung verloren hat.

In Greenville hatte Josh sich mit beinahe beschämender Regelmäßigkeit verguckt und es immer wieder geschafft, alles zu verderben, indem er viel zu viel zu schnell haben wollte. Er benahm sich stets wie ein Welpe, der den Frauen zu Füßen lag.

Aber nicht diesmal. Diesmal würde Josh die Sache anders angehen … Anders und cleverer. Diesmal würde er einen Schritt nach dem anderen tun. Vielleicht ist er ja ein großer, alter Trottel, ein Hinterwäldler aus South Carolina, aber dumm ist er nicht. Nein, Josh Lee Hamilton kann von seinen Fehlern lernen.

Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schon als er in den Siebzigerjahren in South Carolina aufwuchs, einem South Carolina, das noch immer in den rassistischen Fängen von Jim Crow stecken geblieben war und vergeblich versuchte, das Schulwesen zu integrieren und im zwanzigsten Jahrhundert anzukommen. Zusammen mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern zog er von einem maroden Sozialbau zum anderen. Josh benutzte seine gottgegebene Größe und Kraft, um American Football zu spielen, schaffte es ins Team der Mallard Creek Highschool und erhoffte sich, eines Tages ein Stipendium an einem College zu ergattern. Aber er ließ eine Zutat vermissen, die man als Spieler unbedingt brauchte, um die akademische und sozioökonomische Leiter emporzuklettern: pure Aggression.

Josh Lee Hamilton war schon immer friedfertig gewesen. Das ging sogar so weit, dass man es ihm als Fehler ankreiden konnte. Erwachsene sprach er stets mit einem »Yessir« an. Er hatte einfach keinen Mumm. Und genau deshalb ging es dann Mitte der Achtzigerjahre mit seiner American-Football-Karriere den Bach hinunter. Das war zur gleichen Zeit, als seine Mutter, Raylene, erkrankte. Die Ärzte nannten es Lupus erythematosus. Es war nicht tödlich, aber es glich einer lebenslangen Haft: Ihre Tage waren mit chronischem Schmerz erfüllt, ständig hatte sie wunde Stellen auf der Haut und Lähmungsanfälle. Josh machte es sich zur Aufgabe, auf seine Mutter aufzupassen, sich um sie zu kümmern, während seine Schwestern Versager heirateten und Versager-Jobs Hunderte von Kilometern weit weg annahmen. Josh kochte, machte sauber und pflegte seine Mutter so gut, dass er nach ein paar Jahren ein guter Koch geworden war und nebenher einen Job in einem Restaurant annahm.

Er hatte eine Begabung für alles Kulinarische, insbesondere Fleisch, und es dauerte nicht lange, ehe er sich durch sämtliche Steakhouses in ganz South Carolina und Georgia hocharbeitete. Anfang des neuen Millenniums war er bereits einer der heiß begehrtesten Chefköche im gesamten Südosten und beaufsichtigte große Teams von Souschefs, bekochte riesige Veranstaltungen und schmückte Magazine wie Atlanta Homes and Lifestyles mit seinem Antlitz. Und die ganze Zeit über herrschte er gütig und war stets freundlich – eine Seltenheit in der harten Welt der Restaurantküchen-Szene.

Jetzt, inmitten dieser Welt des alltäglichen Horrors und unerwiderter Liebe, will Josh seiner Lilly etwas ganz Besonderes kochen.

Sie haben sich stets mit Sachen wie Dosenerbsen oder Formfleisch über Wasser gehalten – oder Müsli mit Trockenmilch. Aber nichts davon wäre geeignet für ein romantisches Abendessen und könnte als Ausdruck seiner Liebe für sie dienen. Schon vor Wochen ist alles Frischfleisch in der Gegend den Maden zum Opfer gefallen, aber Josh erhofft sich, einen Hasen oder vielleicht sogar ein Wildschwein im Wald zu erlegen. Dann könnte er ein Ragout machen oder eine nette Fleischpfanne mit wilden Zwiebeln und Rosmarin. Vielleicht sogar mit etwas von dem Pinot Noir, den Bob Stookey aus dem verlassenen Lebensmittelgeschäft hat mitgehen lassen. Dazu gäbe es mit Kräutern gewürzte Polenta, und obendrauf würde er sich noch die eine oder andere Finesse einfallen lassen. Einige Frauen der Zeltstadt machten Kerzen aus Talg, den sie in einem Futterhäuschen für Vögel gefunden hatten. Das wäre auch keine schlechte Idee: Kerzen, Wein, vielleicht eine pochierte Birne aus dem Obsthain als Dessert … Schon wäre Joshs Welt wieder eine ganz andere. Die Obsthaine bersten förmlich vor überreifem Obst. Vielleicht ein Apfel-Chutney zum Schwein. Genau. So und nicht anders. Dann könnte Josh seiner Lilly ein ordentliches Abendessen auftischen und ihr sagen, was er für sie fühlt, dass er ständig bei ihr sein, sie beschützen, ihr Mann sein will.

»Ich weiß schon, was du damit sagen willst«, verkündet er schließlich und klopft die Asche von der Zigarre. »Aber ich will dir zwei Sachen verraten. Erstens: Du musst dich nicht für das schämen, was du getan hast.«

Sie senkt den Blick. »Du meinst, einfach wie ein Feigling davonrennen, wenn man angegriffen wird?«

»Hör mir zu. Wenn ich in deiner Lage gewesen wäre, hätte ich genau das Gleiche getan.«

»Das ist doch Bullshit, Josh. Ich habe doch nicht einmal …«, protestiert Lilly.

»Jetzt lass mich ausreden.« Er macht die Zigarre aus. »Und zweitens: Ich wollte, dass du fortrennst. Du hast mich wohl nicht gehört, aber ich habe dich angeschrien, dass du verdammt noch mal abhauen sollst. Alles andere wäre doch Schwachsinn gewesen – nur ein Hammer, aber zwei von uns inmitten einer Schar Zombies. Verstehst du, was ich dir sage? Du musst dich nicht dafür schämen, was du getan hast.«