In eine andere Kiste legt er Klopapier, Seife, Handtücher und kleine Lappen. Dann wühlt er sich durch den Medizinschrank und nimmt ausreichend Hustensaft, Schlaftabletten und Schmerzmittel mit. Plötzlich kommt ihm eine Idee. Da gibt es etwas, was er noch unbedingt machen muss.
Im Keller findet er einen Eimer mit roter Farbe und zwei breite Pinsel. Daneben liegt ein großes Stück Sperrholz. Rasch schreibt er eine Nachricht auf das Holz. Fünf Wörter in großen Buchstaben – groß genug, damit man sie von einem vorbeifahrenden Wagen aus lesen kann. Dann nagelt er zwei kurze Holzstecken an das Schild.
Er nimmt es mit nach oben und zeigt es seinem Bruder. »Das hier sollten wir an die Barrikade stellen«, schlägt er vor.
Philip zuckt nur mit den Schultern.
Sie warten auf die Dunkelheit, bevor sie aufbrechen. Punkt neunzehn Uhr, als die kalte, metallisch wirkende Sonne hinter den Dächern verschwindet, beladen sie den SUV. Hastig bilden sie eine Kette von der Haustür bis zum Wagen, während sich die Zombies noch immer vor der Barrikade scharen.
Außer den Äxten, die sie von Anfang an dabeihatten, kommen jetzt noch Pickel, Schaufeln, kleine Äxte, Sägen und Klingen aus dem Geräteschuppen im Garten dazu. Zudem packen sie Stricke, Drähte, Fackeln, weitere Mäntel, Schneestiefel und Feueranzünder sowie einen Schlauch zum Absaugen und so viel Benzinkanister ein, wie sie in den Kofferraum bekommen können.
Der Tank des SUV ist voll. Philip hat sechzig Liter von einer Limousine aus der Garage des Nachbarhauses abgezapft, schließlich kann keiner wissen, ob man an den Tankstellen überhaupt noch Treibstoff kriegt.
Während der vergangenen vier Tage hat Philip die Sportgewehre in den angrenzenden Häusern genau unter die Lupe genommen. Die Leute hier lieben es offenbar, Enten zu schießen. Sie warten in ihren geheizten Verstecken, bis die ahnungslosen Tiere an ihnen vorbeifliegen, sodass sie ihre Präzisionsgewehre benutzen und die Beute danach von ihren reinrassigen Jagdhunden apportieren lassen können.
Philips Vater ist es noch auf die althergebrachte Art gewohnt gewesen: in Gummistiefeln, beim Licht des Mondes und aus einem geschickten Hinterhalt heraus.
Philip schnappt sich drei Gewehre und verstaut sie in den dafür vorgesehenen Plastiktaschen im Auto – eine Winchester Magnum Ringfire, Kaliber zweiundzwanzig, und zwei Gewehre Marlin 55. Insbesondere die Marlins könnten sich als nützlich erweisen. Man nennt sie auch Gans-Gewehre. Sie sind speziell für hoch fliegende Zugvögel entwickelt worden und sehr schnell, präzise und treffsicher … In diesem Fall würden sie allerdings etwas zweckentfremdet, denn schließlich geht es um menschliche Schädel, die aus circa einhundert Metern Entfernung getroffen werden müssen.
Als sie mit dem Einpacken fertig sind, ist beinahe eine Stunde vergangen. Penny sitzt in einem Daunenmantel in der Mitte der Sitzbank. Neben ihr der Pinguin. Sie wirkt aufgeregt, obwohl ihr Gesichtsausdruck einen müden, erschöpften Eindruck macht – beinahe so, als ob sie krank wäre und zum Kinderarzt müsste.
Die Türen öffnen sich und schließen sich wieder. Philip klettert auf den Fahrersitz, Nick setzt sich neben ihn. Brian macht es sich neben Penny auf der Mittelbank bequem. Das Schild steht zu seinen Füßen und drückt auf seine Knie.
Philip dreht den Zündschlüssel, und das Aufheulen des Motors hallt schrill durch die Stille. Die Untoten auf der anderen Seite der Barrikade horchen auf.
»Bringen wir es hinter uns«, murmelt Philip und legt den Rückwärtsgang ein. »Haltet euch fest!«
Er gibt Gas, und die Reifen des Allradantriebs beginnen zu greifen.
Alle werden leicht nach vorne geschleudert, während der SUV nach hinten schießt.
Im Rückspiegel sieht man, wie die schwächste Stelle im Zaun auf sie zurast, bis … KRACH! Das Auto bricht durch die Planken aus Zedernholz und wird vom schwachen Licht der Straßenlaternen in der Green Briar Lane erhellt.
Schon prallt der Wagen auf einen Untoten. Philip steigt aufs Gas und schaltet auf Drive. Der Zombie fliegt ein paar Meter durch die Luft und dreht sich zum Abschluss inmitten eines Regens aus Blut. Ein Teil seines vermodernden Arms bricht ab und rollt davon.
Der SUV schießt zur Hauptstraße und nimmt dabei drei weitere Zombies mit sich. Bei jedem Zusammenstoß zuckt Penny schmerzhaft zusammen, bis sie die Augen schließt. Die dumpfen Erschütterungen sind im Inneren des Autos deutlich zu spüren – und die gelb rötlichen Spuren auf der Windschutzscheibe nicht zu übersehen.
An der Kreuzung reißt Philip das Lenkrad herum. Er kratzt mit quietschenden Reifen die Kurve, ehe er nördlich auf das Tor zur Siedlung zuhält.
Wenige Minuten später ruft er Brian einen Befehl zu. »Los! Mach schnell! Verdammt schnell!«
Er steigt erneut auf die Bremse. Zum Glück sind alle angeschnallt. Der Wagen bleibt vor dem Eingangstor stehen. Im Scheinwerferlicht ist der mit Büschen gesäumte Kiesweg deutlich zu erkennen.
»Bin gleich wieder da!«, erklärt Brian, ergreift das Schild und reißt die Tür auf. »Lass den Motor laufen.«
»Beeil dich!«
Er steigt aus, das Schild in der Hand.
In der kalten Nachtluft eilt er über den Kiesweg. Angespannt lauscht er in die Dunkelheit. Er hört das Schlurfen und Stöhnen der Zombies. Sie sind bereits im Anmarsch.
Brian stellt das Schild rechts neben dem Tor auf, wo es durch keine Büsche verdeckt wird, und lehnt es an die Mauer.
Dann drückt er die hölzernen Beine in die weiche Erde, um dem Ganzen etwas Halt zu geben, ehe er zurück zum Wagen sprintet. Er ist zufrieden, seinen Teil für die Menschheit getan zu haben – oder was von ihr übrig ist.
Ehe sie davonrasen, drehen sich alle noch einmal um – selbst Penny – und blicken zurück. In der Ferne ist das Schild zu sehen. Darauf steht:
ALLE TOT!
NICHT BETRETEN!
Fünf
Sie halten sich in westlicher Richtung, wobei sie nicht schneller als fünfzig Stundenkilometer durch die Nacht fahren. Die vier Spuren der Interstate 20 sind mit zurückgelassenen Autos übersät. Die Straße führt auf ein schwaches Licht am Horizont des Nachthimmels zu. Sie sind gezwungen, sich so langsam durch die Wracks zu schlängeln, dass sie beinahe die Geduld verlieren. Doch immerhin schaffen sie beinahe zehn Kilometer, ehe es anfängt, wirklich schwierig zu werden.
Philip ist die meiste Zeit in Gedanken an Bobby vertieft. Was hätten sie bloß tun können, um ihm das Leben zu retten? Leid und Trauer graben sich jetzt tief in sein Bewusstsein – wie ein Krebsgeschwür, dessen Metastasen immer weiter wuchern. Um die düsteren Gedanken zu vertreiben, denkt er an ein altes Trucker-Sprichwort: Immer nur kurz anschauen, aber nicht anstarren. Er hält das Lenkrad mit der Lässigkeit eines alten Fernfahrers, richtet sich auf, konzentriert sich und versucht zu sehen, was sich an den Leitplanken abspielt.
Über acht Kilometer hinweg sieht er lediglich eine Handvoll Toter im Lichtkegel der Scheinwerfer.
In der Nähe von Conyers kommen sie an zwei Nachzüglern vorbei, die auf dem Haltestreifen daherschlurfen wie blutbesudelte Kriegsgefangene. Als sie an der Stonecrest Mall vorüberfahren, bemerken sie eine Traube dunkler Gestalten, die in einem Graben hockt und sich anscheinend an etwas labt – ob an Mensch oder Tier, das kann man in der Dunkelheit nicht sagen. Sonst sehen sie niemanden – zumindest während der ersten acht Kilometer nicht. Philip fährt stete und sichere fünfzig. Sicher, weil bei weniger als fünfzig Stundenkilometern die Gefahr besteht, ein Monster mitzunehmen, ohne es zu zerfetzen, und weil sie bei mehr als fünfzig garantiert an dem einen oder anderen Autowrack anstoßen und ins Schleudern geraten würden.