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Das Radio funktioniert nicht mehr. Sie kurven ohne ein Wort zu sagen um die verlassenen Wagen herum, den Blick auf die Landschaft gerichtet.

Langsam nähern sie sich Atlanta. Sie lassen die ersten Trabantenstädte links liegen, die von Pinienwäldern oder auch Einkaufszentren durchbrochen werden. Große Autohäuser stehen düster wie Leichenschauhäuser an der Interstate. Im milchigen Mondlicht gleichen die endlosen Reihen von Neuwagen zahllosen Särgen. Sie fahren an einer leer stehenden Waffelbäckerei vorbei. Die Fenster sind eingeschlagen. Verlassene Bürogebäude mit ihren riesigen Parkplätzen erinnern an Kriegsgebiete. Die Restaurants, Caravan-Parks, K-Marts und Wohnmobilzentren links und rechts der Autobahn sind verwüstet. Kleine Feuer brennen hier und da, die Parkplätze wirken wie düstere Spielwiesen, die herrenlosen Autos auf dem Bürgersteig wie Spielzeuge, die jemand wütend weggeworfen hat. Überall liegt zerbrochenes Glas herum und schimmert unheilvoll im Mondlicht.

In weniger als eineinhalb Wochen hat die Plage das Randgebiet von Atlanta völlig zerstört. Hier, inmitten der Naturparks, Bürolandschaften und Vorstadtsiedlungen – dem Traum des typischen Mittelständlers, um dem mühsamen Pendeln von weit draußen herein ebenso wie den wahnwitzigen Hypotheken und dem stressvollen Leben in der Stadt zu entrinnen –, hat die Epidemie alles in wenigen Tagen in Schutt und Asche gelegt. Aus irgendeinem Grund verstört Philip der Anblick der zerstörten Kirchen am meisten.

Jedes Gotteshaus, an dem sie vorbeifahren, sieht noch schlimmer aus als das vorherige: Aus dem New Birth Missionary Baptist Center kurz vor Harmon steigt Rauch auf. Das verkohlte Kreuz auf dem Dach ragt anklagend in den Himmel. Zwei Kilometer weiter entdecken sie am Luther Rice Seminary hastig gepinselte Schilder über der Eingangstür, auf denen Vorüberfahrende darauf hingewiesen werden, dass das Ende nahe und keine Hoffnung mehr für die Sünder sei. Die Unity Faith Christian Cathedral sieht so aus, als ob sie zuerst geplündert worden wäre, ehe man sie anderweitig entweihte. Der Parkplatz von St. John the Revelator Pentecostal Palace wiederum gleicht einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld, auch wenn sich viele der Toten mit der für Zombies typischen Trägheit und dem Hunger der Untoten noch immer durch die Gegend schleppen. Welcher Gott lässt das zu? Und wenn wir schon beim Thema sind: Welcher Gott lässt einen schlichten, unschuldigen Menschen wie Bobby Marsh so sterben? Welcher …

»Mist!«

Dieser Ausruf kommt vom Rücksitz und katapultiert Philip in die Gegenwart zurück. »Was ist los?«

»Dort drüben«, erwidert Brian mit schwacher Stimme, die entweder von seiner Erkältung oder der Angst kommt, die er empfindet. Vielleicht auch von beidem. Philip blickt in den Rückspiegel und sieht den unruhigen Gesichtsausdruck seines Bruders. Brian zeigt nach Westen.

Philip konzentriert sich erneut auf das, was vor ihm liegt, bremst aber instinktiv ab. »Was ist los? Ich kann nichts sehen.«

»Verdammt«, flucht nun auch Nick vom Beifahrersitz. Er starrt durch eine Schneise im Pinienwald zu ihrer Rechten. Ein seltsames Licht schimmert durch die Bäume.

Circa fünfhundert Meter vor ihnen macht die Interstate eine lange Rechtskurve durch ein Stück Wald, um sich dann in Richtung Nordwesten weiter auf die Stadt zuzuschlängeln. Hinter den Bäumen sind Flammen zu sehen.

Die Autobahn steht in Flammen.

»Verflucht!«, entfährt es Philip, ehe er den Fuß vom Gas nimmt, um die Situation erst einmal etwas besser einschätzen zu können.

Sekunden später sehen sie einen umgestürzten Tankwagen, der in zwei Teilen in lodernden Flammen mitten auf der Straße liegt. Er versperrt den Weg in das Innere der Stadt. Das Führerhaus hat sich beim Aufprall oder der darauf folgenden Explosion über die gesamte Fahrbahn verstreut. Ein großes Teil klemmt zwischen zwei Fahrzeugen und versperrt nicht nur den Mittelstreifen, sondern auch die gegenüberliegenden Fahrspuren. Die ausgebrannten Karossen anderer Autos liegen hinter dem Tanker.

Noch weiter dahinter … Fast könnte man glauben, dass die Interstate ein Parkplatz ist. Dort stehen unzählige Wagen, von denen manche brennen, die meisten aber Opfer einer Massenkarambolage geworden sind.

Philip fährt an die Seite und hält den SUV auf dem Standstreifen keine fünfzig Meter von den lodernden Flammen entfernt an. »Das ist ja großartig«, sagt er, ohne sich an jemanden im Besonderen zu wenden. Er will gerade eine Salve von Schimpfwörtern von sich geben, als er innehält. Schließlich sitzt Penny auf der Rückbank.

Auch aus dieser Entfernung sind selbst in der flackernden Dunkelheit einige Dinge klar. Zum einen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als entweder eine Feuerwehr und ein Räumfahrzeug ausfindig zu machen, um weiterfahren zu können, ha,ha – oder aber einen verdammten Umweg auf sich zu nehmen. Zum anderen scheint das, was hier geschehen ist, erst heute passiert zu sein – vielleicht sogar erst wenige Stunden zuvor. Der Teer um das Wrack ist noch schwarz und die Oberfläche rau, als ob ein Meteor dort eingeschlagen wäre. Selbst die Bäume am Straßenrand sind vom plötzlichen Flammenmeer verkohlt worden.

»Was machen wir jetzt?«, will Brian wissen.

»Umdrehen«, antwortet Nick und wirft einen Blick über seine Schulter.

»Lasst mich einen Augenblick nachdenken«, meint Philip und starrt auf die Überreste der Fahrerkabine, deren Dach wie eine Fischkonserve aufgerissen ist. Verbrannte Leichen liegen überall über den Mittelstreifen verstreut. Manche von ihnen zucken mit den Wellenbewegungen einer erwachenden Schlange.

»Los, Philip. Uns bleibt nichts anderes übrig, als umzudrehen«, drängt Nick.

»Vielleicht können wir die 278 nehmen«, schlägt Brian vor.

»VERFLUCHT, KÖNNT IHR NICHT ENDLICH DIE KLAPPE HALTEN UND MICH NACHDENKEN LASSEN!«

Der plötzliche Wutanfall lässt Philips Kopf mit der Wucht einer Migräne pochen. Er beißt die Zähne zusammen, ballt die Hände zu Fäusten und schiebt die Stimme in seinem Inneren beiseite: Es erst aufbrechen, dann aufreißen. Hol dir das Herz …

»Tut mir leid«, sagt Philip schließlich und wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab. Er dreht sich um und sieht seine kleine Tochter an, die sich ängstlich auf der Rückbank zusammenkauert. »Es tut mir leid, Schatz. Daddy hat die Kontrolle verloren, aber jetzt ist alles wieder gut.«

Das kleine Mädchen starrt auf den Boden.

»Was willst du machen?«, fragt Brian leise. Der verloren klingende Ton in seiner Stimme lässt vermuten, dass er seinem Bruder in die Flammen der Hölle folgen würde, wenn Philip das so bestimmen würde.

»Die letzte Abfahrt war … Wie weit ist die entfernt? Eineinhalb Kilometer?« Philip wirft einen Blick nach hinten. »Ich finde, dass wir versuchen sollten …«

Das Klatschen kommt völlig unerwartet aus dem Nichts und unterbricht Philip mitten im Satz.

Penny schreit auf.

»MIST!«

Nick schreckt vom Beifahrerfenster zurück, an dem ein verkohlter Leichnam kratzt, der sich lautlos in der Dunkelheit an sie herangeschlichen hat.

»Runter mit dir, Nick!« Philips Stimme bleibt emotionslos wie der eines Funkers, als er sich rasch zum Handschuhfach vorbeugt, die Klappe öffnet und nach etwas sucht. Das Wesen auf der Straße drückt gegen die Fensterscheibe. Man kann es kaum mehr als menschlich erkennen, derart schwarz und verbrannt ist seine Haut. »Brian, halt Penny die Augen zu.«

»VERDAMMT!« Nick duckt sich und hält die Hände über den Kopf, als ob er einen Luftangriff erwarten würde. »MIST! MIST! MIST!«

Philip zieht die geladene Ruger aus dem Handschuhfach.

Mit einer fließenden Bewegung reißt er sie mit der rechten Hand hoch, während er mit der linken das elektrische Fenster herunterlässt. Der verkohlte Zombie streckt sofort einen versengten Arm ins Auto und stößt ein kehliges Stöhnen aus. Ehe er seine Finger um Nicks Genick legen kann, drückt Philip ab – ein einziger Schuss direkt in den Schädel.