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Auf dem Weg nach draußen vermeiden es alle außer Philip, sich die abgeschlachteten Untoten genauer anzuschauen. Sie liegen in ihrem Blut überall auf dem Hallenboden verstreut.

Nur Philip scheint fasziniert von den Leichen zu sein, die nun genau zu erkennen sind.

Als sie draußen vor dem Eingang stehen, entdecken sie ein Rudel streunender Straßenhunde etwa hundert Meter von ihnen entfernt. Die Tiere streiten sich um einen Haufen Fleisch. Als Philip und die anderen näher kommen, ziehen sich die Köter zurück. Im Vorübergehen wirft Brian einen Blick auf die Überreste und flüstert Penny das Geheimwort zu: weg.

Es handelt sich um einen abgetrennten menschlichen Arm, der so übel zugerichtet ist, dass man ihn eher einer zerfetzten Stoffpuppe zuordnen würde, wenn man es nicht besser wüsste.

»Schau da nicht hin, Kleines«, warnt Philip seine Tochter, und Brian zieht das Mädchen an sich und legt ihm die Hände über die Augen.

Sie halten sich erneut Richtung Westen, als sie schweigend losmarschieren. Vorsichtig setzen sie einen Fuß vor den anderen – wie Diebe, die sich verstohlen durch die Morgensonne davonschleichen.

Sie gehen den Snapfinger Drive entlang, der parallel zur Interstate verläuft. Die Straße windet sich durch Waldstücke, verlassene Wohnviertel und entlang geplünderter Läden. Als sie näher zum Stadtzentrum vordringen und die Bebauung dichter wird, kommen sie an grauenvollen Szenen vorbei, die ein Kind niemals sehen sollte.

Das Fußballfeld einer Schule ist mit enthaupteten Leichen übersät. Ein Leichenschauhaus ist überstürzt mit Brettern vernagelt worden, und die gedämpften Geräusche der Wiederauferstandenen dringen an ihre Ohren, als diese versuchen, aus ihrem Gefängnis auszubrechen. Philip sucht die Gegend mit den Augen in der Hoffnung ab, einen passenden Wagen ausfindig zu machen, aber die meisten Autos entlang Snapfinger Drive liegen ausgebrannt in Gräben oder stehen mit kaputten Reifen auf dem Bürgersteig. Die Ampeln, von denen manche noch gelb blinken, die meisten aber gar nicht mehr funktionieren, baumeln über den mit Autos verstopften Kreuzungen.

Der Highway, der circa hundert Meter von ihnen entfernt hinter einer Böschung liegt, wimmelt nur so vor Untoten. Immer wieder verirrt sich ein Zombie in ihre Richtung, sodass Philip seine Truppe bittet, in Deckung zu gehen und keinen Mucks von sich zu geben. Doch trotz des Zeitverlusts, der entsteht, weil sie sich immer wieder hinter Bäumen oder Autowracks verstecken, sobald sie eine der unheimlichen Kreaturen bemerken, kommen sie relativ gut voran.

Andere Überlebende treffen sie keine.

Am späten Nachmittag ändert sich das Wetter. Es wird auf einmal hell und heiter, und die Temperaturen liegen um die fünfzehn Grad. Gegen siebzehn Uhr sind alle am Schwitzen. Penny hat sich ihr Sweatshirt um die Taille gebunden. Philip rechnet nach, wie weit sie gekommen sind. Er zieht eine halbe Stunde Pause für das Mittagessen ab und schätzt, dass sie etwa eineinhalb Kilometer pro Stunde zurücklegen. Seiner Rechnung nach müssten sie demnach bisher zwölf Kilometer durch die vorstädtische Wildnis geschafft haben.

Niemand bemerkt, wie nahe sie ihrem Ziel in Wirklichkeit bereits sind, bis sie an einen Hügel kommen, der sich westlich von Glenwood aus einem Wald erhebt. Oben steht eine Baptistenkirche, die nach einer erloschenen Feuersbrunst noch immer raucht. Der Kirchturm ist eine schwelende Ruine.

Erledigt und hungrig folgen sie der gewundenen Straße bis zum Gipfel des Hügels. Als sie den Parkplatz vor der Kirche erreichen, atmen sie erst einmal durch, ehe sie nach Westen blicken – und vor Verblüffung beinahe erstarren.

Die Silhouette der Stadt glänzt in der Abendsonne – und ist höchstens noch fünf Kilometer entfernt.

Für Kinder, die kaum dreihundert Kilometer entfernt von der großen Stadt des Neuen Südens aufwuchsen, haben Philip und Brian Blake erstaunlich wenig Zeit in Atlanta verbracht. Während der zweieinhalb Jahre, die Philip als Fahrer für Harlo Electric angestellt war, hatte er die eine oder andere Lieferung in Atlanta zu erledigen. Brian hingegen hatte mehr als nur ein paar Konzerte im Civic Center, dem Earl, dem Georgia Dome und dem Fox Theater besucht. Doch keiner von beiden kannte die Stadt übermäßig gut.

Als sie auf dem Parkplatz stehen, den beißenden Geruch der Apokalypse in ihren Nasenflügeln, stellt die glitzernde Skyline in der diesigen Ferne eine Art unerreichbare Grandezza dar. Im träumerischen Licht sehen sie die Türme des Kapitols mit der vergoldeten Kuppel, die beiden Glasfassaden der Concourse-Türme, die riesigen Peachtree-Plaza-Türme und die Spitze des Atlanta-Gebäudes. Der Anblick wirkt wie eine Fata Morgana, und sie fühlen sich eher, als ob sie auf das versunkene Atlantis blicken würden.

Brian will gerade sagen, wie nahe und wie weit es doch noch bis ins Zentrum sei, als er im Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahrnimmt.

»Da!«

Penny ist plötzlich losgestürmt, ihre Stimme klingt aufgeregt.

»PENNY!«

Brian eilt ihr hinterher. Doch sie ist schnell und läuft bereits am westlichen Rand des Parkplatzes entlang.

»HALTE SIE FEST!«, ruft Philip ihm nach und nimmt ebenfalls die Verfolgung auf.

»Schau doch! Schau doch!« Pennys kleine Beine tragen sie in Windeseile in eine kleine Seitenstraße auf der anderen Seite des Hügels. »Da ist ein Polizist!« Sie zeigt auf einen Mann. »Der wird uns retten!«

»PENNY! STOP!«

Aber das kleine Mädchen rennt um eine Schranke herum auf die andere Seite der Straße. »Er wird uns retten!«

Brian hat im vollen Sprint ebenfalls den Zaunrand erreicht und sieht einen Polizeiwagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der unter einer großen Eiche parkt. Penny nähert sich dem blauen Crown Victoria mit dem Wappen der Polizei von Atlanta, dem üblichen roten horizontalen Streifen und dem Blaulicht auf dem Dach. Brian entdeckt eine dunkle Silhouette hinter dem Lenkrad.

»Bleib stehen, Liebling!«

Plötzlich hält Penny inne. Sie keucht vor Anstrengung und starrt auf den Mann im Inneren der Streife.

Mittlerweile haben auch Philip und Nick aufgeholt. Philip rast an seinem Bruder vorbei. Mit voller Geschwindigkeit nähert er sich Penny und reißt sie in seine Arme, als ob er sie aus einem lodernden Feuer retten müsste.

Brian steht vor dem Polizeiwagen und mustert den Fahrer durch die halb heruntergekurbelte Fensterscheibe.

Der Polizist war einmal ein gut beleibter Mann mit langen Koteletten gewesen.

Alle halten den Atem an.

Penny starrt durch das Fenster auf den Toten in Uniform, der verzweifelt am Sicherheitsgurt zerrt. Seiner Dienstmarke, der Uniform und dem Wort TRAFFIC nach zu urteilen, das in Großbuchstaben auf der Kühlerhaube steht, handelt es sich um einen Verkehrspolizisten, der an den Stadtrand abkommandiert wurde, um Fahrern abgeschleppter Autos den Weg zum Abschlepphof an der Fayetteville Road zu zeigen.

Jetzt dreht er sich auf seinem Sitz, ein Gefangener seines Sicherheitsgurtes, den er nicht loszuwerden vermag. Sein Mund steht angesichts des frischen Fleisches offen, das draußen auf ihn zu warten scheint. Seine Miene ist verzerrt, sein Gesicht aufgedunsen. Er hat eine Hautfarbe wie Mehltau, während die Augen wie abgegriffene Münzen aussehen. Er knurrt die vier an, während er mit seinen schwarzen Zähnen wild nach ihnen zu schnappen beginnt.

»Das ist alles ein schlechter Witz! Mann, welch ein erbärmlicher Anblick«, murmelt Philip.

»Ich nehme sie«, bietet Brian an, tritt auf Penny zu und streckt die Arme nach ihr aus.

Brians Geruch steigt dem toten Polizisten in die Nase, sodass er seine schnappende Fratze in dessen Richtung dreht und so sehr am Gurt zerrt, dass dieser zu zerreißen droht.

Brian schreckt zurück.

»Er kann dir nichts mehr tun«, belehrt ihn Philip. »Er weiß ja nicht einmal, was er mit dem Sicherheitsgurt anstellen soll.«