»SCHIEBT DIESEN KARREN AN UND SPRINGT DANN REIN! LOS, MACHT SCHON!«
Die beiden rennen nach hinten, legen die Hände auf den Kofferraum und beginnen zu schieben, ohne weiter nachzudenken. Philip hat den Wagen in den Leerlauf geschaltet, die Tür geöffnet und hilft mit einem Bein mit.
Es dauert nicht lange, bis der Wagen etwas Geschwindigkeit gewinnt. Die Kirchgänger hinter ihnen kommen näher. Angesichts des Frischfleisches vor ihren Augen lassen sie ihre fürchterlichen Schätze zu Boden fallen. Doch schon bald fährt das Auto von allein den Berg hinab – schneller und schneller, bis Brian und Nick Mühe haben, in den Wagen zu springen. Nick muss sich an der Stabantenne festhalten, um es zu schaffen, während Brian halb drinnen und halb draußen hängt und sich so gut es geht an der offenen Tür festklammert.
Mittlerweile sind sie den halben Hügel hinabgerollt und haben etwas Distanz zwischen sich und die untote Kirchengemeinde gebracht. Durch sein Gewicht ist der Wagen jetzt kaum noch zu stoppen. Er fühlt sich wie ein Zug an, der außer Kontrolle gerät, schnellt über jede Bodenwelle, jedes Schlagloch und rast auf die Kreuzung am Fuß des Hügels zu. Der Wind bläst Brian die Haare ins Gesicht. Er klammert sich an die offene Tür und fürchtet um sein Leben.
Nick brüllt etwas, aber der Wind, die quietschenden Reifen und die Stöße durch die unebene Straße übertönen seine Stimme. Vor ihnen, am Fuße des Hügels, liegt ein alter Rangierbahnhof, ein Irrgarten aus Schienen, die sich mit der Zeit in die Erde Georgias eingegraben haben. Marode Häuschen und Bürogebäude stehen düster und zerfallen wie Ruinen da. Philip ruft etwas, aber Brian kann auch seinen Bruder nicht verstehen.
Als sie endlich unten ankommen, gibt das Lenkrad seinen Geist auf.
Die Polizeistreife rattert über die Gleise und rast dann in den Rangierbahnhof. Philip kann nicht mehr gegensteuern, und das Auto beginnt zu schlingern. Die Reifen werden auf die Felgen gedrückt, und es fliegen Funken, als das Fahrgestell auf dem Boden aufsetzt.
Brian und Nick halten sich so fest es nur geht, während das Auto ohne Kontrolle durch den Rangierbahnhof schlittert, ehe es in einer dichten Wolke schwarzen Nebels zum Stehen kommt.
»Nehmt eure Sachen! Sofort!« Philip reißt die Tür auf und zieht Penny nach sich aus dem Wagen. Brian und Nick lockern ihre verkrampften Hände und beobachten, wie sich Philip seine Tasche über die eine Schulter wirft und seine Tochter auf die andere setzt. »Hier entlang!«, ruft er und weist mit dem Kopf in Richtung einer schmalen Straße, die nach Westen führt.
Zusammen rennen sie aus dem Rangierbahnhof hinaus.
Eine Reihe mit Brettern zugenagelter Läden erstreckt sich entlang einer Straße mit Kopfsteinpflaster.
Die drei Männer beeilen sich. Sie kommen gut voran, obwohl sie sich unter einer Reihe Markisen entlangschleichen und an mit Graffiti bemalte Türen und schmutzige Fenster drücken. Die Sonne ist bereits am Untergehen und taucht alles in unheimliches Dämmerlicht.
Das Gefühl, von Zombies umzingelt zu sein, ist überwältigend, obwohl sie keine einzige Kreatur sehen – nur eine lange Straße mit ausgedienten Läden, die einmal dieses Viertel von Atlanta prägten: Pfandleiher, Geldwechsler, Auktionshäuser, Autowerkstätten, Kneipen und Ramschläden.
Während sie die kaputte und verlassene Einkaufsstraße entlangeilen und dabei unter der Last ihres Gepäcks stöhnen, schweigen sie. Aber den Drang, sich in Sicherheit zu bringen, in einen Laden einzusteigen oder etwas Ähnliches, teilen sie auch ohne Worte. Die Nacht bricht herein, und in weniger als einer Stunde wird es hier so finster wie auf der Schattenseite des Mondes sein. Sie haben keine Landkarte, kein GPS, keinen Kompass und keinerlei Anhaltspunkte außer der im Nebel versunkenen Skyline von Atlanta.
Brian spürt das Unbehagen in seinem Nacken wie eine kalte Hand. Sie schleichen um eine Ecke.
Brian erspäht die Autowerkstatt als Erster. Aber Philip, der sie Sekundenbruchteile nach ihm sieht, geht bereits darauf zu. »Da, an der Ecke. Siehst du sie?«
Auch Nick versteht jetzt, worum es geht. »Ja … Sieht gut aus.«
Die Werkstatt sieht wirklich gut aus. Donlevy’s Autobody and Repair-Werkstatt liegt nur einen Block entfernt an der südwestlichen Ecke einer menschenleeren Kreuzung. Es scheint das einzige Geschäft in dieser gottverlassenen Gegend zu sein – obwohl es anscheinend für den Winter dichtgemacht hat.
Sie eilen auf das Gebäude zu.
Als sie näher kommen, sehen sie, dass das Gelände erst vor kurzem neu gepflastert wurde. Vor der Werkstatt stehen zwei Zapfsäulen. Sie machen einen sauberen Eindruck und sehen so aus, als ob sie noch funktionieren würden. Darüber hängt ein riesiges Chevron-Schild. Das Gebäude, an dem seitlich große Reifenmengen aufgestapelt sind, weist auf einer Seite Garagentore auf. Die Fassade besteht aus schimmernden Metallpanelen und verstärktem Glas. Es gibt einen ersten Stock, in dem entweder die Büros oder ein Laden untergebracht sind.
Philip führt sie um das Gebäude herum. Der Hinterhof ist sauber aufgeräumt. Hier stehen frisch lackierte Müllcontainer neben einer Mauer aus Gasbetonsteinen. Sie suchen nach einer offenen Tür oder einem Fenster, finden aber nichts, wo sie leicht Zutritt erlangen können.
»Und was ist mit dem Haupteingang?«, schlägt Brian flüsternd und außer Atem vor, als sie neben den Müllcontainern stehen. Sie können die Kirchengemeinde hören, wie diese die Straße entlangschlurft und gemeinsam stöhnt und ächzt – alle fünfzig.
»Ich wette, der ist abgeschlossen«, meint Philip, und sein markantes Gesicht glänzt von der Anstrengung, seine Tochter und die Tasche zu schleppen. Penny saugt nervös an ihrem Daumen.
»Woher willst du das wissen?«
Philip zuckt mit den Achseln. »Probieren können wir es ja.«
Sie schleichen sich um das Gebäude herum und achten dabei darauf, stets im Schatten des Überdachs zu bleiben. Dann setzt Philip Penny ab, legt die Tasche auf den Boden und eilt zur Haupttür. Er drückt die Klinke herunter.
Die Tür ist offen.
Acht
Zusammengekauert warten sie unter der Verkaufstheke neben einem Gestell mit Schokoladenriegeln und Chips im Eingangsbereich der Autowerkstatt.
Philip schließt die Tür hinter ihnen ab, ehe er sich zu den anderen begibt und den Untoten auf der Straße zuschaut, wie sie an der Werkstatt vorbeiwanken. Offensichtlich haben sie keine Ahnung, wo sich ihr Frischfleisch befindet. Sie suchen zwar die Gegend mit ihren toten Augen ab und gleichen dabei Hunden, die manisch nach etwas suchen, sind aber zu tumb, um sich die Gegend genauer anzusehen.
Aus ihrem Versteck hinter den vergitterten Fenstern kann Brian die toten Priester und die zerlumpte Gemeinde genauer unter die Lupe nehmen. Was ist passiert, dass die gesamte Gemeinde zu Zombies wurde? Fanden sie sich als gottesfürchtige Christen zusammen, nachdem die Plage ausgebrochen war? Suchten sie Beistand und Hilfe? Predigten ihnen die Priester Angst ein und heizten die Stimmung noch auf, indem sie die Offenbarung des Johannes vorlasen? Redeten sich die Priester in Rage und bombardierten die Gemeinde mit Geschichten über den bevorstehenden Untergang? »Und der fünfte Engel blies in seine Trompete, und ich sah einen Stern aus dem Himmel auf die Erde fallen, und er trug den Schlüssel für eine Grube ohne Boden!«
Doch wie verwandelte sich der Erste von ihnen? Handelte es sich um einen in den hintersten Reihen, der einen Schlaganfall erlitt? Oder vielleicht um eine Art rituellen Suizid? Brian stellt sich eine der alten schwarzen Ladys vor – ihr Körper voll Cholesterin, während ihre dicken, behandschuhten Finger im Einklang mit dem Heiligen Geist winken – und wie sie sich plötzlich an die Brust fährt, als sie die ersten Anzeichen eines Infarkts spürt. Minuten oder auch eine Stunde später steht die Frau wieder auf, ihr aufgedunsenes Gesicht ein Spiegelbild der neuen Religion, einem einzigartig brutalen Glauben.