»Verdammte Scheiße«, murmelt Philip unter der Verkaufstheke. Dann dreht er sich zerknirscht zu Penny um. »Tut mir leid, wenn ich solche Worte benutze, Schatz.«
Sie sehen sich in der Autowerkstatt um. Die Werkstatt ist makellos sauber und sicher. Die Böden sind gefegt, die Regale geordnet, und es riecht nach neuem Gummi und den flüchtigen Gerüchen von Benzin und Lösungsmitteln. Hier können sie die Nacht verbringen. Die beste Entdeckung machen sie jedoch erst, als sie die Garage genauer unter die Lupe nehmen.
»Wow! Das ist fast ein Panzer«, sagt Brian. Er steht auf dem kalten Betonboden und richtet seine Taschenlampe auf das schwarze Unding, das von einer Plane bedeckt ist.
Die anderen treten zu ihm. Sie stellen sich um das einzige Fahrzeug, das sich in der Garage befindet. Philip reißt die Plane herunter. Es handelt sich um einen Cadillac Escalade neueren Baujahrs in einem großartigen Zustand. Die schwarze Farbe glänzt im gelben Licht der Lampe.
»Der hat wahrscheinlich dem Besitzer der Werkstatt gehört«, vermutet Nick.
»Heute sind anscheinend Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen«, freut sich Philip und stößt mit dem Fuß gegen einen der Reifen. Der Luxus-SUV ist gigantisch. Er hat große, speziell geformte Stoßstangen, längliche Autoscheinwerfer und glänzende Chromfelgen. Er sieht wie ein Auto aus, das von einer Geheimorganisation der Regierung benutzt wurde. Die dunklen, getönten Scheiben spiegeln den Strahl von Brians Taschenlampe wider.
»Da sitzt aber niemand drin, oder?«, fragt Brian und richtet die Taschenlampe gezielt auf den Wagen.
Philip zieht seine Waffe heraus, öffnet eine Tür und hält den Lauf in den leeren, scheinbar unangetasteten Wagen. Er hat einer Innenausstattung aus Holz, Ledersitze und ein Armaturenbrett, das in einem Passagierflugzeug nicht fehl am Platz gewesen wäre.
»Ich wette, dass wir hier irgendwo auch den Schlüssel dazu finden«, sagt Philip.
Die Geschichte mit dem Polizisten und der Kirchengemeinde hat Penny noch weiter verstört. Sie verbringt die Nacht zusammengerollt in einigen Decken auf dem Boden der Werkstatt und nuckelt dabei unentwegt an ihrem Daumen.
»Das hat sie schon seit langem nicht mehr gemacht«, bemerkt Philip, der in ihrer Nähe auf einer Matratze sitzt und den letzten Rest Whiskey trinkt. Er trägt ein ärmelloses T-Shirt und seine schmutzige Jeans; die Stiefel stehen neben der Matratze. Nachdenklich nimmt er einen Schluck und wischt sich den Mund ab.
»Was?« Brian hockt seinem Bruder im Schneidersitz gegenüber. Penny liegt in der Mitte. Er trägt seinen blutverschmierten Mantel und sieht sich vor, nicht zu laut zu sprechen. Nick döst unweit von ihnen neben einer Werkbank. Er hat sich bereits in seinen Schlafsack zurückgezogen. Höchstens fünf Grad, wärmer ist es nicht in der Werkstatt.
»Den Daumen lutschen«, wiederholt Philip.
»Sie macht gerade eine Menge durch.«
»Da ist sie nicht allein.«
»Stimmt.« Brian starrt auf den Boden. »Aber das schaffen wir.«
»Schaffen? Was?«
Brian blickt seinem Bruder in die Augen. »Bis zum Flüchtlingslager. Ganz gleich, wo es ist … Wir werden es bestimmt finden.«
»Klar.« Philip leert die Flasche und stellt sie neben sich auf den Boden. »Wir werden das Lager garantiert finden – so wie die Sonne morgen aufgeht, alle Waisenkinder ein gutes Zuhause bekommen und die Tapferen stets als Sieger hervorgehen.«
»Was ist los?«
Philip schüttelt den Kopf. »Verdammt noch mal, Brian. Mach doch die Augen auf.«
»Bist du sauer auf mich?«
Philip steht auf und streckt sich. »Warum sollte ich gerade auf dich sauer sein, Kumpel? Geht doch alles seinen normalen Gang.«
»Was soll das heißen?«
»Nichts … Leg dich einfach hin. Der Schlaf wird dir gut tun«, meint Philip und geht zum Wagen. Er kniet sich hin und wirft einen Blick auf dessen Unterboden.
Brian steht mühsam auf. Sein Herz rast. Ihm ist schwindlig. Seinem Hals geht es besser, und selbst sein Husten hat sich nach den Tagen im Haus in Wiltshire Estates gelindert. Aber er fühlt sich bei Weitem noch nicht hundertprozentig gut. Aber wer tut das schon? Er tritt zu seinem Bruder. »Was soll das heißen – alles geht seinen normalen Gang?«
»Es ist, was es ist«, murmelt Philip, ohne ihn anzusehen.
»Du bist sauer auf mich, weil ich den Polizisten nicht umgebracht habe«, platzt Brian heraus.
Philip richtet sich auf und sieht seinen Bruder an. »Ich habe doch gesagt, du sollst dich schlafen legen.«
»Vielleicht fällt es mir schwerer, jemanden zu erschießen, der einmal ein Mensch war. Na und? Verklag mich doch.«
Philip packt Brian an seinem T-Shirt, wirbelt ihn um hundertachtzig Grad herum und stößt ihn gegen die Karosse des Escalade. Der Aufschlag raubt Brian einen Moment lang den Atem, und der Lärm weckt Nick. Auch Penny zuckt im Schlaf zusammen. »Jetzt hör mir mal gut zu«, knurrt Philip drohend. »Das nächste Mal, wenn du mir eine Knarre abnimmst, will ich, dass du sie auch benutzen kannst. Der Bulle war harmlos. Aber das wird nicht immer so sein, und ich werde garantiert nicht für alle Zeiten den Babysitter spielen. Hast du mich verstanden?«
Brian nickt. Seine Kehle ist vor Angst trocken geworden. »Ja, hab ich.«
Philip packt ihn noch härter. »Du solltest dir diesen ganzen Weicheier-Mist von wegen behüteter Kindheit schnellstmöglich aus dem Kopf schlagen, anfangen, deinen Mann zu stehen und ein paar Schädel einschlagen. Denn eines kann ich dir versprechen: Ehe es besser wird, wird es noch viel, viel schlimmer.«
»Verstanden«, antwortet Brian.
Philip lässt noch immer nicht von seinem Bruder ab. Seine Augen funkeln vor Wut. »Wir werden diese Sache überleben, indem wir größere Monster werden als die da draußen! Kapiert? Es gibt keine Regeln mehr! Keine Philosophie und vor allem keine Gnade oder Schonfrist. Es gibt nur die und uns, und alles, was diese Monster wollen, ist es, uns aufzufressen! Was machen wir also? Wir fressen die auf! Wir schnappen sie uns und spucken sie wieder aus, und wir werden das Ganze überleben, oder ich werde höchstpersönlich ein riesiges Loch in diese verrückte Welt sprengen! Verstehst du? VERSTEHST DU?«
Brian nickt panisch.
Philip lässt ihn los und wendet sich ab.
Mittlerweile ist Nick ganz wach geworden. Er setzt sich auf und starrt die beiden verdutzt an.
Pennys Augen sind ebenfalls weit aufgerissen. Sie nuckelt wie wild an ihrem Daumen und blickt ihrem Vater hinterher, der durch die Werkstatt zu tigern beginnt. Als er an den Toren vorbeikommt, hält er inne und starrt durch die eisernen Gitterstäbe nach draußen in die Nacht, die Hände zu Fäusten geballt.
Am anderen Ende der Werkstatt lehnt Brian noch immer am Escalade und ficht eine stille Schlacht mit sich selbst, um nicht wie ein Weichei loszuheulen, das eine behütete Kindheit genießen durfte.
Am nächsten Morgen erhellt eine schwache Herbstsonne ihre Bleibe. Hastig nehmen sie ihr Frühstück in Form von Müsliriegeln und Wasser zu sich, ehe sie das Benzin aus drei Zwanzig-Liter-Kanistern in den Tank des Escalade schütten und ihre Habe in den Wagen packen. Die getönten Scheiben sind feucht von Kondenswasser. Brian und Penny machen es sich wie immer auf der Rückbank bequem, während Nick neben dem Tor steht und auf Philips Zeichen wartet. Da der Strom ausgefallen ist – anscheinend in der ganzen Stadt –, müssen sie das Tor manuell bedienen.
Philip setzt sich hinter das Lenkrad des Escalade und startet den Wagen. Der riesige V8-Motor mit sechs Litern Hubraum beginnt zu schnurren, und das Armaturenbrett leuchtet auf. Philip legt den ersten Gang ein, gibt Nick ein Zeichen und beginnt langsam vorwärts zu fahren.