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Philip wischt sich den Mund ab und überlegt. Er weiß nicht, wie er die Frau einschätzen soll.

»Los!«, drängt sie die Gruppe. »Ehe sie uns riechen!« Sie will, dass die Leute ihr ins Gebäude folgen. Wahrscheinlich hat sie nicht vor, ihnen etwas anzutun. Aber so, wie sie mit der Pistole in der Luft herumfuchtelt, würde es Philip nicht wundern, wenn die Waffe überhaupt nicht geladen wäre. Da erklärt sie: »Und wehe, wenn ein Beißer euch hier hereinkommen sieht!«

Philip ist die Sache nicht ganz geheuer. Er hält inne, ehe er die Straße überquert. »Wie viele seid ihr?«, ruft er der Frau leise zu.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite seufzt die Frau genervt auf. »Heilige Scheiße! Wir bieten euch Essen und einen Zufluchtsort. Jetzt aber schnell!«

»Wie viele?«

»Verdammt! Willst du, dass wir euch helfen oder nicht?«

Philip umklammert den Griff seiner Pistole noch fester. »Erst will ich eine Antwort.«

Erneut seufzt sie auf. »Drei. Wir sind drei. Zufrieden? Jetzt ist wirklich eure letzte Chance. Ich gehe sonst allein wieder hinein, und dann wird es euch hier draußen schlecht ergehen.« Sie hat den typisch schleppenden Akzent von Georgia, doch es ist auch klar, dass sie längere Zeit in einer großen Stadt gelebt haben muss. Vielleicht sogar im Norden der Vereinigten Staaten.

Philip und Nick wechseln einen Blick. Das ferne Geräusch der Zombies wird vom Wind zu ihnen getragen und kündet den bevorstehenden Ansturm der Monster deutlich an. Nervös rückt Brian Penny auf seinem Rücken zurecht und wirft einen Blick über die Schulter die Straße hinunter. Dann fixiert er seinen Bruder. »Was bleibt uns anderes übrig?«

»Er hat recht, Philly«, flüstert Nick und schluckt seine Angst hinunter.

Erneut mustert Philip die Frau auf der anderen Straßenseite. »Wie viele Frauen, wie viele Männer?«

Ihre Antwort lautet: »Hast du einen Fragebogen zum Ausfüllen? Ich gehe jetzt rein. Viel Glück. Das werdet ihr brauchen.«

»Warte!«

Philip nickt den anderen zu, und sie überqueren gemeinsam die Straße.

»Habt ihr Zigaretten dabei?«, fragt die Frau, als sie in die Vorhalle des Gebäudes tritt, die Tür hinter ihnen zumacht und mithilfe eines behelfsmäßigen Riegels sichert. »Zehn Zigarettenstummel, mehr gibt es hier nicht.«

Sie hat offenbar schon einiges mitgemacht. Ihr Kinn ist vernarbt, an den Wangen sind Blutergüsse und Quetschungen zu sehen, und das eine Auge ist so blutunterlaufen, dass es eine leichte Blutung haben könnte. Aber hinter diesem heruntergekommenen Äußeren sieht Philip eine attraktive Frau mit kornblumenblauen Augen und einer Bräune, die man sonst nur von Farmermädchen kennt – eine Art schlichte, wartungsarme Schönheit. Mit der trotzigen Neigung ihrer Kopfes und den üppigen Kurven unter dem übergroßen Pullover macht sie allerdings eher den Eindruck eines Vollblutweibs – und mit Vollblutweibern legt man sich besser nicht an.

»Sorry, wir sind alle Nichtraucher«, erwidert Philip.

»Ihr seht so aus, als ob es euch da draußen ganz schön durchgeschüttelt hätte«, sagt die Frau und führt sie durch einen übel riechenden Hausflur voller Müll und mit achtzehn Briefkästen und Klingeln an einer Seite. Brian setzt Penny ab. Das Mädchen wankt einen Moment lang, fängt sich aber. Der Gestank von Zombies und Schimmel hängt in der Luft. Das Gebäude macht keinen sonderlich sicheren Eindruck.

Die junge Frau kniet sich vor Penny hin. »Du bist aber ein süßes Mädchen.«

Penny antwortet nicht, sondern starrt zu Boden.

Die Frau blickt zu Brian auf. »Gehört die zu dir?«

»Nein, zu mir«, antwortet Philip.

Die Frau streicht Penny eine schwarze, verfilzte Strähne aus dem Gesicht. »Ich heiße April, mein Kleines. Und wie heißt du?«

»Penny.«

Pennys Stimme klingt so zittrig und erschöpft, dass sie eher an das klägliche Miauen eines jungen Kätzchens erinnert. Die Frau lächelt und legt Penny sanft eine Hand auf die Schulter, ehe sie sich aufrichtet und die Männer anblickt. »Dann gehen wir besser mal hinein, ehe wir noch welche von diesen Monstern auf uns aufmerksam machen.« Sie geht zu einer Klingel mit einer Gegensprechanlage und drückt auf den Knopf. »Dad, lass uns bitte rein.«

Es ertönt ein Rauschen, dann eine Stimme. »Nicht so schnell, mein Mädchen.«

Philip packt April am Arm. »Ihr habt hier Strom

Sie schüttelt den Kopf. »Leider nein … Die Gegensprechanlage funktioniert mit Batterien.« Sie drückt erneut auf den Knopf. »Dad, nun mach schon.«

Wieder ein Rauschen, gefolgt von der Stimme: »Und wie sollen wir wissen, dass wir diesen Kerlen vertrauen können?«

Klick. »Lässt du uns jetzt hinein oder nicht?«

Rauschen. »Sag ihnen, dass sie ihre Gewehre und Waffen vorher abgeben müssen.«

Sie seufzt erneut und wendet sich an Philip, der den Kopf schüttelt und ihr einen Blick zuwirft, der so viel sagt wie: nie im Leben.

Klick. »Um Himmels willen, sie haben ein kleines Mädchen bei sich. Ich vertraue ihnen.«

Rauschen. »Und Hitler mochte Tiere … Wir haben keine Ahnung, mit wem wir es hier zu tun haben.«

Klick. »Dad. Jetzt öffne endlich die verdammte Tür!«

Rauschen. »Du hast selbst erlebt, was in Druid Hills passiert ist.«

April schlägt mit der Faust auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Das hier ist nicht Druid Hill! Und jetzt lass uns verdammt noch mal endlich rein, ehe wir hier Wurzeln schlagen!«

Es ertönt ein metallenes Surren, das von einem lauten Klicken abgelöst wird, als das automatische Schloss der inneren Sicherheitstür aufgeht. April führt sie durch den Eingang in einen verstaubten, sauer riechenden Flur, von dem aus drei Wohnungstüren abführen. Am Ende des Flurs ist eine Metalltür, auf der das Wort TREPPE steht. Allerdings ist sie mehr oder weniger komplett mit Brettern vernagelt.

April klopft an der letzten Tür rechts – Apartment 1C. Kurz darauf öffnet eine schwergewichtigere, ältere und gröbere Version von April die Tür. »Ach, ist das ein süßes Mädchen! Wie reizend!«, verkündet die Frau, nachdem sie Penny erspäht hat, die Brians Hand hält. »Rein mit euch … Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, endlich mal Leute zu treffen, die ihren Speichel im Mund halten können.«

Aprils Schwester, die sich als Tara vorstellt, ist mollig und etwas grobschlächtig. Sie riecht nach Tabak und billigem Shampoo und trägt ein verschossenes hawaiianisches Blumenkleid, um ihre Wülste zu verhüllen. Ihr Dekolleté quillt wie Brotteig aus dem Stoff, und auf dem Ansatz einer Brust hat sie ein Tattoo von Woody Woodpecker. Sie besitzt die gleichen auffallenden Augen wie ihre jüngere Schwester, hat diese aber stark mit Kajalstift und einem stahlblauen Lidschatten geschminkt. Ihre langen künstlichen Fingernägel machen den Eindruck, als ob sie auch Dosen öffnen könnten.

Philip betritt als Erster die Wohnung. In der Hand hält er noch immer die Ruger.

Die anderen folgen ihm.

Er bemerkt kaum das unordentliche Wohnzimmer mit den Kleidern, die über Stuhllehnen geworfen wurden, den ramponierten Taschen an einer Wand und den merkwürdig geformten Instrumentenkoffern, die an einer Schiebetür lehnen. Auch die kleine Kochnische mit den Kisten voller Dosen und Proviant und dem schmutzigen Geschirr in der Spüle zu seiner Linken nimmt er fast nicht wahr. Selbst den Geruch nach abgestandenem Zigarettenrauch, muffigen Klamotten und altem Schweiß registriert er nur schwach.

Das Einzige, worauf er sich in diesem Augenblick konzentrieren kann, ist der Lauf eines Zwölf-Kaliber-Gewehrs, der direkt auf ihn gerichtet ist.

»Keinen Schritt weiter«, sagt der alte Mann, der das Gewehr in Händen hält und auf dem Schaukelstuhl an der gegenüberliegenden Wand sitzt. Er ist ein schlaksiger alter Kauz mit der gleichen Farmerbräune wie seine Töchter und einem Gesicht, das wie aus Holz geschnitzt aussieht. Dazu kommen seine stahlgrauen Haare im kurzen Bürstenschnitt und klare blaue Augen. Der dünne Schlauch einer Sauerstoffanlage verläuft unter seiner Nase, und das dazugehörige Gerät steht direkt neben ihm wie ein nicht von seiner Seite weichendes Haustier. Er passt kaum in die engen Jeans und das Flanellhemd, seine weißen, haarigen Knöchel lugen zwischen Schuhen und Hosenbein hervor.