Выбрать главу

April lächelt ihn an. »Tja, nun … So nah und doch so fern.«

»Was?« Philip starrt sie an und hebt den Blick dann langsam Richtung Decke. »Ach ja … Richtig.« Er hat die Geräusche von oben auch gehört. Jetzt herrscht wieder Ruhe, aber das Schlurfen und die ächzenden Böden der über ihnen liegenden Wohnungen meldeten sich mit Unterbrechungen den ganzen Abend lang immer wieder. Sie waren da. Man konnte sie zwar nicht sehen, aber sie waren in unmittelbarer Nähe. Die Tatsache, dass Philip die Geräusche kaum noch beachtet, zeigt, dass ihn die Untoten und ihre Präsenz kaum noch berühren. »Wie sieht es mit den anderen Wohnungen in dieser Etage aus?«

»Die haben wir bereits leer gegessen und jedes noch so kleine, brauchbare Teil mitgenommen.«

»Was ist in Druid Hills passiert?«, erkundigt er sich nach einer kurzen Pause.

April seufzt. »Man hat uns gesagt, dass es dort ein Flüchtlingslager gibt. Gab es aber nicht.«

Philip sieht sie an. »Und?«

April zuckt mit den Schultern. »Wir sind dort angekommen und haben einen Haufen Leute getroffen, die sich bei einem Altmetallhändler verschanzt hatten. Leute wie wir. Sie hatten Angst und waren verwirrt. Wir haben versucht, mit ihnen zu reden, denn wir wollten, dass sie mit uns kommen. Zusammen sind wir stark und so.«

»Und dann?«

»Sie hatten wohl zu viel Angst, um mit uns zu kommen, wollten aber auch nicht bleiben.« April blickt zu Boden. Das Licht der flackernden Kerzen spielt in ihrem Gesicht. »Wir haben ein Auto gefunden, das noch funktionierte. Also sammelten wir etwas Proviant und machten uns auf. Doch dann hörten wir Motorräder, als wir losfuhren.«

»Motorräder?«

Sie nickt und reibt sich die Augen. »Wir waren gerade mal eine Viertelmeile gefahren und kamen um diesen Hügel. Da hörten wir Schreie in der Ferne. Als wir uns umdrehten und das Tal zurück zum Altmetallhändler blickten … Ich weiß auch nicht. Das war wie aus Mad Max II – Der Vollstrecker oder so ähnlich!«

»Wie denn?«

»Diese Motorradtypen haben alles verwüstet, ganze Familien wurden ausgerottet und wer weiß, was sie sonst noch angestellt haben. Das war kein schöner Anblick. Und das Komische daran ist: Es ist uns nicht nur nahegegangen, dass wir dem nur knapp entgingen. Ich glaube, das Schlimme war das Schuldgefühl. Wir wollten zurück und helfen und gute Mitmenschen sein und so. Aber wir sind nicht umgekehrt.« Sie blickt Philip in die Augen. »Weil wir keine guten Mitmenschen sind. Von den Leuten hat niemand überlebt.«

Philip betrachtet nachdenklich Penny. »Ich kann verstehen, warum dein Dad nicht entzückt von der Idee war, hier Untermieter zu haben.«

»Seitdem wir das mit dem Altmetallhändler durchmachten, ist er geradezu paranoid, sobald wir Überlebende treffen – vielleicht schlimmer als den Beißern gegenüber.«

»Beißer … So nennt ihr die immer. Wem ist das denn eingefallen?«

»Mein Dad hat das Wort das erste Mal benutzt. Und danach hat es sich so eingebürgert.«

»Finde ich gut.« Philip lächelt sie erneut an. »Und ich mag deinen Vater. Er kümmert sich, und ich kann es ihm nicht ankreiden, dass er skeptisch uns gegenüber war. Er scheint ein harter Brocken zu sein, und das respektiere ich. Wir brauchen mehr von der Sorte.«

April seufzt. »Er ist nicht mehr so hart, wie er es früher einmal war. Leider.«

»Was hat er? Lungenkrebs?«

»Eine Lungenaufblähung.«

»Hört sich nicht gut an«, meint Philip und bemerkt dann etwas, was ihn tief ins Herz trifft.

April Chalmers fährt mit der Hand über Pennys Schulter und streichelt sie beinahe abwesend, während das kleine Mädchen schläft. Es ist eine solch zarte und unerwartete Geste – so natürlich –, dass sie Philip tief im Innersten berührt und etwas weckt, das er schon fast vergessen hatte. Zuerst erkennt er das Gefühl kaum wieder. Seine Verwirrung muss sich in seiner Miene widergespiegelt haben, denn April sieht ihn fragend an.

»Alles klar?«

»Ja … Mir geht es gut.« Er fährt mit den Fingern über das Pflaster an seiner Schläfe, wo er sich während der Autofahrt den Kopf angeschlagen hat. Die Chalmers holten ihren Verbandskasten hervor, und die Neuankömmlinge wurden noch vor dem Abendessen medizinisch versorgt. »Wie wäre es?«, beginnt Philip. »Du legst dich jetzt hin, und morgen früh werden die Jungs und ich die oberen Stockwerke ausräumen.«

Sie mustert ihn einen Moment lang, und es hat den Anschein, als ob sie sich fragt, ob sie ihm trauen kann oder nicht.

Am Tag darauf, kurz nach dem Frühstück, beweist Philip April, dass er seine Versprechen hält. Er ruft Nick zu sich, schnappt sich die Magazine für die Ruger und eine Schachtel Munition für eines der Marlin-Gewehre. Die beiden scharfen kleinen Äxte steckt er in den Gürtel und reicht Nick vorsichtshalber einen Pickel für einen etwaigen Nahkampf.

Unter der Tür hält er noch einmal inne und kniet sich hin, um die Schuhe noch einmal zuzuschnüren. Seine Stiefel sind so schmutzig von Blut, Gewebe und Schlamm, dass man meinen könnte, die schrecklichen Muster wären aus schwarzer und lilafarbener Seide aufgestickt.

»Passt auf«, mahnt der alte David Chalmers aus der Kochecke. Er sieht grau aus. Im frühen Morgenlicht macht er einen ausgelaugten Eindruck, während er sich auf den Metallrahmen lehnt, an dem sein Sauerstofftank befestigt ist. Aus dem Schlauch unter seiner Nase entweicht bei jedem Atemzug ein leiser Pfeifton. »Ihr habt keine Ahnung, was euch dort erwartet.«

»Keine Angst«, versichert Philip, steckt sein Jeanshemd in die Hose und holt noch einmal die Äxte hervor, um sich zu vergewissern, dass sie locker aus dem Gürtel gleiten. Nick steht neben ihm, das Gewehr über die Schulter geworfen. Sein Gesichtsausdruck ist ausdruckslos – eine Mischung aus grimmiger Entschlossenheit und Erwartung.

»Die meisten von ihnen werden im ersten Stock auf euch warten«, fügt der alte Mann hinzu.

»Denen werden wir zeigen, wo es langgeht.«

»Haltet euch einfach den Rücken frei.«

»Werden wir«, erwidert Philip, richtet sich auf und rückt die Äxte zurecht.

»Ich komme mit.«

Philip dreht sich um und sieht sich Brian mit einem sauberen T-Shirt gegenüber. Es hat ein M.-Logo auf der Brust, der Stolz von Athens. Seine Miene ist finster und ebenfalls entschlossen. In den Armen hält er das andere Gewehr, als ob es ein lebendiges Tier wäre.

»Bist du dir sicher?«

»Klar.«

»Und was ist mit Penny?«

»Die Frauen passen auf sie auf.«

»Ich weiß nicht.«

»Komm schon«, drängt Brian. »Ihr braucht noch ein paar Augen da oben. Ich mache mit.«

Philip überlegt. Er lässt seinen Blick durch das Wohnzimmer wandern und sieht seine Tochter, die im Schneidersitz auf dem Boden zwischen den beiden Chalmers-Töchtern sitzt. Sie sind beim Kartenspielen, die Karten sind alt und speckig, aber es ist das erste Mal seit langem, dass Philip Penny lächeln sieht. Außerdem ist sie richtig aktiv am Mitspielen. Philip wendet sich seinem Bruder zu, lächelt ihn an und meint: »Also gut, einverstanden!«

Sie nehmen die Treppe am Ende des Flurs, denn die Lifte am anderen Ende des Gangs sind so tot wie die Zombies. Doch zuerst müssen sie die Bretter abreißen, mit denen die Treppe vernagelt ist. Die Schläge und das Quietschen der Nägel scheinen die Zombies oben in den dunklen Zimmern aufzuwecken. Vor Anstrengung muss Philip einmal kurz furzen – eine Erinnerung an Aprils Bohnengericht am Abend zuvor.

»Der reicht, um mehr Zombies auszulöschen als jedes Gewehr«, bemerkt Nick.

»Sehr witzig«, meint Philip und reißt das letzte Brett von der Wand.

Die Treppe liegt düster vor ihnen. Philip meldet sich zu Wort: »Also, noch einmal. Ihr müsst schnell sein. Die Kerle sind zwar glitschig, aber langsamer als ein Stück Mist – und dümmer als unser guter Nick hier.«