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April scheint diese Zeit besser zu verkraften als ihre Schwester. Sie räumt die Sachen ihres Vaters aus und zieht mit Sack und Pack ins Schlafzimmer, sodass Philip ihr altes Zimmer haben kann. Er richtet es für Penny gemütlich ein und stellt unter anderem einige Malbücher, die er in den anderen Wohnungen gefunden hat, auf die Regale.

Das Mädchen hat April ins Herz geschlossen. Sie verbringen Stunden zusammen, erkunden die anderen Zimmer, spielen miteinander und experimentieren, wie man ihre kargen Essensrationen auf einem Spiritusbrenner zu einem kreativen Abendessen umgestalten kann. Paradebeispiel wird ein Auflauf aus zerbröseltem Beef-Jerky, Pfirsich und Rosinen mit Gemüse aus der Dose – und dazu weiteres zerbröseltes Beef-Jerky als Garnitur.

Allmählich lösen sich die Schwaden der Untoten in der unmittelbaren Umgebung des Hauses auf. Einzelne Nachzügler hängen noch herum, sodass die Blake-Brüder und Nick bei ihren Einsätzen in der Nachbarschaft noch einmal so richtig wüten können. Philip merkt, dass Brian immer verwegener wird und sich sogar aus dem Haus traut – wenn auch nur kurz. Nick Parsons blüht geradezu auf.

Er richtet sich in einem Zimmer in einem Apartment am östlichen Ende des Flurs im ersten Stock ein – es ist Wohnung 2F –, und sucht Bücher und Magazine aus den anderen Wohnungen zusammen, bis er sich einigermaßen bequem eingerichtet hat. Zudem verbringt er viel Zeit auf dem Balkon, wo er Skizzen von der Umgebung anfertigt, Karten herstellt, die Bibel liest, Gemüse anbaut und viel über den Zustand der Menschheit im Allgemeinen nachdenkt.

Außerdem baut er die wackelige Laufplanke zum angrenzenden Gebäude fertig.

Der schmale Steg besteht aus Sperrholz und Malerleitern, die mit Stricken und Isolierband – und einer großen Portion Hoffnung – zusammengehalten werden. Die Brücke weist immerhin eine Spannweite von acht Metern auf und führt vom Sims ihres Gebäudes über eine Gasse hin zur Feuerleiter des gegenüberliegenden Hauses.

Die Fertigstellung der Planke bewirkt so einiges bei Nick, denn schon bald nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und läuft über die wackelige Konstruktion. Genau wie er es vorhergesagt hat, gelingt es ihm, sich bis zu dem Gebäude an der südöstlichen Ecke der Kreuzung vorzuarbeiten, ohne einen Fuß auf die Straße setzen zu müssen. Drüben findet er den Zugang zu der überdachten Fußgängerbrücke des Kaufhauses. Als er abends zurückkommt, bringt er eine Ladung Geschenke mit, die er bei Dillard’s eingepackt hat. Seine Wiederkehr gleicht der eines Kriegshelden.

Als Erstes packt er feinste Naschereien und Nüsse aus, dann folgen warme Kleidung, Schuhe und gestanztes Briefpapier, teure Federhalter und Kulis, ein zusammenklappbarer Camping-Kocher, Bettlaken aus Satin und luxuriöse, dicht gewebte Bettwäsche. Für Penny hat er Stofftiere mitgebracht. Auch Tara freut sich beim Anblick schön eingepackter europäischer Zigaretten. Nick treibt noch etwas anderes während seiner Soloausflüge an – etwas, das er allerdings vorerst für sich behält.

Eine Woche nach David Chalmers’ Tod schlägt Nick vor, Philip solle ihn einmal bei einem seiner Ausflüge begleiten. Dann würde er ihm auch zeigen, womit er seine Zeit verbracht habe. Philip ist bei dem Gedanken, den wackeligen Laufsteg zu überqueren, nicht gerade begeistert. Er gibt vor, sich Sorgen zu machen, ob das Gebilde sein Gewicht auch trägt. Aber in Wirklichkeit leidet er unter Höhenangst. Das weiß nur niemand. »Philly, das musst du dir anschauen«, schwärmt Nick auf dem Dach. »Die Gegend hier ist eine einzige Goldmine. Du wirst schon sehen, Mann!«

Trotz seines inneren Widerstands willigt Philip endlich ein, sich über den Laufsteg zu wagen. Auf Händen und Knien krabbelt er Nick hinterher und murrt dabei unentwegt, um seine Todesangst vor seinem Freund zu verbergen. Er traut sich nicht, nach unten zu schauen.

Endlich kommen sie am anderen Ende an, springen auf das Dach, klettern die Feuerleiter hinab und verschwinden durch ein offenes Fenster im benachbarten Haus.

Nick führt Philip durch die menschenleeren Korridore der Bürogebäude, in denen Steuerformulare und Dokumente herumflattern oder wie gefallenes Laub auf dem Boden liegen. »Wir sind gleich da«, versichert Nick seinem Freund und tänzelt eine Treppe hinunter, die in einem trostlosen Vorraum voll umgestürzter Möbel endet.

Philip macht sich Sorgen wegen der hallenden Schritte in den leeren Fluren. Jedes Mal, wenn er auf ein Stück Holz oder Schutt tritt, knarrt und knarzt es laut. Jeder blinde Fleck oder leere Raum lässt sein Herz schneller schlagen. Er nimmt jedes Geräusch wahr und wartet nur auf den Augenblick, in dem Zombies hervorkommen und sie attackieren. Seine Hand ruht stets auf dem Griff seines Revolvers, der wie gewöhnlich in seiner Jeans steckt. »Hier, wir müssen zum Parkhaus«, meint Nick und deutet in die Richtung.

Um die Ecke, vorbei an einem umgeworfenen Verkaufsautomaten, eine Treppe hoch, durch eine unmarkierte Metalltür – und plötzlich, ohne Vorwarnung, eröffnet sich für Philip eine neue Welt.

»Heiliger Strohsack!«, staunt Philip, als er Nick über die Brücke folgt. Sie ist voll Unrat und stinkt nach Urin. Die dicken Sicherheitsglasscheiben sind so mit Ruß verschmutzt, dass das Stadtbild von draußen nur verzerrt in den übel riechenden Gang eindringt. Aber der Ausblick ist nichtsdestoweniger spektakulär. Die Brücke ist lichtdurchflutet, und man kann kilometerweit in alle Richtungen blicken.

Nick bleibt stehen. »Nicht schlecht, oder?«

»Wahnsinn, Mann.« Sie befinden sich zehn Meter über der Straße. Der Wind peitscht gegen den überdachten Gang. Unter ihnen sieht Philip vereinzelte Zombies wie exotische Fische in einem Aquarium vorbeipendeln. Er fühlte sich wie in einem Glasbodenboot. »Wenn es diese üblen Monster nicht gäbe, würde ich das Penny zeigen.«

»Ich habe dich eigentlich aus einem anderen Grund mitgenommen«, erklärt Nick und geht etwas weiter. »Siehst du den Bus? Ungefähr einen halben Häuserblock von hier?«

Philip kann ihn gut erkennen – ein großes, silberfarbenes Fahrzeug des städtischen Transportunternehmens MARTA.

»Über der Tür beim Spiegel rechts. Siehst du es?«

Tatsächlich. Philip erkennt eine Art Symbol. Es steht über der Eingangstür und wurde mit der Hand hingekritzelt. Ein hastig gesprühter roter Stern mit fünf Zacken. »Und was soll das?«

»Die Zone ist sicher.«

»Die was?«

»Ich habe mich ein bisschen in der Gegend umgeschaut – die Straße hier hinunter und die andere wieder hoch«, erklärt Nick mit dem naiven Stolz eines kleinen Jungen, der seinem Vater die erste selbstgebastelte Seifenkiste zeigt. »Da drüben ist ein Friseur. Lupenrein sauber und sicher wie eine Bank. Die Tür ist nicht einmal abgeschlossen.« Dann deutet er weiter die Straße hinauf. »Da um die Ecke steht ein leerer Sattelanhänger, der noch relativ in Ordnung ist. Er steht einfach da und hat eine richtig widerstandsfähige … Wie heißt es noch mal? Falttür? Hinten – du weißt schon.«

»Nick, was soll das?«

»Es sind alles sichere Zonen. In denen man sich schnell mal verstecken kann. Sagen wir, du bist gerade dabei, Proviant zu holen, und es passiert etwas. Sichere Zonen gibt es überall. Jeden Tag finde ich eine neue. Und ich markiere sie, sodass wir alle Bescheid wissen. Es gibt so viele Verstecke, man sollte es nicht glauben.«

Philip blickt ihn an. »Du bist bis zum Ende der Straße gegangen? Allein?«

»Natürlich. Weißt du …«

»Verdammt noch mal, Nick! Du solltest dich nicht so weit hinauswagen. Vor allem nicht ohne Verstärkung.«

»Philly …«

»Nein! Dein ›Philly‹ kannst du dir in diesem Fall sparen, Mann. Ich meine es ernst. Ich will, dass du dich vorsiehst, verstehst du mich? Ich meine es todernst.«