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»Okay, okay. Ist ja gut.« Nick schlägt Philip zur Beruhigung auf den Oberarm. »Ich hab’s kapiert.«

»Gut.«

»Aber du musst zugeben – das hier ist cool. Vor allem, wenn man bedenkt, in welcher Scheiße wir stecken.«

Philip zuckt mit den Schultern und schaut auf die Straße mit den kleinen Kannibalenfischen, die ziellos umherirren. »Ja, nicht übel.«

»Wir könnten es schlechter getroffen haben, Philly. Die Gebäude hier sind niedrig, sodass man die Gegend gut überblicken kann. Außerdem haben wir genügend Platz in unserem Haus, um uns nicht gegenseitig auf die Zehen zu treten, und es gibt Lebensmittelläden und andere Geschäfte direkt um die Ecke. Ich glaube, wir könnten sogar einen Generator auftreiben und vielleicht ein Auto kurzschließen, um ihn zu uns zu transportieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir es uns in diesem Haus noch ein wenig gemütlicher einrichten, Philly … Ich weiß nicht … Vielleicht sogar für länger.« Er scheint den Gedanken zu mögen. »Vielleicht für immer … Verstehst du?«

Philip starrt durch die schmierigen Scheiben auf die Totenstadt voll leerer Gebäude und umherwandelnder Zombies. »Inzwischen ist alles für immer, Nicky.«

Brian fängt in der Nacht wieder zu husten an. Das Wetter hat umgeschlagen. Mit jedem Tag wird es kälter und feuchter, und Brians Immunsystem hat mit den neuen Bedingungen zu kämpfen. Kaum ist die Sonne untergegangen, kühlt die Wohnung radikal ab. Am nächsten Morgen fühlt sie sich wie eine Tiefkühltruhe an, und der Boden unter Brians Socken hat sich in eine Eisfläche verwandelt. Mittlerweile trägt er drei Pullover und einen gestrickten Schal, den ihm Nick von Dillard’s mitgebracht hat. Mit seinen fingerlosen Handschuhen, dem Schopf widerspenstiger schwarzer Haare und seinen eingefallenen Edgar-Allan-Poe-Augen sieht er immer mehr wie ein Obdachloser aus einem Charles-Dickens-Roman aus.

»Ich glaube, dass es Penny guttut, hier zu sein«, meint Brian zu Philip, als sie abends auf einem Balkon im ersten Stock stehen. Die Blake-Brüder genießen ein Glas des billigen Weins nach dem Abendessen und betrachten die desolate Skyline. Die kühle Abendbrise zerzaust ihnen die Haare, und der Gestank der Zombies lauert hinter dem Geruch frischen Regens.

Brian starrt auf die entfernten Silhouetten dunkler Gebäude, als ob er in Trance verfallen wäre. Für jemanden im Amerika des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist es so gut wie unmöglich, eine große Metropole stockfinster zu sehen. Aber genau das ist der Anblick, der sich jetzt den Blake-Brüdern bietet: eine Skyline so schwarz, dass sie einem Gebirgszug bei Neumond gleicht. Ab und zu glaubt Brian, das Flackern eines Feuers oder ein aufblitzendes Licht inmitten des schwarzen Nichts zu erkennen, aber vielleicht bildet er es sich auch nur ein.

»Ich glaube, dass diese Frau, diese April, für Penny am besten überhaupt ist«, gibt Philip zu bedenken.

»Ja, die beiden verstehen sich.« Brian hat sich selbst mehr als nur an April gewöhnt. Auch die Tatsache, dass sich Philip vielleicht in sie verliebt hat, ist ihm nicht entgangen. Nichts würde Brian glücklicher machen, als dass sein Bruder endlich wieder etwas Ruhe und Stabilität in der Beziehung zu einer Frau finden könnte.

»Die andere ist allerdings völlig daneben«, meint Philip nach einer Weile.

»Tara? Ja, die ist unberechenbar.«

Während der letzten Tage hat Brian versucht, Tara Chalmers aus dem Weg zu gehen. Sie gleicht einem wandelnden Geschwür – gereizt, paranoid und in tiefer Trauer um ihren Vater. Aber Brian glaubt, dass sie das irgendwann verarbeiten und überwinden wird. »Eigentlich scheint sie ganz nett zu sein.«

»Sie begreift nicht, dass ich ihr das Leben gerettet habe«, giftet Philip.

Brian hustet drei- oder viermal und meint dann: »Darüber wollte ich mit dir reden.«

Philip blickt ihn an. »Worüber?«

»Darüber, dass sich der alte Mann so verwandelt hat.« Brian wählt seine Worte mit Bedacht. Er weiß, dass er nicht der Einzige ist, der sich darüber Sorgen macht. Seit David Chalmers von den Toten zurückgekehrt ist, um seine ältere Tochter zu verschlingen, hat sich Brian den Kopf darüber zerbrochen, wie so etwas passieren kann, welche Schlussfolgerungen man daraus zieht und welche Regeln man in dieser wilden, unkontrollierten Welt aufstellen kann. Überhaupt: Wie soll es mit der Menschheit weitergehen? »Denk doch mal nach, Philip. Er ist nicht gebissen worden – oder?«

»Nein, ist er nicht.«

»Warum also hat er sich verwandelt?«

Einen Augenblick lang starrt Philip seinen Bruder ausdruckslos an, und die Finsternis um sie herum scheint sich zu vertiefen. Es ist, als ob die Stadt in der unendlichen Weite eines Traumes stecken würde. Brian läuft es kalt den Rücken runter – als ob die Tatsache, dass er es jetzt endlich ausgesprochen hat, einen übel gesonnenen Flaschengeist freigelassen hätte. Einen Flaschengeist, den man nicht wieder einfangen kann.

Philip nimmt einen Schluck Wein. Sein Gesicht ist wie versteinert. Das kann Brian trotz der Dunkelheit sehen. »Wir wissen so gut wie nichts. Vielleicht hat er sich schon früher infiziert. Vielleicht muss man einen von denen ja nur berühren, und dann arbeitet sich der Virus langsam in einen hinein. Auf jeden Fall hat der alte Mann so oder so auf dem letzten Loch gepfiffen.«

»Wenn das der Fall ist, dann sind wir alle …«

»He, Professor. Jetzt hör mal auf. Wir sind alle gesund, und ich habe nicht vor, dass sich daran etwas ändert.«

»Ich weiß. Ich will damit nur sagen … Vielleicht sollten wir uns Gedanken darüber machen, welche Vorsichtsmaßnahmen wir noch treffen können.«

»Vorsichtsmaßnahmen? Ich habe eine Vorsichtsmaßnahme direkt hier in meiner Hand.« Er greift an die Waffe in seiner Jeans.

»Ich rede von gründlich Hände waschen und Sachen sterilisieren.«

»Und womit?«

Brian seufzt und blickt zum Himmel hinauf. Die Wolken hängen tief – eine dunkle Suppe so finster wie schwarze Wolle. In der Ferne braut sich ein Unwetter zusammen. »Wir haben Wasser in den Toiletten«, fährt er fort. »Wir haben Filter und Propan, wir kommen sogar an Reinigungsmittel, wenn wir uns die Straße hinunterwagen – und Seife und Putzmittel und so.«

»Wir filtern doch das Wasser bereits, Junge.«

»Ja, aber …«

»Und waschen tun wir uns mit diesem Ding, das Nick gefunden hat.« Das ‚Ding’ ist eine Campingdusche, die Nick in der Sportabteilung von Dillard’s mitgenommen hat. Sie ist ungefähr so groß wie eine kleine Kühlbox und hat genug Platz für einen Zwanzig-Liter-Tank. Sie besitzt einen Schlauch mit Duschkopf und wird von einer batteriebetriebenen Pumpe versorgt. Schon seit fünf Tagen genießt jeder den Luxus einer kurzen Dusche, wobei sie das Wasser so gut es geht wiederverwenden.

»Ich weiß, ich weiß … Ich meine doch nur. Vielleicht ist es besser, wenn wir es mit der Sauberkeit ruhig etwas übertreiben. Zumindest so lange, bis wir mehr wissen.«

Philip wirft ihm einen Blick zu. »Und was ist, wenn es nichts weiter herauszufinden gibt?«

Brian antwortet nicht.

Die Stadt brummt weiter finster vor sich hin, und ein fauler, widerlicher Gestank weht ihnen ins Gesicht. Er sagt so viel wie: Fuck you!

Vielleicht ist es die merkwürdige Mischung unappetitlicher Zutaten, die April und Penny zum Abendessen auf dem Campingkocher zubereitet haben – ein Fraß aus Spargel im Glas, Formschinken und zerbröselten Kartoffelchips, der Philip wie ein Stein im Magen liegt. Vielleicht sind es aber auch der Stress, die Wut und die Schlaflosigkeit der letzten Wochen, die ihm zu schaffen machen. Oder war es doch die Unterhaltung mit seinem Bruder auf dem Balkon? Ganz gleich, woran es liegt – auf jeden Fall hat Philip Blake in jener Nacht einen langen und schrecklichen Traum.

Er liegt in seinem neuen Zimmer auf dem großen Doppelbett und wälzt sich unruhig von einer Seite auf die andere. Aprils ehemaliges Schlafzimmer war offensichtlich einmal ein Heimbüro, denn während sie es aufräumten, stießen April und Philip auf allerlei Bestellformulare für Kosmetika, Proben und Muster. Im Schlaf fällt er immer wieder in eine fiebrige Horrorshow. Es ist ein Traum ohne feste Form. Er besitzt weder Anfang noch Mitte oder Ende, sondern dreht sich einfach um den fürchterlichen, allgegenwärtigen Terror.