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Was Brian am meisten Sorgen macht, ist das Verhalten seines Bruders. Unter der Oberfläche seiner Verärgerung, seiner Wut und Frustration wirkt Philip Blake beinahe hoffnungslos. Das ist ein Hinweis, ein wichtiger Hinweis. Nur dumm, dass er nicht genügend Zeit hat, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

»Los, dann lasst uns gehen«, verkündet Philip, den Rucksack bereits geschultert. Er trägt seine Jeansjacke – der schwarze, schmierige Schmutz und das getrocknete Blut ihrer ersten Begegnungen mit den Zombies sind noch sichtbar – und geht zur Tür.

»Warte!«, hält Brian ihn auf und wendet sich an Tara. »Lass uns zumindest etwas zu essen mitnehmen. Für Penny.«

Sie wirft ihm einen kalten Blick zu. »Ihr kommt hier lebendig raus. Das reicht.«

»Los, Brian« fordert Philip seinen Bruder unter dem Türrahmen auf. »Es ist vorbei.«

Brian wirft ihm einen Blick zu. Etwas in Philips tief gefurchtem, verwitterten Gesicht rührt Brian. Philip gehört zur Familie. Sie haben viel zusammen durchgemacht und zu viel gemeinsam erlebt, um jetzt auf der Straße wie ausgesetzte Haustiere zu krepieren. Brian verspürt ein ungewohntes Gefühl, das sich in ihm zusammenbraut und ihn mit einer fremden Empfindung erfüllt, die ihm Kraft verleiht. »Gut«, sagt er schließlich. »Wenn es so sein soll …«

Er spricht den Satz nicht zu Ende. Es gibt nichts mehr zu sagen. Er legt einen Arm um Penny und führt sie aus der Wohnung, ihrem Vater hinterher.

Der Regen ist sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Er prasselt ihnen ins Gesicht, als sie aus der Tür auf die Straße treten. Aber als sie sich unter einem verkümmerten Baum in der Parkanlage zusammenkauern, um sich zu orientieren, merken sie, dass der Regen auch die Beißer von der Straße gefegt hat. Die Gullys fließen über, die Wassermassen bahnen sich einen Weg über den Teer, und die grauen Wolken hängen tief herab.

Nick schielt nach Süden in die Ferne. Die Straßen sind relativ frei. »Da entlang ist der beste Weg! Da sind die meisten Sicherheitszonen.«

»Alles klar, dann gehen wir nach Süden«, erklärt Philip und wendet sich an Brian. »Kannst du sie wieder auf die Schultern nehmen? Ich zähle auf dich, Kumpel. Pass auf sie auf.«

Brian wischt sich den Regen aus dem Gesicht und streckt dann den Daumen hoch, um sein Einverständnis zu signalisieren.

Er dreht sich zu Penny und erklärt ihr, dass er sie gleich auf seine Schultern heben wird, als er plötzlich innehält und sie ungläubig anstarrt. Auch sie streckt einen Daumen in die Luft. Brian wirft seinem Bruder einen Blick zu. Die beiden bedürfen keiner Worte, um einander zu verstehen.

Penny Blake steht da und wartet. Trotzig streckt sie ihr Kinn in die Höhe. Ihre sanften Augen blinzeln, um den Regen zu vertreiben, und ihr Gesichtsausdruck erinnert an den ihrer Mutter, wenn sie wieder einmal den Unsinn der Männer über sich ergehen lassen musste. Endlich sagt das Mädchen: »Ich bin kein Baby mehr … Können wir jetzt gehen?«

Sie arbeiten sich zur nächsten Ecke vor, wobei sie stets geduckt bleiben. Auf dem glitschigen Bürgersteig rutschen sie immer wieder aus. Der Regen verlangsamt ihr Vorankommen ungemein. Die Tropfen klatschen ihnen ins Gesicht, durchdringen ihre Kleidung und kriechen in ihre Gelenke. Es ist ein eisiger Herbstregen, der keine Anzeichen macht, besser zu werden.

Vor ihnen hat sich eine kleine Horde Zombies an einer Bushaltestelle versammelt. Die klebrigen Haare hängen ihnen wie verfilztes Moos in die verwesten Gesichter. Sie sehen aus, als würden sie auf einen Bus warten, der nie kommen wird.

Philip führt seine Gruppe über eine Kreuzung und sucht unter einem Vordach Schutz. Nick zeigt in Richtung der ersten Sicherheitszone: Der Bus wartet einen halben Häuserblock südlich hinter der Fußgängerbrücke auf sie. Eine rasche Geste von Philip, und die vier Gestalten eilen – an Schaufensterfronten gedrückt – auf den Bus zu.

»Ich bin dafür, dass wir zurückgehen«, murrt Nick Parsons, als er sich auf den Boden des Busses kauert und seinen Rucksack durchwühlt. Der Regen prasselt wie gedämpfte Maschinengewehrsalven auf das Blech. Nick holt ein T-Shirt heraus und wischt sich damit den Regen aus dem Gesicht. »Das ist nur eine einzige Frau, mit der wir es zu tun haben. Wir können die Wohnung von ihr zurückerobern. Ich schlage vor, dass wir zurückschleichen und sie verdammt noch mal hinauswerfen.«

»Du glaubst, dass wir ihr die Wohnung einfach so abnehmen können?« Philip steht neben dem Fahrersitz und durchsucht die Ablagefächer in der Hoffnung, etwas Brauchbares zu finden. »Hast du deine kugelsichere Weste dabei?«

Der Bus – ein neun Meter langes Gefährt mit Plastiksitzen, die seitlich aufgereiht sind und nach innen blicken – riecht nach den gespenstischen Ausdünstungen seiner ehemaligen Passagiere. Der Geruch erinnert an einen nassen Hund. Hinten im Bus, auf dem vorletzten Sitz, hat Penny es sich bequem gemacht. Brian sitzt neben ihr und zittert in seinen durchnässter Jeans und dem Sweatshirt. Er hat ein schlechtes Gefühl, und es hat nichts mit dem Sturm oder der urbanen Wildnis Atlantas zu tun.

Seine Befürchtungen des bevorstehenden Untergangs stehen viel mehr mit den Geschehnissen der letzten Nacht in Zusammenhang. Er kann nicht anders als darüber nachzugrübeln. Was ist zwischen siebzehn Uhr, als sich Philip und April auf den Weg machten, und fünf Uhr am nächsten Morgen geschehen, als alles schon passiert war? Der rauen Anspannung in der Stimme seines Bruders und der kalten Entschlossenheit in seinem Gesicht nach zu schließen, wird es nicht einfach sein, das Rätsel zu lösen. Ihre erste Aufgabe lautet sowieso erst mal zu überleben. Aber die Sache will Brian nicht aus dem Kopf. Das Geheimnis spricht ihn auf einer tieferen Ebene an – einer Ebene, die er nicht mit Worten fassen kann.

Draußen blitzt es. Für einen Augenblick wird alles grell erhellt.

»Uns ist es dort gut gegangen«, fährt Nick mit jammernder Stimme fort. Er steht auf und findet an einer herunterhängenden Handschlaufe Halt. »Mann, das sind unsere Waffen. Soll die ganze Arbeit, die wir da reingesteckt haben, für die Katz gewesen sein? Die Wohnung gehört uns genauso wie den Chalmers!«

»Runter mit dir«, befiehlt Philip tonlos. »Ich will nicht, dass uns so ein Ekelbrocken da draußen sieht.«

Nick duckt sich.

Philip hat auf dem Fahrersitz Platz genommen. Die Federn quietschen unter seinem Gewicht. Er betrachtet eine Karte auf dem Armaturenbrett, findet aber nichts, was ihnen nützlich sein könnte. Der Schlüssel steckt im Zündschloss. Philip dreht ihn um. Aber es passiert nichts, außer dass sich der Starter vergebens bemüht. »Ich will mich eigentlich nicht noch mal wiederholen, aber die Bude können wir abschreiben. Das Thema ist abgeschlossen. Aus, vorbei.«

»Aber warum? Warum können wir sie uns nicht einfach zurückholen, Philly? Die Schlampe machen wir doch locker fertig. Zu dritt.«

»Nick, lass es gut sein«, ermahnt ihn Philip, und selbst Brian hinten im Bus hört den warnenden Tonfall, der in der Stimme seines Bruders mitschwingt.

»Ich verstehe es einfach nicht«, beschwert sich Nick leise. »Wie kann so etwas geschehen …«

»Bingo!« Endlich hat sich Philips Suche gelohnt. Ein hundertzwanzig Zentimeter langer Stahlstab, in etwa so breit und so schwer wie Bewehrungsstahl, hängt unterhalb des Fahrerfensters. Er hat einen Haken an einer Seite, sodass der Fahrer die Tür schließen kann, ohne aufstehen zu müssen. Jetzt, da ihn Philip in der Dämmerung hin und her schwingt, scheint er eine formidable Waffe zu sein. »Das ist doch gar nicht so schlecht für den Anfang«, murmelt er.