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»Brian, wir sind hier sicher«, versucht Philip seinen Bruder zu beruhigen und schnappt sich die Flasche Bourbon vom Regal.

»Sicher?« Brian Blake starrt auf den Tisch. Er hustet und schüttelt sich.

»Das habe ich doch gerade gesagt. Und ob du willst oder nicht – ich habe mir gedacht, dass …«

»Schon wieder einer weg!«, sagt eine Stimme aus einer Ecke der Küche.

Nick. Seit zehn Minuten zappt er nervös auf einem kleinen Flachbildschirmfernseher, der neben der Spüle unter einem Küchenschrank angebracht ist, durch die Fernsehkanäle, um die Nachrichten zu durchforsten. Es ist dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig und an der Zeit, die Nachrichten auf Fox 5 aus Atlanta einzuschalten. Doch der Sender hat sich gerade in Rauschen aufgelöst. Das Einzige, was sie außer den nationalen Netzwerken, die nur Wiederholungen von Tierfilmen oder alte Schwarz-Weiß-Schmonzetten bringen, noch empfangen können, sind die Nachrichten auf CNN aus Atlanta. Doch alles, was ihnen da geboten wird, sind die gleichen alten Meldungen und Storys, die sie schon seit Tagen kennen. Auch Brians Blackberry gibt langsam den Geist auf. Der Empfang hier draußen in Wiltshire Estates ist eher sporadisch. Wenn er einmal funktioniert, erhält Brian sogleich eine Unmenge von Spammails, Facebook-Tags und anonymen Tweets mit solch kryptischen Meldungen wie:

… UND DAS REICH WIRD IN FINSTERNIS GEHÜLLT …

… ZUERST FIELEN DIE VÖGEL VOM HIMMEL. SO FING ALLES AN …

… ALLES VERBRANNT, ALLES VERBRANNT …

… BLASPHEMIE GEGEN GOTT …

… WENN DU SCHWACH BIST, STIRBST DU …

… DAS HAUS DES HERRN IST ZUR HEIMAT VON DÄMONEN VERKOMMEN …

… SCHIEBT MIR NICHT DIE SCHULD IN DIE SCHUHE, ICH BIN LIBERAL …

… FRESST MICH …

»Schalt das Ding aus, Nick«, ermahnt Philip seinen Freund finster und lässt sich mit der Flasche in der Hand auf einem Stuhl nieder. Er runzelt die Stirn und fasst mit einer Hand nach hinten, wo er die Pistole in die Hose gesteckt hat. Diese legt er auf den Tisch, öffnet die Flasche Whiskey und nimmt gierig einen großen Schluck.

Brian und Penny starren auf die Waffe.

Philip macht die Flasche wieder zu und wirft sie zu Nick hinüber, der sie mit der Leichtigkeit eines Baseballspielers, der er einmal war, fängt. »Schalte mal den Alkohol-Kanal für ein Weilchen an … Du musst schlafen und dir nicht die ganze Nacht über diesen Schwachsinn reinziehen.«

Nick nimmt einen Schluck und dann noch einen, ehe er die Flasche wieder schließt und sie Bobby zuwirft.

Dieser lässt sie beinahe fallen, so sehr ist er von der Speisekammer und ihrem Inhalt in Bann gezogen. Er verschlingt gerade eine Packung Oreo-Kekse; der schwarze Teig sammelt sich bereits in seinen Mundwinkeln. Gierig spült er die Kekse mit einem großen Schluck Bourbon runter und rülpst zufrieden.

Philip und seine beiden Kumpel sind es gewohnt, zusammen einen draufzumachen und zu trinken, und in dieser Nacht brauchen sie es mehr denn je. Es hatte alles mit Crème de Menthe und Melonenwein beim Zelten im elterlichen Garten im ersten Semester in Burke County angefangen und sich nach und nach zu Saufgelagen nach dem American Football entwickelt. Niemand kann so viel trinken wie Philip Blake. Doch die beiden anderen liegen Kopf an Kopf, was den zweiten Platz betrifft.

Kurz nach seiner Hochzeit zog Philip noch des Öfteren mit seinen Kumpanen um die Häuser, um die Zeiten des unbeschwerten Single-Daseins noch einmal auszukosten. Aber nach Sarahs Tod drifteten die drei Männer auseinander. Der Stress als alleinerziehender Vater zusammen mit der Arbeit in der Werkstatt und die Nachtschichten als Lkw-Fahrer mit Penny in der Koje hinter der Fahrerkabine laugten Philip aus. Ihre Zusammenkünfte fanden kaum noch statt. Ab und zu schafft es Philip, sich genügend Zeit freizuschaufeln, um mit Bobby und Nick im Tally Ho, im Wagon Wheel oder einer anderen Kneipe in Waynesboro gemütlich die Kehle anzufeuchten – während Mama Rose gewöhnlich auf Penny aufpasst.

In den letzten Jahren hat Philip begonnen, sich zu fragen, ob er diese Abende nicht nur noch als eine Art Pflichtveranstaltung betrachtet, um sich zu beweisen, dass er noch am Leben ist. Das war vielleicht auch der Grund, warum er Bobby und Nick am vergangenen Sonntag unbedingt mit auf die Reise nehmen wollte – an jenem Tag, als es in Waynesboro so richtig schlimm wurde und er beschloss, sich Penny zu schnappen und sie in Sicherheit zu bringen. Irgendwie waren seine Freunde Teil seiner Vergangenheit, und das gab ihm ein etwas besseres Gefühl.

Brian jedoch war nicht Teil seines Plans gewesen. Er hätte ihn auch nie mitgenommen, wenn er ihn nicht zufällig wiedergesehen hätte. Am ersten Tag ihrer Flucht beschloss Philip, als sie sich etwa sechzig Kilometer westlich von Waynesboro befanden, einen Abstecher nach Deering zu machen, um nach den Eltern zu schauen. Die beiden wohnten in einer Seniorenanlage in der Nähe des Militärstützpunktes Fort Gordon. Als Philip vor dem Reihenhaus anhielt, stellte er jedoch fest, dass alle Anwohner der Anlage aus Sicherheitsgründen bereits nach Fort Gordon evakuiert worden waren.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass sich Brian im elterlichen Haus befand. Er hatte sich in dem verlassenen Gebäude verschanzt, und zwar war er in den Kriechkeller gerobbt und schlotterte dort vor Angst vor den lebenden Toten. Philip hatte Brian in den letzten Jahren so gut wie aus den Augen verloren und wusste nur wenig von seinem Leben: Nach dem Scheitern seiner Ehe mit dieser verrückten Jamaikanerin aus Gainesville, die alles aufgegeben hatte, um nach Jamaika zurückzugehen, war Brian zu seinen Eltern gezogen. Als ob das nicht reichte, hatte er zudem noch jede seiner bescheuerten Geschäftsideen in den Sand gesetzt, die er jemals hatte, wobei die meisten von ihren Eltern gesponsert wurden – so auch sein geniales Vorhaben, einen Musikladen in Athens aufzumachen. In Athens! Wo es bereits an jeder Ecke einen Musikladen gibt! Allein bei dem Gedanken, auf seinen großen Bruder aufpassen zu müssen, zuckte Philip zusammen. Aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

»He, Philly«, sagt Bobby jetzt zu ihm, während er die letzten Kekse verputzt. »Glaubst du, dass die Flüchtlingslager in der Stadt noch immer offen sind?«

»Woher soll ich das wissen?« Philip wirft einen Blick auf seine Tochter. »Wie geht es dir, Schatz?«

Das kleine Mädchen zuckt mit den Achseln. »Okay.« Ihre Stimme ist kaum hörbar. Sie klingt wie ein kaputtes Windspiel, das leise hin und her schaukelt, während sie auf den Pinguin neben ihr starrt. »Geht schon.«

»Wie gefällt dir das Haus? Magst du es?«

Penny zuckt erneut mit den Schultern. »Weiß nicht.«

»Was würdest du dazu sagen, wenn wir ein wenig hier bleiben würden?«

Alle starren ihn an. Brian reißt die Augen auf. Nach einer Weile meint Nick: »Was soll das genau heißen: ein wenig?«

»Her mit der Flasche«, erwidert Philip und gibt Bobby ein Zeichen, dass er ihm die Flasche zuwerfen soll. Als er sie hat, öffnet er sie und nimmt einen großen Schluck. Er genießt es, wie der Whiskey in seiner Kehle brennt. »Schaut euch doch mal um«, meint er schließlich, nachdem er sich den Mund am Ärmel abgewischt hat.

Brian ist verwirrt. »Aber du hast doch gesagt, dass wir hier nur eine Nacht bleiben.«

Philip holt tief Luft. »Richtig, das hab ich. Aber ich bin gerade dabei, meine Meinung zu ändern.«

»Ja, aber …«, wirft Bobby ein.

»Hört zu. Ich will damit nur sagen, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre, ein Weilchen abzutauchen.«

»Schon. Aber, Philly, aber was ist mit …«

»Bobby, wir könnten einfach hierbleiben und abwarten, wie sich die Lage entwickelt.«

Nick hat gespannt zugehört. »Philip, jetzt komm schon, Mann. In den Nachrichten heißt es, dass es in den Städten am sichersten ist …«