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Er zieht Penny eng an sich. Ein weiterer Schuss ertönt. Diesmal näher. Ihm folgt ein gedämpftes, wässrig klingendes Würgen wie bei einem Todeskampf. Brians Gedanken beginnen erneut zu rasen.

Schritte kommen näher. Brian wagt einen raschen Blick über den Baumstamm. Es ist der Glatzkopf mit seiner Neun-Millimeter-Glock, die er wild durch die Gegend schwenkt.

Er steuert direkt auf sie zu, das vernarbte Gesicht vor Rage verzerrt. Der leblose Körper des dürren Jungen Shorty liegt dreißig Meter entfernt von ihm. Der Kopf ist halb weggeblasen.

Ein neuer Schuss hallt durch den Wald. Brian duckt sich hinter den Baumstamm. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er ist sich nicht sicher, ob es den Glatzkopf erwischt hat oder ob er derjenige war, der schoss.

»Los, Kleine«, flüstert Brian der erstarrten Penny zu, die sich im Gestrüpp zusammengeduckt hat. »Wir müssen jetzt von hier weg.«

Er zieht sie aus dem Unterholz und nimmt ihre Hand, da es zu gefährlich ist, sie auf dem Rücken zu tragen. Hastig zerrt er sie fort – fort von den Schüssen.

Sie kriechen zwischen den Pfirsichbäumen hindurch, wobei sie stets im Dickicht weitab von den Wegen bleiben, die durch die Obstplantage führen. Brians Fußsohlen sind so geschunden und eisig, dass er kaum noch etwas spürt. Plötzlich hört er Stimmen hinter ihnen, einige Schüsse und dann Stille.

Eine lange Zeit über weht lediglich der Wind durch die Äste. Ab und zu glaubt er rasche Schritte zu hören. Ganz sicher ist er sich aber nicht, da sein Herz so laut hämmert. Entschlossen arbeitet er sich mit Penny durch den Hain.

Nach weiteren hundert Metern stehen sie vor einem alten Heuwagen, hinter dem sie in Deckung gehen. Brian ringt nach Luft und drückt Penny eng an sich. »Alles okay, Kleines?«

Penny streckt ihm ihren Daumen entgegen, aber die Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Plötzlich dringen ungewohnte Geräusche an Brians Ohr. Er erstarrt, duckt sich aber dann und späht durch die Bretter des Heuwagens. Ungefähr fünfzig Meter vor ihnen läuft eine Gestalt durch einen Wassergraben. Sie ist groß gewachsen und schlaksig und hält ein Gewehr in einer Hand. Dummerweise ist sie noch zu weit entfernt, als dass Brian mit Sicherheit sagen könnte, um wen es sich handelt.

»Daddy?«

Pennys Stimme lässt Brian zusammenzucken, auch wenn es kaum mehr als ein Flüstern ist – aber immerhin laut genug, um sie zu verraten. Er legt dem Kind die Hand auf den Mund, ehe er wieder hochblickt, um erneut einen Blick auf die Gestalt in dem Graben zu werfen.

Doch der Mann, der auf sie zukommt, ist nicht der Vater des kleinen Mädchens.

Der Schuss zerfetzt den halben Heuwagen. Brian wird in einer Wolke aus Staub zu Boden geschleudert. Er spuckt Erde und fasst so lange nach Penny, bis er endlich einen Zipfel ihres Oberteils erwischt. Hastig kriecht er tiefer in den Hain, Penny stets hinter sich. Nach ein paar Metern rappelt er sich auf die Beine. Jetzt sollte es wieder schneller vorangehen. Aber irgendetwas stimmt nicht.

Das kleine Mädchen macht keinerlei Anstalten mehr, sich selbstständig zu bewegen, so als ob es das Bewusstsein verloren hat.

Brian hört das Knirschen von Schritten hinter sich und wie das Gewehr erneut geladen wird. Der nächste Schuss soll tödlich sein. Panisch nimmt er Penny auf den Rücken und rennt dann so schnell er kann auf die nächsten Bäume zu. Es dauert nicht lange, bis er merkt, dass er blutverschmiert ist. Das Blut rinnt über sein Shirt und durchtränkt es.

»Um Gottes willen, nein! O Gott, o Gott, o Gott …« Brian legt Penny sanft auf den weichen Untergrund. Ihr blutleeres Gesicht ist kreidebleich. Ihr Augen sind glasig und starren in den Himmel. Sie zuckt, schluckt mehrmals, und ein rotes Rinnsal fließt ihr aus dem Mundwinkel.

Brian hört den Killer kaum noch, wie er sich mit raschen Schritten nähert, die zweite Patrone einlegt und durchlädt. Pennys T-Shirt ist von dem scharlachroten Lebenssaft völlig durchnässt. Er entdeckt die Stelle, an der die Schrotkugeln wieder aus ihrem Körper ausgetreten sind. Die Wunde hat einen Durchmesser von etwa fünfzehn Zentimeter. Schrot aus einer Zwanzig-Kaliber-Patrone hat genügend Durchschlagskraft, um Stahl zu durchschlagen. Es sieht ganz so aus, als ob das Kind mindestens die Hälfte des Schrots in den Rücken bekommen hätte und die Metallkügelchen aus seinem Bauch wieder ausgetreten wären.

Der Killer kommt näher und näher.

Brian hebt das T-Shirt hoch, und Penny gibt ein qualvolles Stöhnen von sich. Seine Hand reicht nicht, um den Blutfluss zu stoppen. Die klaffende Wunde hat die Form einer Sichel. Er presst die Hand noch stärker darauf, aber das Blut hört nicht auf zu fließen. Panisch reißt er ein Stück ihres T-Shirts ab und versucht, zumindest einige Löcher mit dem Stoff zu stopfen. Doch inzwischen ist das Blut überall. Brian wimmert. Er redet mit Penny, während das Rot durch seine Finger rinnt und der Killer immer näher kommt. »Das wird schon wieder. Du wirst schon wieder. Wir kriegen dich schon wieder hin. Du wirst schon sehen, so gut wie neu …«

Brians Arme und Hüfte werden von ihrem warmen, Lebenssaft bedeckt. Sie flüstert schwach: »… Weg …«.

»Nein, Penny. Nein! Du darfst nicht weg … Lass mich nicht allein, noch nicht, nicht jetzt … Geh nicht!«

Brian hört, wie ein Ast hinter ihm unter dem Gewicht eines Stiefels bricht.

Ein Schatten legt sich auf Penny.

Eine raue Stimme ertönt. »Eine verdammte Schande.« Dann spürt er, wie sich das kalte Ende eines Gewehrlaufs in seinen Nacken bohrt. »Schau sie dir noch einmal genau an.«

Brian dreht sich um und starrt den Mörder an. Es ist ein großer Kerl mit unzähligen Tattoos, einem Bierbauch und einem Bart. Er richtet die Schrotflinte jetzt direkt in Brians Gesicht. »Schau sie dir an … Es wird das Letzte sein, was du in deinem Leben siehst.«

Brian hält die Hand noch immer auf Pennys Wunde gedrückt, weiß aber, dass es zu spät ist.

Sie wird es nicht schaffen.

Mit dieser Gewissheit ist Brian ebenfalls bereit … Jetzt kann er sterben.

Die Explosion hat etwas von einem Traum an sich – als ob Brian plötzlich aus seinem Körper gerissen wird und hoch über die Obstplantage fliegt. Von oben kann er alles wie eine körperlose Seele verfolgen. Er ist bei dem lauten Knall nach vorne gefallen, zuckt aber beinahe im selben Augenblick zusammen. Ein Blutschleier legt sich über seinen Arm und über Penny. War der Einschlag der Kugel aus dieser minimalen Entfernung so katastrophal, dass er nichts mehr spürt? Ist er vielleicht bereits tot, ohne es zu wissen?

Der Schatten des Mörders sinkt wie in Zeitlupe zu Boden.

Brian dreht sich gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, dass der Bärtige von hinten erschossen wurde. Sein Schädel gleicht rotem Brei, sein Bart ist voller Blut und Gewebe. Die Augen sind zurückgerollt, als er zusammenbricht. Brian starrt auf das Spektakel. Wie ein fallender Vorhang gibt der zu Boden sackende Mann die Sicht auf zwei Gestalten frei, die auf Brian und Penny zulaufen.

»GOTT! NEIN!« Philip wirft das Gewehr – es raucht noch, so heiß ist es – zu Boden, um sich den Weg schneller bahnen zu können. Nick folgt dicht hinter ihm. Philip stößt Brian beiseite. »NEIN! NEIN!«

Philip fällt neben seinem sterbenden Kind auf die Knie. Penny droht jetzt am eigenen Blut zu ersticken. Er hebt sie hoch und berührt zärtlich die klaffende Wunde, als ob es nur ein Kratzer wäre – nichts Schlimmes, nur eine Schürfwunde. Er zieht das Mädchen an sich und umarmt es, während das Blut weiter aus seinem Körper strömt.

Philip wiegt sein blutbesudeltes Kind in den Armen hin und her.

Während er die Kleine hält, stößt sie ein paar röchelnde Seufzer aus. Ihr Gesicht ist so weiß und klar wie Porzellan. Philip schüttelt sie. »Schatz … Bleib bei uns … Bleib bei uns … Mach schon … Du musst bei uns bleiben … Bitte … Schatz? Schatz? Schatz?«