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Eine grauenvolle Stille erfüllt die bedrückende Szene.

»O Gott«, murmelt Nick und senkt den Blick.

Philip hält sein Kind weiter in den Armen. Es scheint eine halbe Ewigkeit zu vergehen. Nick starrt die ganze Zeit auf den Boden und betet leise vor sich hin. Brian liegt der Länge nach keine zwei Meter entfernt auf dem Waldgrund. Er weint und stammelt unentwegt mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Ich habe es versucht … Alles ist so schnell gegangen … Ich konnte nicht … Es war … Ich kann nicht … Ich kann nicht … Penny war …«

Plötzlich packt ihn eine harte Pranke am Nacken.

»Was habe ich gesagt?«, knurrt Philip und reißt seinen Bruder auf die Füße, ehe er ihn gegen den nächsten Baumstamm schleudert. Brian sackt in sich zusammen.

»Philly! Nein!« Nick will sich zwischen die beiden Brüder werfen, aber Philip schubst ihn so hart beiseite, dass der kleinere Mann zu Boden taumelt. Philip legt die rechte Hand um Brians Hals.

»Was habe ich dir gesagt?« Er knallt ihn erneut mit aller Wucht gegen den Baumstamm. Brians Schädel prallt auf die Rinde, und Wogen aus Schmerz und grellem Licht verschleiern ihm den Blick. Er unternimmt keinen Versuch, sich zu wehren oder zu flüchten. Brian will nur noch sterben. Er will durch die Hände seines Bruders erlöst werden.

»WAS HABE ICH GESAGT?« Philip reißt Brian hoch, ehe er ihn wieder zu Boden schleudert. Eine Schulter wird mit ungeheurer Wucht in Brians Gesicht gerammt, ehe er sich einem Hagel von Tritten ausgesetzt sieht. Er rollt beiseite, und ein Tritt erwischt ihn im Gesicht. Der Tritt ist hart genug, um seinen Unterkiefer zu brechen. Ein weiterer zerfetzt drei Rippen, sodass ein scharfer Schmerz durch seine Seite schießt. Der nächste landet im Kreuz, und schimmernder, greller Schmerz schießt ihm durch das Steißbein. Nach einer Weile spürt Brian die Qualen kaum noch. Ihm bleibt sowieso nichts anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen. Er blickt von oben auf seinen demolierten Körper herab und gibt sich ganz seiner Strafe hin.

Neunzehn

Am nächsten Tag verbringt Philip eine Stunde im Geräteschuppen hinter der Villa. Er geht die Sammlung von Waffen durch, welche die Eindringlinge hinterlassen haben, und untersucht sämtliche auch nur andeutungsweise scharfen Werkzeuge und sonstige Gerätschaften, die vielleicht als Waffe genutzt werden könnten. Er weiß, was zu tun ist, aber sich für die Art der Exekution zu entscheiden, ist ihm beinahe unmöglich. Zuerst wählt er die Neun-Millimeter-Semiautomatik. Das geht am schnellsten und ist am saubersten. Dann kommen ihm Zweifel. Soll er wirklich eine Schusswaffe nehmen? Das scheint irgendwie unfair zu sein. Zu kalt, zu unpersönlich. Aber eine Axt oder eine Machete zu benutzen, das bringt er auch nicht übers Herz. Zu schmutzig, zu ungewiss. Was, wenn er nur einen Zentimeter daneben schlägt?

Endlich entscheidet er sich für die Neun-Millimeter-Glock. Er schiebt ein neues Magazin in den Griff und sichert es.

Dann holt er tief Luft und geht zur Tür. Dort hält er inne und bereitet sich innerlich auf das Bevorstehende vor. Ab und zu hört er ein Kratzen, welches das Innere des Schuppens zu füllen scheint. Die Villa und das Grundstück sind voller Beißer. Das Gemetzel von gestern hat sie in Scharen angezogen. Philip tritt gegen die Tür.

Eine Frau mittleren Alters in einer schmutzigen Schürze kriegt sie mitten ins Gesicht geknallt. Die Wucht des Schlags lässt sie zurücktaumeln und mit den Armen fuchteln. Aus ihrer verwesten Kehle dringt ein gespenstisches Stöhnen. Philip geht an ihr vorbei. Beiläufig hebt er die Waffe und befördert die Frau ohne innezuhalten mit einem einzigen Schuss in den Schädel ins Jenseits.

Das Echo hallt durch das Anwesen, als die Leiche durch die Kugel zur Seite geschleudert wird, ehe sie zu Boden sackt.

Philip marschiert um die Villa herum und verpasst zwei weiteren Beißern den letzten Segen – einem alten Mann in vergilbter Unterwäsche, vielleicht ein Ausreißer aus einem Altenheim, und höchstwahrscheinlich einem ehemaligen Obstbauern, dessen aufgedunsener, schwärzlicher Körper noch immer in einer verklebten Latzhose steckt. Ohne Aufhebens verpasst er ihnen jeweils eine Kugel und nimmt sich vor, ihre Überreste später mithilfe des Schneeschieberaufsatzes für den Mäher beiseitezuschaffen.

Seit Penny in seinen Armen gestorben ist, sind beinahe vierundzwanzig Stunden vergangen, und die Morgendämmerung enthüllt einen klaren, blauen Herbsthimmel über den Bäumen der Obstplantage. Philip hat beinahe einen ganzen Tag gebraucht, um sich im Klaren zu sein, dass es keinen Ausweg gibt. Jetzt nimmt er die Waffe in die feuchte Hand und betritt den Hain.

Im Magazin stecken noch fünf Kugeln.

Im Schatten der Plantage windet sich eine Gestalt an einem alten Baum. Sie stöhnt und ächzt. Trotz der Tatsache, dass sie mit Stricken und Klebeband festgebunden ist, versucht das gefangene Wesen immer wieder verzweifelt zu fliehen. Philip hebt die Waffe. Er zielt mit dem Lauf genau zwischen die Augen, und für einen winzigen Augenblick wünscht sich Philip nichts mehr, als dass alles ganz schnell vorbei ist. Wunde aufstechen, Tumor entfernen, Operation erfolgreich.

Die Laufmündung fängt zu zittern an, und Philips Finger am Abzug scheint zu erstarren. Er stöhnt auf. Dann murmelt er leise: »Ich kann es nicht.«

Er senkt die Waffe und blickt seiner Tochter in die Augen. Sie steht keine zwei Meter vom ihm an den Baum gebunden und faucht mit dem wilden Hunger eines tollwütigen Hundes. Ihr Porzellanpuppengesicht ist zu einer weißen, verschrumpelten Kalebasse eingesunken, und ihre sanften Augen haben sich zu Silbermünzen verhärtet. Ihre ehemals unschuldigen Lippen sind jetzt schwarz und kräuseln sich unnatürlich vor den schleimigen Zähnen. Sie erkennt ihren Vater nicht wieder.

Das ist es auch, was Philip beinahe den Verstand raubt. Er kann die Erinnerung an Pennys Blick nicht aus seinem Kopf verbannen. Wie sie ihn angesehen hat, wenn er sie vom Kindergarten oder von Tante Nina am Ende eines langen, harten Arbeitstags abgeholt hat. Das freudige Wiedererkennen und die Aufregung in den großen Kinderaugen, wenn sie Philip sah. Und verdammt noch mal, ja! Auch die Liebe, die er darin erkannte. Das reichte, sich ihretwegen sämtliche Gliedmaßen auszureißen. Doch jetzt war dieses Leuchten für immer verloren und durch den grauen Film der Untoten ersetzt worden.

Philip weiß, was er zu tun hat.

Penny faucht.

Philips Augen brennen vor Schmerz.

»Ich kann nicht«, murmelt er erneut und blickt zu Boden. Sie so zu sehen löst einen Zorn in ihm aus – wie der Lichtbogen eines Schweißgeräts, der ihn tief im Innersten trifft. Da hört er wieder die Stimme: Reiß die Welt in Stücke, zerfleische sie, reiß ihr das Herz aus der Brust … Warte nicht, tu es jetzt.

Er verlässt die Obstplantage, wobei es sein Herz vor Verzweiflung und Wut fast zerreißt.

Das Anwesen, das von der milden herbstlichen Morgensonne erwärmt wird, ist ein halbmondförmiges Stück Land mit der Villa in der Mitte. Hinter dem Haupthaus auf einer kleinen Anhöhe steht eine Reihe von Außengebäuden: das Kutschenhaus, ein kleiner Schuppen für den Aufsitzmäher und den Traktor, ein zweiter Schuppen für die Werkzeuge, ein Wagenschuppen auf Pfählen für Gäste und eine große hölzerne Scheune mit einer riesigen Windfahne auf dem Kuppeldach. Dorthin will Philip – zur Scheune, die von Holzwürmern zerfressen ist und von der Sonne zu einem hellen Pink gebleicht wurde.

Er muss unbedingt das Gift loswerden, das durch seine Adern pulsiert. Er muss Dampf ablassen.

Der Haupteingang besteht aus einer Doppeltür, die mit einem riesigen Balken auf Schulterhöhe gesichert ist. Philip reißt den Balken aus den Halterungen und öffnet die quietschenden Türen. Zahllose Staubmäuse fegen durch die Scheune. Philip tritt ein und schließt die Türen hinter sich. Es stinkt nach Pferden und verschimmeltem Heu.