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In einer Ecke sitzen zwei Gestalten. Sie winden sich, zappeln herum, gefangen in ihrer eigenen privaten Hölle, an Händen und Füßen gebunden und mit Klebeband geknebelt: Sonny und Cher.

Die beiden zittern auf dem Scheunenboden, den Rücken an den Verschlag einer leeren Pferdebox gepresst. Ihre Zuckungen sind die Folge irgendwelcher Entzugserscheinungen – entweder Heroin oder Crack oder sonst etwas. Aber was geht das Philip an? Das Einzige, was ihn im Augenblick interessiert, ist, dass die beiden keine Ahnung haben, wie schlecht es ihnen gleich gehen wird.

Philip tritt zu dem Duo. Die dürre Frau zuckt spasmisch, ihr Gesicht ist mit einer Kruste getrockneter Tränen und Erde verklebt. Der Mann atmet schwer durch die Nase.

Philip baut sich vor den beiden auf, beleuchtet von einem einzigen staubigen Sonnenstrahl, und starrt wie eine zornige Gottheit auf sie herab. »Du«, sagt er zu Sonny. »Eine Frage: Ich weiß, dass es schwierig ist, mit festgeklebtem Kopf zu nicken. Also einmal Blinzeln für Ja und zweimal für Nein.«

Der Mann schielt mit seinen wässrigen Augen zu ihm auf. Er blinzelt einmal.

Philip blickt ihn an. »Willst du zuschauen?«

Blinzel, Blinzel.

Philip fährt mit der Hand zur Gürtelschnalle und fängt an, den Gürtel aufzumachen. »Schade. Das wird bestimmt eine unvergessliche Vorführung.«

Blinzel, Blinzel.

Erneut zweimal blinzeln.

Zweimal blinzeln, zweimal blinzeln, zweimal blinzeln.

»Immer mit der Ruhe, Brian, nicht so schnell«, sagt Nick am Abend danach im Nähzimmer im ersten Stock. Im Licht der Kerosinlampe hilft Nick Brian beim Trinken durch einen Strohhalm. Brians Mund ist geschwollen und unbeweglich. Die Hälfte des Wassers geht daneben. Nick hat alles getan, um Brian das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Am wichtigsten ist es, dass Brian genügend zu sich nimmt und dass es drinbleibt. »Versuch doch noch mal die Gemüsesuppe«, schlägt Nick vor.

Brian schafft zwei Löffel. »Danke, Nick.« Seine Stimme klingt gepresst. Der Schmerz schwingt hörbar mit. »Danke für alles.« Er lallt. Sein Gaumen ist angeschwollen und entzündet. Er redet zögerlich mit Unterbrechungen, während er im Bett liegt. Seine gebrochenen Rippen wurden verbunden. Das Gesicht und der Nacken sind mit Pflastern übersät, die Augen aufgedunsen und violett. Irgendetwas ist auch mit seiner Hüfte passiert, aber keiner weiß, was es genau sein könnte.

»Das wird schon wieder, Alter«, sagt Nick. »Bei deinem Bruder bin ich mir da nicht so sicher.«

»Wieso?«

»Der ist ausgeflippt.«

»Er hat viel durchgemacht, Nick.«

»Wie kannst du ihn auch noch in Schutz nehmen?« Nick lehnt sich zurück und seufzt gequält. »Schau dir nur an, was er mit dir gemacht hat. Und fang nicht wieder mit Penny an. Wir haben alle bereits Menschen verloren, die wir geliebt haben. Er war kurz davor, dich ins Jenseits zu befördern.«

Brian wirft einen Blick auf seine übel zugerichteten Füße, die aus der Bettdecke herausragen. Mit großer Anstrengung meint er schließlich: »Ich habe alles verdient, was er ausgeteilt hat.«

»Red keinen Quatsch! Es war nicht deine Schuld. Aber die Sache hat etwas bei deinem Bruder ausgelöst, was mir echt Sorgen macht.«

»Der schafft das schon.« Brian schaut Nick an. »Was ist denn los? Irgendetwas beschäftigt dich.«

Nick holt tief Luft und überlegt, ob er sich Brian anvertrauen soll. Die Blake-Brüder hatten schon immer eine komplizierte Beziehung. Nick Parsons verstand sich bisher mehr als Philips Bruder als Brian Blake. Dennoch verbindet die beiden Blakes etwas Besonderes. Es ist ein Bund, der tief in ihnen verwurzelt ist.

Endlich spricht Nick. »Ich weiß, dass du es mit der Religion nicht so hast und denkst, ich spinne ein wenig.«

»Das ist nicht wahr, Nick.«

Nick winkt ab. »Das macht nichts. Mein Glaube ist stark, und ich beurteile niemanden nach seiner Religion.«

»Was willst du damit sagen?«

Nick sieht Brian an. »Er hält sie am Leben, Brian … Leben ist in diesem Fall vielleicht nicht das richtige Wort.«

»Penny?«

»Er ist bei ihr da draußen.«

»Wo?«

Nick erklärt, was während der vergangenen zwei Tage seit Pennys Tod vorgefallen ist. Während sich Brian von den Schlägen seines Bruders erholte, war Philip nicht untätig. Er hält zwei der Eindringlinge – die einzigen, die das Gemetzel überlebten – in der Scheune gefangen und behauptet, er frage sie nach weiteren Überlebenden in der Umgebung aus. Nick aber glaubt, dass er sie foltert. Doch das ist nicht das Schlimmste. Penny Blakes Schicksal macht Nick am meisten zu schaffen. »Er hat sie an einem Baum festgebunden, also quasi angekettet wie ein gefangenes Tier«, berichtet er.

Brian runzelt mit der Stirn. »Wo genau?«

»Draußen auf der Obstplantage. Jeden Abend geht er zu ihr und bleibt eine Weile dort.«

»Gütiger Himmel.«

»Hör zu. Ich weiß, dass du davon nichts hältst, aber ich glaube nun einmal daran. Im Universum gibt es zwei Kräfte. Die eine ist gut, die andere böse.«

»Nick, ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist …«

»Nicht so schnell, lass mich ausreden. Ich glaube, dass die Plage oder wie auch immer du es nennen willst das Werk des Bösen, des Teufels, des Satans ist.«

»Nick …«

»Nein, ich will, dass du mir zuhörst. Ich habe viel darüber nachgedacht.«

»Na gut, ich höre.«

»Was hasst Satan am meisten? Die Macht der Liebe? Vielleicht. Wenn jemand wiedergeboren wird? Ja, auch möglich. Aber ich glaube, wenn jemand stirbt und seine Seele aufsteigt – das ist es, was ihn am meisten wurmt.«

»Verstehe ich nicht.«

Nick erwidert Brians verständnislosen Blick. »Das passiert gerade, Brian. Der Teufel hat einen Weg gefunden, wie er die Seelen auf der Erde behalten kann.«

Brian denkt eine Weile nach. Nick erwartet nicht, dass er ihm glaubt, aber vielleicht fängt er zumindest an zu verstehen, worum es gehen könnte.

Der Nordwind pfeift um die Fensterläden. Das Wetter schlägt um. Die Villa ächzt und stöhnt. Nick stellt den Kragen seines Wollhemds auf – vor einigen Tagen haben sie warme Klamotten auf dem Dachboden gefunden. Er beginnt zu frieren. Es ist kalt im ersten Stock. »Was dein Bruder macht, ist falsch, Brian. Es ist gegen Gottes Willen«, erklärt er. Noch lange hallen seine Worte in der eisigen Luft wider.

Zur gleichen Zeit prasselt draußen in der Dunkelheit der Obstplantage ein kleines Lagerfeuer und wirft seine unheimlichen Schatten in die Umgebung. Philip sitzt auf der kalten Erde vor den Flammen, das Gewehr neben ihm. Auf seinem Schoß liegt ein modriges, kleines Buch, das er in einem Kinderzimmer der Villa gefunden hat. »Lass mich rein, lass mich rein, kleines Schwein«, liest Philip in gequältem Singsang vor. »Ich werde strampeln und trampeln, ich werde husten und prusten und dir dein Haus zusammenpusten.«

Einen Meter entfernt, an einen Baumstamm gebunden, faucht und geifert Penny Blake bei jedem Wort. Ihre kleinen Zähne beißen erfolglos in die Luft.

»Bin ganz allein, bin ganz allein, ich lass dich nicht ins Haus herein«, fährt Philip fort und blättert die hauchdünne Seite um. Er hält inne und wirft einen Blick auf das Wesen, das einmal seine Tochter war.

Pennys Gesicht verzerrt sich im flackernden Licht der Flammen vor unstillbarem Hunger. Ihre Fratze ist faltig und aufgedunsen, um die Hüften mit Draht an den Baum gebunden, bebt und windet sich. Sie streckt ihre Finger aus und fasst immer wieder ins Leere.

»Und der Wolf strampelt und trampelt, er hustet und prustet und pustet das ganze Haus zusammen.« Eine qualvolle Pause folgt. Dann liest er mit niedergeschlagener Stimme weiter, in der sowohl Trauer als auch Wahnsinn mitschwingen. »Und er fraß das Schweinchen.«