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»Und du liegst falsch mit der Behauptung, dass es keinen Zweck hat«, fährt Philip nach einer Weile fort. »Es dient dem Zweck, dass es mir besser geht.«

Am nächsten Abend, nachdem sie die Lichter ausgemacht haben und die Feuer in den Kaminen verglühen, beginnt der Wind mit den Dachfenstern und den losen Schindeln zu spielen. Brian liegt in seinem Bett im Nähzimmer und versucht, sich einem unruhigen Schlaf hinzugeben, als er eine Tür hört und Nick Parsons’ Silhouette auf seiner Schwelle erscheint. Brian setzt sich auf. »Was ist los, Nick?«

»Still«, flüstert Nick, tritt zu ihm ans Bett und kniet sich hin. Er trägt einen Mantel und Handschuhe. Eine Ausbuchtung an der Hüfte lässt darauf schließen, dass er eine Pistole eingesteckt hat. »Nicht so laut.«

»Was ist los?«

»Dein Bruder schläft … Endlich.«

»Und?«

»Na, wir müssen also … Wie heißt es? Wir müssen … eingreifen.«

»Was? Meinst du Penny? Hast du etwa noch einmal vor, Penny ins Jenseits zu befördern?«

»Nein! Die Scheune, Mann! Die Scheune!«

Brian reibt sich die Augen und streckt seine schmerzenden Gliedmaßen. »Ich weiß nicht, ob ich mir das schon wieder antun will.«

Sie schleichen aus der Hintertür, jeder von ihnen mit einer Knarre bewaffnet. Nick hat die Waffe des Glatzkopfs eingesteckt, und Brian den Achtunddreißiger mit dem kurzen Lauf. Leise laufen sie durch den Hinterhof zur Scheune. Dort richtet Brian den Strahl seiner Taschenlampe auf das Vorhängeschloss. Sie nehmen ein Stück Holz von einem Stapel und brechen damit, so leise wie es geht, die maroden Tore auf.

Brians Herz schlägt ihm bis zum Hals, als sie sich in die dunkle Scheune wagen.

Der Gestank nach Schimmel und Fäkalien schlägt ihnen entgegen. Er wird immer penetranter, je tiefer sie sich in die düsteren Schatten der Scheune begeben. Endlich erkennen sie zwei dunkle Gestalten, die in einer Blutlache liegen, das so schwarz wie Öl ist. Sie scheinen kaum mehr etwas Menschliches an sich zu haben. Als Brian den Schein der Lampe auf ein blasses Gesicht richtet, verschlägt es ihm den Atem.

»Grundgütiger!«

Der Mann und die Frau sind noch am Leben – gerade noch. Ihre Gesichter sind entstellt und stark angeschwollen, auf ihren entblößten Körpern sind überall offene Wunden, aus denen Eiter quillt. Beide stehen kurz vor der Bewusstlosigkeit. Ihre halb geschlossenen Augen starren zu den Dachsparren. Die Frau wurde brutalst misshandelt und vergewaltigt. Sie gleicht einer gebrochenen Gliederpuppe. Ihre Beine sind auseinandergerissen, und ihre weiße, tätowierte Haut ist voll getrocknetem Blut.

Brian fängt zu stammeln an. »Mein Gott … Was ist … Grundgütiger …«

Nick kniet sich neben die Frau. »Brian, hol Wasser.«

»Und was ist mit …«

»Aus dem Brunnen, und zwar schnell!«

Brian überlässt Nick die Taschenlampe, dreht sich um und eilt aus der Scheune.

Nick richtet den Strahl auf die Wunden und Entzündungen – manche von ihnen sind bereits alt und halb verfault. Die Brust des Mannes hebt und senkt sich in raschen Abständen. Die Frau bemüht sich, ihre wässrigen Augen auf Nick zu fokussieren. Sie blinzelt wie eine Wahnsinnige.

Ihre Lippen bewegen sich unter dem Klebeband. Nick zieht es vorsichtig von ihrem Gesicht.

»B-b-biiittt-t-t-ttt …« Sie versucht, ihm etwas mitzuteilen, etwas Dringendes, aber Nick versteht kein Wort.

»Es ist alles gut. Wir sind hier, um euch zu helfen. Alles wird gut.«

»T-t-tttö …«

»Was? Ich verstehe nicht …«

Die Frau versucht noch einmal zu schlucken. »T-töte unssss … B-bitte …«

Nick starrt sie an. Sein Magen verkrampft sich. Er spürt, wie ihn etwas an der Hüfte berührt. Es ist die schorfbedeckte Hand der Frau, die nach dem Pistolengriff fasst, der aus Nicks Gürtel ragt. Nick gibt innerlich nach, und sein Herz rutscht ihm bis in die Hose.

Er zieht seine Waffe heraus, steht auf und starrt lange auf die beiden übel zugerichteten Geschöpfe vor ihm.

Dann spricht er ein Gebet. Den dreiundzwanzigsten Psalm.

Brian ist auf dem Rückweg zur Scheune. Er trägt einen Plastikeimer voll Brunnenwasser. Plötzlich hört er zwei gedämpfte Schüsse. Sie klingen wie Feuerwerkskörper, die in Dosen explodieren. Die Schüsse sind kurz und hart. Brian hält mitten im Schritt inne, sodass er etwas Wasser verschüttet. Überrascht stößt er einen leisen Schrei aus.

Da bemerkt er im Augenwinkel, wie ein kleines Licht hinter einem der Fenster im oberen Geschoss der Villa angeht. Philips Zimmer. Der Strahl einer Taschenlampe erscheint und verschwindet wieder, gefolgt von einer Reihe von Schritten die Treppe hinunter und durch das Haus – schnell und zielstrebig. Brian schüttelt sich.

Er lässt den Kübel stehen und rennt über den Hinterhof in die dunkle Scheune. Er sieht einen kleinen silbernen Lichtstrahl und rast auf Nick zu, der sich gerade über die zwei Gefangenen beugt.

Kordid steigt aus dem Lauf der Waffe in Nicks rechter Hand. Sie hängt jetzt locker an seiner Seite herab. Beide Männer starren auf die leblosen Körper vor ihnen.

Brian will gerade etwas sagen, als er den Blick auf die klaffenden Kopfwunden richtet, Blut und Gewebe bilden ein bizarres Gebilde auf der Stalltür, an der die beiden lehnten. Jetzt schimmern die menschlichen Überreste im Schein der Taschenlampe.

Mann und Frau sind tot. Beide liegen in ihrem Blut. Ihre Gesichter wirken fast friedlich, endlich befreit von den Qualen der Folter und der Pein. Brian versucht erneut, etwas zu sagen.

Aber es fehlen ihm die Worte.

Einen Moment später werden die Flügeltore aufgerissen, und ein zorniger Philip stürmt herein. Die Hände sind zu Fäusten geballt, das Gesicht vor Rage verzerrt, die Augen funkeln wahnsinnig. Er rennt durch die Dunkelheit auf das Licht zu. Es sieht so aus, als ob er die beiden verschlingen will. In seinem Gürtel stecken eine Pistole und eine Machete.

Dann wird er langsamer.

Nick hat sich von den Leichen abgewandt, weicht aber keinen Zentimeter zurück, als Philip auf sie zukommt. Brian hingegen tritt einen Schritt beiseite. Eine tiefe Scham erfasst ihn. Es ist, als ob seine Seele entzweigerissen würde. Er starrt zu Boden, als sein Bruder langsam näher kommt, und lässt dann den Blick nervös zwischen den beiden leblosen Körpern und Nick hin und her wandern.

Niemand sagt ein Wort. Philip schaut Brian an, der versucht, seine lähmende Scham zu verbergen. Je mehr er sich jedoch darauf konzentriert, desto schlimmer wird es.

Wenn Brian doch nur den Mut aufbringen könnte, würde er sich den Lauf seiner Pistole in den Mund stecken, um sich zu erlösen. Auf irgendeine perverse Art glaubt er, dass er an allem Schuld hat, aber er ist zu feige, um sich selbst das Leben zu nehmen – wie ein richtiger Mann das tun würde.

Also steht er nur da und weiß vor Scham und Schmach nicht, wo er hinsehen soll.

Die übel zugerichteten Körper der beiden Toten zusammen mit dem unerbittlichen Schweigen seines Freundes und seines Bruders lösen bei Philip etwas aus. Wie bei einer unsichtbaren Kettenreaktion fängt er an, innerlich zusammenzubrechen.

Er kämpft gegen Tränen an und reckt das bebende Kinn. Er verspürt eine Mischung zwischen Trotz und Selbstverachtung. Sein Mund bewegt sich, als ob er etwas Wichtiges mitzuteilen hätte, und doch muss er sich ungeheuer anstrengen, um etwas hervorzubringen. »Wie auch immer.«

Nick glaubt seinen Ohren nicht zu trauen. Er starrt Philip ungläubig an. »Wie auch immer?«

Philip dreht sich um und geht. Er zieht die Glock aus dem Gürtel, entsichert sie und ballert auf die Bretterwand der Scheune. BUUUUMMMMM! Der Rückstoß fährt durch seine Hand ins Handgelenk, und der laute Knall lässt Brian zusammenzucken. BUUUUMMMMM! Ein weiterer Schuss. Das Mündungsfeuer erhellt kurz die düstere Scheune, und die Kugel zerfetzt einen Teil des maroden Tors. BUUUUMMMMM! Der dritte Schuss landet in den Dachsparren. Schutt, Staub und Heu regnen auf sie herab.