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Wütend tritt Philip gegen das Flügeltor und stürmt aus der Scheune.

Dann herrscht Schweigen. Brian hat während der ganzen Zeit nicht aufgeschaut. Auch jetzt lässt er den Kopf gesenkt und starrt trostlos auf das verschimmelte Heu. Nick wirft einen letzten Blick auf die leblosen Körper und gibt ein langes, schmerzvolles Seufzen von sich, ehe er den Kopf schüttelt. »Nicht zu glauben«, sagt er schließlich.

Etwas schwingt in seiner Stimme mit – ein Anflug von Furcht? –, was Brian zeigt, dass sich etwas in ihrer kleinen Patchworkfamilie verändert hat – unwiderruflich für immer.

Zwanzig

Was zum Teufel macht er da?« Nick steht am Fenster des Wohnzimmers und starrt in den bewölkten Morgen hinaus.

Am anderen Ende des Vorhofs direkt hinter der Auffahrt zerrt Philip seine Tochter an einer Art Hundeleine aus diversen Teilen, die er im Geräteschuppen gefunden hat, hinter sich her. Von fern sieht es wie ein langes Kupferrohr mit einem Stachelhalsband. Philip zieht Penny hinter sich her zu dem Ford S-10 Pick-up, der auf dem Stück Gras geparkt ist. Der Wagen stammt von Glatzkopf und seiner Bande. Jetzt hat Philip ihn beschlagnahmt und mit Essen, Waffen und Bettzeug beladen.

Penny zischt und knurrt, während sie sich widerwillig durch die Gegend zerren lässt. Sie greift nach dem Kupferrohr und beißt Löcher in die Luft. Im wässrigen Morgenlicht ähnelt ihr totes Gesicht einer lebendig gewordenen Halloween-Maske aus wurmgrauem Ton.

»Das versuche ich dir doch schon die ganze Zeit klarzumachen«, meint Brian, der neben Nick steht und ebenfalls auf die bizarre Szene starrt, die sich draußen abspielt. »Er ist heute Morgen aufgestanden und hat behauptet, dass wir keinen Augenblick länger hierbleiben können.«

»Wieso?«

Brian zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung … Nach all dem, was passiert ist … Ich glaube, die ganze Gegend hier ist für ihn verseucht, voller Geister … Was weiß ich, was in seinem Kopf vorgeht.«

Brian und Nick haben die ganze Nacht über kein Auge zugemacht, sondern Unmengen von Kaffee getrunken und sich über die Situation unterhalten, in der sie sich befinden. Nick glaubt, dass Philip jetzt endgültig durchgedreht ist. Die schreckliche Geschichte mit Penny und der Druck, sich um Brian und ihn zu kümmern, seien einfach zu viel gewesen. Obwohl Nick es nicht klar ausspricht, glaubt er, dass der Teufel nun Besitz von Philip genommen hat. Brian ist zu erschöpft, sich mit Nick über metaphysische Themen zu unterhalten, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Lage drastisch verschlimmert hat.

»Lass ihn gehen«, meint Nick endlich und wendet sich vom Fenster ab.

Brian wirft ihm einen Blick zu. »Was soll das heißen? Willst du damit etwa sagen, dass du hierbleiben willst?«

»Genau das. Ich bleibe hier, und ich finde, das solltest du auch.«

»Nick, mach keine Scherze.«

»Wie können wir ihm weiter hinterherlaufen? Nach dieser ganzen Sache … Nach all dem, was hier passiert ist?«

Brian fährt sich über den Mund und überlegt einen Augenblick. »Pass auf. Ich sage es gerne noch einmal. Was er mit diesen Leuten angestellt hat, ist unvorstellbar. Er ist vom Weg abgekommen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn jemals wieder mit gleichen Augen sehen werde … Aber wir müssen überleben – nicht mehr und nicht weniger. Wir dürfen uns nicht trennen. Unsere beste Chance besteht darin, dass wir zusammenhalten. Komme, was wolle.«

Nick schaut wieder aus dem Fenster. »Glaubst du wirklich, dass wir es bis zu Küste vom Golf von Mexiko schaffen? Das sind locker sieben-, wenn nicht achthundert Kilometer.«

»Ich wiederhole mich gern: Unsere beste Chance besteht darin zusammenzuhalten.«

Nick sieht Brian an. »Er hat seine tote Tochter an einem Halsband. Er hat dich beinahe zu Tode geprügelt. Brian, der Mann ist eine tickende Zeitbombe, die jederzeit hochgehen und uns um die Ohren fliegen kann.«

»Diese tickende Zeitbombe hat uns durch ganz Georgia gebracht – von Waynesboro bis hierher«, knurrt Brian. Allmählich wird er wütend. »Dann ist er eben verrückt, explosiv und hat mit Dämonen zu kämpfen. Mann, dann ist er eben der verdammte Fürst der Finsternis … Aber er ist noch immer mein Bruder und unsere beste Chance, am Leben zu bleiben.«

»Nennen wir das jetzt so? Überleben?«

»Wenn du hierbleiben willst, dann bitte. Ich werde dich nicht davon abhalten.«

»Vielen Dank. Genau das habe ich auch vor.«

Nick wendet sich vom Fenster ab und verschwindet im Haus. Brian starrt weiterhin nervös zu seinem Bruder hinaus.

Sie müssen Benzin sammeln und benutzen einen Kühlerschlauch zum Absaugen sämtlicher Tanks – der Traktoren, Autos und Harleys –, um den Treibstoff in den Ford S-10 zu füllen. Nach getaner Arbeit ist der Sechzig-Liter-Tank voll, und sie haben noch eine ganze Menge übrig. Philip richtet Penny einen Platz auf der Ladefläche ein, indem er die Kisten mit Proviant in einem Halbkreis aufstellt und den Boden mit Decken auslegt. Dann kettet er sie an einen Bügel in der Ladefläche, sodass sie nichts anstellen oder sogar abspringen kann.

Nick beobachtet das Treiben vom Zimmer im ersten Stock aus und tigert dabei wie ein Raubtier in einem Käfig auf und ab. Die Realität der Lage scheint sich jetzt auch ihm zu offenbaren. Er wird allein in dieser großen, zugigen Villa zurückbleiben. Er wird die Nächte hier ohne jemand anderen aushalten müssen. Er wird den ganzen Winter über einsam sein. Er wird den Nordwind hören, wie er durch die Fensterläden pfeift, und das Stöhnen der Beißer wird zu ihm dringen, während sie in der Obstplantage herumstreifen … Aber vor allem wird er allein sein. Er wird einsam aufwachen, einsam essen, einsam nach Essbarem suchen, einsam von besseren Tagen träumen und einsam Gott um Erlösung anflehen … Alles allein. Während er Philip und Brian bei den letzten Vorbereitungen zur Abreise zusieht, ergreift ihn ein Gefühl des Bedauerns. Ist es Reue? Er geht durch das Zimmer zum Schrank.

Es dauert nur Sekunden, um das Nötigste in seine Tasche zu werfen.

Dann stürzt er aus dem Zimmer und rennt die Treppe hinunter, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nimmt.

Brian macht es sich auf dem Beifahrersitz bequem, und Philip legt gerade den ersten Gang ein, als sie das laute Zuknallen der Haustür hören.

Brian wirft einen Blick zurück und sieht, wie Nick mit einer über die Schulter geworfenen Tasche auf sie zuläuft und ihnen zuwinkt.

Es ist kaum vorstellbar, dass Philip nicht auf die Idee gekommen ist, einen Blick unter die Motorhaube des Trucks zu werfen. Wenn er sich nur drei Minuten Zeit genommen hätte, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist, hätte er den kaputten Schlauch bemerkt. Aber Philip Blake ist in diesen Tagen nicht mehr das, was man hundertprozentig einsatzbereit nennt. Im Augenblick gleicht sein Kopf eher einem Kurzwellenradio, bei dem ständig die Station gewechselt wird.

Ganz gleich, ob die Eindringlinge den Schlauch absichtlich am Tag des Kampfes kaputt gemacht haben – um sicherzugehen, dass niemand flüchten kann? – oder ob es eine umherstreunende Kugel war, die sich erst durch den Kühler bohrte, um dann den Schlauch zu durchdringen oder ob es sich um reinen Zufall handelt – es ändert jedenfalls nichts an der Tatsache, dass der Truck keine acht Kilometer weiter zu qualmen beginnt.

Etwa achtzig Kilometer südwestlich von Atlanta, in einer Gegend, von denen die meisten Menschen behaupten würden, sie liegt in der Mitte von Nirgendwo, fängt der Pick-up zu stottern an. Philip lenkt ihn vom Highway auf den Standstreifen, wo der Wagen seinen Geist aufgibt. Sämtliche Warnleuchten auf dem Armaturenbrett blinken auf, und weißer Dampf schießt unter der Motorhaube hervor. Jegliche Versuche, ihn erneut zu starten, schlagen fehl. Philip beschimpft das Auto in unflätigster Weise und tritt vor Wut mit seinen Stiefeln beinahe ein Loch in die Karosse. Die beiden anderen Männer starren auf den Boden und warten schweigend darauf, dass der Anfall vorübergeht. Brian wundert sich, ob sich so eine misshandelte Ehefrau fühlt: Man hat zu viel Angst, um zu fliehen, aber auch zu viel Angst, um zu bleiben.