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Er zieht die Waffe vorsichtig aus der Hose und zeigt ihn den Männern.

»Und ihr beide?«, fordert der Mann im Rollkragenpulli Brian und Nick auf.

Sie folgen Philips Beispiel.

»Seid ihr nur zu dritt?« Dem Akzent nach kommt der Mann mit dem Rollkragenpulli aus dem Norden. Sein kurz geschorenes, blondes Haar weist hier und da graue Stellen auf, und er hat den Stiernacken und Brustumfang eines Schwergewichtsboxers. Sein Bauch quillt über den Gürtel.

»Nur wir drei«, entgegnet Philip und lügt nicht einmal. Er hat Penny an einen Baum gebunden – im Schutz des kleinen Wäldchens circa hundert Meter von der Barrikade entfernt. Philip hat sie außerdem noch mit weiteren Stricken gefesselt und sie mit einem Halstuch geknebelt, sodass sie keinen Laut von sich geben kann. Es hat ihm beinahe die Tränen in die Augen getrieben, ihr das Halstuch in den Mund zu stecken. Aber bis er weiß, mit wem und was er es hier zu tun hat, will er sie erst einmal verstecken.

»Was ist mit euch passiert?«, will der Mann mit dem Rollkragenpulli von Brian wissen und deutet auf seine Wunden.

»Er hat sich wacker geschlagen, als ein paar Zombies auf ihn los sind«, erklärt Philip.

Der Mann im Rollkragenpulli senkt sein Gewehr. »Seid ihr aus Atlanta?«

»Nein. Aus einem kleinen Kaff namens Waynesboro«, erwidert Philip.

»Seid ihr irgendwelchen Sicherheitskräften begegnet?«

»Nein.«

»Habt ihr den Weg allein zurückgelegt?«

»So gut wie«, erwidert Philip und schiebt seine Waffe wieder in den Gürtel. »Wir wollen uns nur ein wenig ausruhen, und dann sind wir wieder weg.«

»Habt ihr etwas zu essen dabei?«

»Nein.«

»Zigaretten?«

»Nein.« Philip deutet auf Brian und Nick. »Wenn wir nur ein Dach über dem Kopf bekommen, um ein Nickerchen zu machen, wären wir zufrieden. Wir wollen wirklich niemanden stören. Geht das in Ordnung?«

Die beiden Männer tauschen einen Blick, als ob sie sich amüsieren würden. Dann bricht der schwarze Mann in lautes Lachen aus. »Jungs, das hier ist der Wilde Westen! Niemand schert sich einen Dreck darum, was ihr tut oder bleiben lasst.«

Es stellt sich heraus, dass der Schwarze noch gehörig untertrieben hat.

Während der nächsten Stunden erfahren Philip, Brian und Nick von der Lage in der Stadt, die nicht unbedingt rosig ist. Es gibt etwa sechzig Überlebende, die sich in der sicheren Zone im Norden aufhalten. Sie versuchen, sich mit Überresten und Abfällen über Wasser zu halten, und die meisten von ihnen sind so paranoid und hegen so viel Misstrauen ihren Nächsten gegenüber, dass sie es nicht wagen, tagsüber aus ihren Löchern zu kommen. Sie leben in verlassenen Wohnungen und leeren Läden. Überall herrscht völliges Chaos. Es ist geradezu überraschend, dass einige wenige der Leute die Initiative ergriffen haben, diesen Wall überhaupt zu bauen. In Woodbury muss jede Frau, jedes Kind und jeder Mann selbst schauen, wo er bleibt.

Genau das gefällt Philip, Brian und Nick. Nachdem sie sich genauer umgesehen haben, suchen sie sich ein verlassenes Haus mit zwei Wohneinheiten an der südlichen Grenze der sicheren Zone in der Nähe des menschenleeren Gewerbegebiets. Schulbusse und leere Anhänger wurden in Reihen um die sichere Zone aufgestellt. Sie dienen als behelfsmäßige Barriere, damit die Beißer nicht einfach hineinspazieren können.

Es scheint alles relativ sicher zu sein.

Brian vermag in der folgenden Nacht kein Auge zuzumachen. Er steht auf, um die Stadt etwas genauer zu betrachten. Das Gehen fällt ihm schwer – die Rippen tun ihm noch weh, und das Luftholen ist mühsam und von Keuchen begleitet –, aber es fühlt sich gut an, an die frische Luft zu kommen und den Kopf frei zu machen.

In dem funkelnden Mondlicht liegen die Bürgersteige in dem ehemaligen Arbeiterviertel einsam da. Müll fegt über verlassene Spielplätze und durch kleine Parks. Schaufensterfronten der typischen Läden, wie man sie in jeder Kleinstadt findet – ein Zahnarzt, DeForest’s Bedarf für Landwirte, ein Milchladen und ein Supermarkt – sind alle ohne Licht und mit Brettern verschlagen. Die Folgen der Plage sind allgegenwärtig – in der Kalkgrube von Kirney’s Salvage Yard, in der verkohlte Leichen liegen ebenso wie im großen Pavillon auf dem Robert E. Lee Platz, der Blutspuren einer Schlacht aufweist, die wie schwarzer Teer im Mondlicht glänzen.

Brian überrascht es nicht, dass das offene Feld in der Stadtmitte – das ihm zuerst vom Ackerland aus auffiel, über das sie laufen mussten, um in die Stadt zu gelangen – früher einmal als Pferderennbahn diente. Die Einwohner scheinen über genügend Treibstoff zu verfügen, um Tag und Nacht Generatoren laufen zu lassen. Schon bald merkt er, dass riesige Flutlichter über der ehemaligen Rennbahn hin und wieder die dunkle Nacht erleuchten. Am anderen Ende der Rennstrecke kommt er an einem Sattelanhänger vorbei, der von den Generatoren im Inneren zu vibrieren scheint. Unzählige Kabel versorgen anliegende Gebäude mit Strom.

Als es am östlichen Horizont langsam hell wird, ist es an der Zeit, wieder nach Hause zu Philip und Nick zurückzukehren. Er überquert einen verlassenen Parkplatz und nimmt eine Abkürzung durch eine müllübersäte Seitengasse. In der nächsten Straße sieht er eine Gruppe alter Männer, die sich um ein brennendes Fass versammelt haben, ihre Hände am Feuer wärmen und eine Flasche Wein die Runde machen lassen.

»Sieh dich vor, Jungchen«, warnt einer der Alten Brian, als er an ihnen vorbeigeht. Die beiden anderen kichern freudlos vor sich hin. Bei den dreien handelt es sich um grauhaarige Kerle, die in mottenzerfressenen Mänteln der Heilsarmee stecken. Sie erwecken den Anschein, als ob sie schon seit Ewigkeiten um das Fass stünden.

Brian bleibt stehen. Er hat die Waffe mit dem kurzen Lauf im Gürtel unter der Jacke stecken, sieht aber keinen Grund, sie zu zücken. »Gibt es hier in der Gegend denn Beißer?«

»Beißer?«, wiederholt einer der Männer mit einem langen, weißen Bart und runzelt die Stirn.

»Er meint die toten Dinger«, erklärt der dritte, der dickste der drei.

»Klar, Charlie«, stimmt der erste der Gruppe mit ein. »Jetzt komm schon … Diese Eiterbeulen, die sich Yellow Mike geschnappt haben … Der Grund, warum wir hier in diesem gottverdammten Kaff feststecken.«

»Ich weiß schon, wen er meint«, gibt der Bärtige zurück. »Hab aber noch nie gehört, dass man sie so nennt.«

»Bist du neu hier, Junge?« Der Dicke mustert Brian von oben bis unten.

»Ja, bin ich.«

Sein Gegenüber grinst und entblößt dabei faulig grünliche Zähne. »Willkommen im Warteraum der Hölle.«

»Hör nicht auf ihn, Kleiner«, beschwichtigt der erste Penner Brian und legt einen dürren rheumageplagten Arm um seine Schultern. Er fügt mit einer leisen, vertraulichen und rauen Stimme hinzu: »Hier brauchst du keine Gedanken an die toten Dinger verschwenden. Aber auf die Lebenden, auf die solltest du aufpassen.«

Am nächsten Tag ermahnt Philip Brian und Nick, nichts auszuplaudern, solange sie in Woodbury sind. Sie sollen sich unauffällig verhalten, Kontakt mit den anderen vermeiden und den Mitbewohnern nicht einmal ihren Namen sagen. Sie haben Glück, denn das Haus ist kein schlechter Aufenthaltsort. In den fünfziger Jahren errichtet – die Möbel sind mindestens genauso alt, mit einem angeschlagenen Spiegel, einem mottenzerfressenen Schlafsofa und einem Aquarium neben dem Fernseher – weist es drei Schlafzimmer und fließend Wasser auf. Es stinkt zwar penetrant nach Katzen und faulem Fisch, aber wie Brians und Philips Vater zu sagen pflegte: »In der Not frisst der Teufel Fliegen.« Außerdem finden sie Lebensmittelkonserven in der Speisekammer und entscheiden sich, ein Weilchen zu bleiben.

Zu Brians Überraschung werden sie von den anderen Bewohnern der Kleinstadt zufriedengelassen. Er weiß nicht, ob es sich herumgesprochen hat, dass sie drei Neuankömmlinge in ihrer Mitte haben, aber niemanden scheint das zu kümmern. Nick sondert sich weitgehend ab, liest seine Bibel und sagt nicht viel. Philip und Brian, beide in der Gegenwart des anderen gereizt, gehen ihren Geschäften nach und reden so wenig wie möglich miteinander. Keiner von ihnen erwähnt die Frage, ob sie sich vielleicht auf die Suche nach einem Auto machen sollten, um ihre Reise nach Süden fortzusetzen. Brian empfindet es ein wenig so, als ob sie aufgegeben hätten. Sie haben aufgegeben, an die Küste zu gelangen, sie haben ihre Zukunft aufgegeben, und vielleicht haben sie sich auch selbst aufgegeben.