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Brians Wunden heilen weiter. Philip kümmert sich immer mehr um seine Manie: Penny. Bei jeder Gelegenheit verschwindet er in dem Wäldchen.

Eines Nachts hört Brian, wie sich die Tür zur Wohnung öffnet und dann wieder ins Schloss fällt.

Er liegt im Bett und lauscht vielleicht für eine Stunde, ehe Philips schlurfende Schritte und ein gurgelndes Geräusch in sein Schlafzimmer dringen. Es ist schon die dritte Nacht, in der Philip heimlich ausbüxt – wahrscheinlich, um nach Penny zu schauen, wenn die anderen schlafen. Aber heute ist es das erste Mal, dass Brian mitbekommt, wie er zurückkommt. Jetzt hört er Philip im Wohnzimmer nach Luft schnappen. Außerdem murmelt er etwas, das aber von leisem Stöhnen und Knurren sowie dem Klappern einer Kette übertönt wird.

Brian steht auf und geht ins Wohnzimmer. Er hält inne, als er sieht, wie Philip Penny an der Leine hält und sie wie einen räudigen Hund über den Teppich zerrt.

Für einen Augenblick verschlägt es ihm die Sprache. Er starrt wortlos auf den kleinen Zombie in dem Schürzenkleid und hofft inbrünstig, dass es sich nur um einen kurzen Besuch handelt. Vor allem hofft er, dass es nicht ihre neue Mitbewohnerin wird.

Einundzwanzig

Was zum Teufel machst du da?«, will Brian von seinem Bruder wissen, während das tote Mädchen hungrig ins Leere beißt. Es richtet seine milchig weißen Augen auf seinen ehemaligen Onkel.

»Ach, lass mich«, entgegnet Philip und zerrt seine tote Tochter in den Flur hinaus.

»Du willst doch nicht …«

»Kümmere dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten!«

»Aber was ist, wenn jemand …«

»Niemand hat etwas davon gemerkt«, unterbricht ihn Philip und tritt die Tür zur Waschküche auf.

Es ist ein winziger, mit Linoleumfliesen ausgelegter Raum, dessen Wände mit Kork beklebt sind. In der Ecke stehen eine kaputte Waschmaschine und ein ramponierter Trockner. Überall liegt Katzenstreu herum. Philip schleift das geifernde und fauchende Geschöpf in eine Ecke und befestigt die Kette an einer freiliegenden Wasserleitung. Er tut dies mit der sicheren und strengen, aber sanften Hand eines erfahrenen Dompteurs.

Brian sieht ihm vom Flur aus zu. Der Anblick widert ihn an. Philip hat Decken auf dem Boden ausgebreitet und sämtliche scharfen Ecken und Kanten abgeklebt, damit das Penny-Wesen weder Lärm machen noch sich verletzen kann. Es ist offensichtlich, dass Philip alles zuvor geplant hat. Er zieht dem Wesen ein behelfsmäßiges Ledergeschirr über, das er aus einem Gürtel und Stricken zusammengeschustert hat, und bindet es dann noch einmal an die Wasserleitung.

Philip geht mit der ruhigen Sorgfalt eines Betreuers vor, der ein behindertes Kind in einen Rollstuhl setzt. Mit dem Stück Kupferrohr hält er das Monster weit genug von sich entfernt, um das Geschirr festmachen zu können. Die ganze Zeit über knurrt, geifert und reißt das Geschöpf, das einmal Penny war, an seinen Fesseln.

Brian starrt auf das Schauspiel, das sich vor seinen Augen abspielt. Er weiß nicht, ob er sich abwenden, zu heulen anfangen oder aufschreien soll. Für einen winzigen Augenblick scheint er in eine andere Zeit zurückversetzt zu sein. Er ist wieder achtzehn und besucht seine sterbende Großmutter ein letztes Mal im Altersheim von Waynesboro. Ein letzter Abschied. Er wird den Ausdruck auf dem Gesicht des Betreuers nie vergessen. Er musste die alte Dame beinahe stündlich saubermachen, und die Miene, die er dabei an den Tag legte, wenn er dies in Anwesenheit ihrer Verwandten tat, war erschreckend – eine Mischung aus Ekel, stoischer Professionalität, Mitleid und Verachtung.

Jetzt zeigt Philip Blake den gleichen Gesichtsausdruck, während er mehrere Riemen um den Kopf des kleinen Monsters schnallt und mit größter Vorsicht ihre zuschnappenden Beißerchen vermeidet. Er singt ihr leise etwas vor, während sie sich gegen ihre Fesseln wehrt – ein Wiegenlied, das Brian nicht kennt.

Irgendwann ist Philip offenbar zufrieden. Zärtlich streicht er dem Penny-Zombie über den Kopf, ehe er ihn auf die Stirn küsst. Das untote Mädchen schnappt nach ihm und verfehlt seine Halsschlagader nur um wenige Zentimeter.

»Ich lasse das Licht an, Schatz«, verspricht ihr Philip mit lauter Stimme, als ob er mit jemandem sprechen würde, der nur schlecht Englisch versteht. Dann dreht er sich um, verlässt die Waschküche und schließt die Tür sorgfältig hinter sich zu.

Brian steht im Flur. Ihm gefriert beinahe das Blut in den Adern. »Möchtest du reden?«

»Ach, das wird schon«, sagt Philip und vermeidet es, seinem Bruder in die Augen zu sehen. Dann geht er in sein Zimmer.

Das Schlimmste ist, dass die Waschküche direkt neben Brians Zimmer liegt. Seit jener Nacht hört er das Penny-Wesen ständig, wie es kratzt, stöhnt und an den Fesseln zerrt. Es ist eine stete Erinnerung an … Ja, woran? An Armageddon, an den Weltuntergang? An den Wahnsinn, der ausgebrochen ist? Brian findet nicht die Worte dafür, was das Geschöpf verkörpert. Der Gestank ist tausendmal schlimmer als Katzenpisse. Philip verbringt viel Zeit mit dem lebenden Leichnam in der Waschküche. Wer weiß, was er mit ihm macht. Jedenfalls führt das Ganze dazu, dass die drei Männer sich mehr und mehr entfremden. Obwohl sich Brian noch immer zwischen Trauer, Kummer und Schock hin- und hergerissen fühlt, verspürt er sowohl doch auch Mitleid und Ekel. Natürlich liebt er seinen Bruder, aber dennoch wird es allmählich unerträglich. Nick sagt nichts mehr, aber Brian weiß, dass er aufgegeben hat. Das Schweigen zwischen den Männern wird immer länger, und Brian und Nick verbringen mehr und mehr Zeit außerhalb der Wohnung, sondieren die Umgebung und lernen so die kleine Stadt und ihre Bewohner nach und nach besser kennen.

Brian hält sich zwar bedeckt, wenn er umherstreift, aber er bringt bald in Erfahrung, dass die Bewohner in zwei Schichten aufgeteilt werden können. Zur ersten – den Mächtigen – gehören diejenigen, die einen nützlichen Beruf haben: zwei Maurer, ein Maschinist, ein Arzt, der Besitzer eines Waffenladens, ein Tierarzt, ein Installateur, ein Friseur, ein Automechaniker, ein Farmer, ein Koch und ein Elektriker. Die zweite Gruppe – Brian nennt sie für sich »die Abhängigen« – umfasst die Kranken, die Jungen und die früheren Büroangestellten, unter anderem auch Leute aus dem mittleren Management und Corporate Executives, die zuvor über ein sechsstelliges Einkommen verfügten und die Abteilungen multinationaler Firmen unter sich hatten. Jetzt jedoch sind sie nutzlos geworden und so sinnlos wie alte Musikkassetten. Brian muss immer wieder an seine Soziologiekurse an der Uni denken, während er sich fragt, ob sich diese lose Gemeinschaft verzweifelter Seelen jemals zu etwas entwickeln wird, das einer funktionierenden Gesellschaft ähneln könnte.

Drei Mitglieder der Nationalgarde, die zwei Wochen zuvor zu ihnen stießen, scheinen der Sand im Getriebe zu sein, denn sie kommandieren jeden herum, der ihnen über den Weg läuft. Diese kleine Clique – Brian bezeichnet sie als Tyrannen – wird von einem ehemaligen Marinesoldaten mit Bürstenschnitt und kalten blauen Augen angeführt, der auf den Namen Gavin hört – oder Major, wie ihn seine Schergen betiteln. Es dauert keine zwei Tage, und Brian ist klar, dass er ein Psychopath ist, der nichts anderes als Macht und Beuterecht im Kopf hat. Vielleicht war es die Plage, die Gavin so weit gebracht hat, aber Brian beobachtete in seiner erster Woche in Woodbury Gavin und dessen Truppe dabei, wie sie hilflosen Familien Lebensmittel abnahmen und einige Frauen nachts in der Nähe der Rennbahn mit gezückter Pistole vergewaltigten.