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Brian kann die Umrisse der dunklen Figuren auf der Rodung nur schwer erkennen. Er sieht, wie sich die Monster an den menschlichen Überresten laben …

Brian schließt die Augen.

Einen Moment lang ist er unentschlossen, ob er beten soll oder nicht. Oder wäre eine stille Grabrede für seinen Bruder besser? Und für Nick und die verstorbene Unbekannte? Für Bobby Marsh, für David Chalmers, für alle Toten, selbst für die noch Lebenden und diese ganze gottverdammte, kaputte Welt. Aber er tut es nicht, sondern sitzt einfach nur da, während sich die Zombies an den Überresten seines Freundes, seines Bruders und der unbekannten Frau satt fressen.

Brian hat keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen ist, als sich die Zombies wieder verziehen und die zerlegten, abgenagten Reste auf der ganzen Lichtung verstreut zurücklassen.

Dann gleitet er vom Dach der Fahrerkabine und schleicht durch die Dunkelheit nach Hause.

Brian sitzt die ganze Nacht über in der leeren Wohnung im Wohnzimmer – vor dem leeren, schäbigen Aquarium. Sein Kopf ist leer, da strahlt kein Sender mehr aus. Die Nationalhymne ist bereits gespielt, das Testbild ist verschwunden, und jetzt flimmert nur noch weißes Rauschen über seinen inneren Bildschirm.

Er steckt noch immer in der schmutzigen Jacke und starrt auf das Glas des Aquariums, das von grünem Schleim bedeckt ist und an dem hier und da etwas Fischfutter klebt. Der Anblick erinnert an ein monotones Stillleben, das direkt aus der Hölle zu stammen scheint. Brian sitzt da und glotzt in den von Glas umrahmten Raum, in dem einmal Fische schwammen. Aus Minuten werden Stunden. Sein Schädel gleicht einer Braun’schen Röhre. Er bemerkt kaum die aufgehende Sonne, die Morgenröte. Er hört weder den Tumult außerhalb der Wohnung noch die aufgeregten Stimmen oder die Motorengeräusche.

Der Tag nimmt seinen Lauf – Zeit hat für Brian keinerlei Bedeutung mehr –, bis der Abend hereinbricht und seinen Schleier der Dunkelheit über die Wohnung legt. Brian bleibt in der Finsternis sitzen und starrt weiterhin auf die bildlose Übertragung in dem leeren Aquarium. Der nächste Morgen kommt, dann der Mittag.

Irgendwann am folgenden Tag fällt bei Brian ein Groschen. Der Schimmer einer Nachricht huscht über den leeren Bildschirm seines Gehirns. Zuerst scheint alles weit entfernt und wirr zu sein, wie ein schlecht empfangener Sender, aber mit jeder Sekunde wird es klarer und die Nachricht lauter. AUF NIMMERWIEDERSEHEN.

Wie eine Wasserbombe in der Tiefe seiner Seele implodieren die beiden Worte in einem glühend heißen Fieberkrampf und reißen ihn endlich aus seiner Benommenheit. Er schnellt auf und öffnet die Augen.

AUF NIMMERWIEDERSEHEN –

Er ist dehydriert, und seine Knochen sind steif. Sein Magen ist leer, und seine Hose trieft vor Urin. Beinahe sechsunddreißig Stunden saß er einfach nur auf dem Stuhl wie bewusstlos, still wie ein Betonklotz, und es fällt ihm anfangs schwer, seinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Aber er fühlt sich gereinigt und so klar im Kopf wie selten zuvor. Er humpelt in die Küche, sucht nach etwas zu essen, findet aber nichts außer einigen Dosen mit Pfirsichen. Er öffnet eine und verschlingt den Inhalt mit wildem Heißhunger. Der Saft tropft ihm vom Kinn. Pfirsiche haben ihm noch nie so gut geschmeckt. Es scheint ihm beinahe, als ob er noch nie zuvor Pfirsiche probiert hätte. Dann geht er ins Schlafzimmer und streift sich die verdreckten Kleider vom Leib, um sich eine neue Jeans und sein einziges anderes Hemd überzuziehen – ein AC/DC-T-Shirt. Er schnappt sich ein Paar Doc-Martens-Stiefel, schlüpft hinein und schnürt sie zu.

An der Tür hängt ein großer, gesprungener Spiegel.

Ein drahtiges, zerzaustes, leicht gedrungenes Frettchen von Mann starrt ihn an. Der Sprung im Spiegel spaltet sein schmales Gesicht und die Mähne seines langen, dunklen, unbändigen Haars. Seine Miene wird von einem strähnigen Backenbart eingerahmt, und die eingesunkenen Augen stecken tief in ihren Höhlen, umgeben von dunklen Umrandungen. Er erkennt sich kaum selbst wieder.

»Wie auch immer«, sagt er zum Spiegel und verlässt das Schlafzimmer.

Im Wohnzimmer holt er seine Achtunddreißiger, schnappt sich das letzte Magazin – die letzten sechs Kugeln, die er hat – und schiebt die Waffe hinten in den Gürtel. Das Magazin steckt er in eine Hosentasche.

Dann stattet er seiner Zombie-Nichte einen Besuch ab.

»Hallo, Kleines«, begrüßt er sie mit sanfter Stimme, als er die Waschküche betritt. Die kleine, mit Linoleum ausgelegte Kammer stinkt nach Tod. Brian bemerkt den üblen Geruch jedoch kaum, sondern geht sofort auf die Penny-Kreatur zu, die ihn anknurrt und an ihren Ketten reißt. Ihre Hautfarbe erinnert an Zement, und ihre Augen sind so glatt und ausdruckslos wie matt geschliffene Steine.

Brian kniet sich vor sie hin und wagt einen Blick in den Eimer. Er ist leer.

Dann schaut er sie an. »Du weißt, wie sehr ich dich liebe, oder?«

Das Penny-Ding faucht ihn an.

Brian streichelt ihre dünne, kleine Ferse. »Ich gehe jetzt fort, um etwas Proviant zu holen, Schatz, und bin gleich wieder da. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Die kleine Untote legt den Kopf zur Seite und stößt ein Grunzen aus, das klingt, als ob Luft durch verrostete Rohre gepresst werden würde. Brian klopft ihr aufs Bein – stets darauf bedacht, außer Reichweite ihrer Zähne zu bleiben – und steht dann auf.

»Bis bald, Süße.«

In dem Augenblick, als Brian unbemerkt aus der Seitentür der Wohnung schleicht und sich mit gesenktem Kopf und den Händen in den Taschen durch die windgepeitschten Felder aufmacht, weiß er, dass etwas nicht stimmt. Die Pferderennbahn, die zum Autodrom umfunktioniert wurde, liegt still in der Ferne da. Einige der Ansässigen eilen an ihm vorbei, die Augen vor Panik weit aufgerissen. Die Luft trägt ihm den Gestank der Toten und Verwesenden zu. Links hinter der Barrikade aus Bussen und alleinstehenden Häusern wandern unzählige Untote an der Grenze entlang und suchen nach einem Loch, nach einem Weg nach drinnen. Vor sich sieht er schwarzen Rauch aus dem Schornstein des Krematoriums aufsteigen. Brian legt einen Zahn zu.

Als er sich dem Marktplatz nähert, erkennt er in der Ferne, dass mit Gewehren und Ferngläsern ausgerüstete Männer auf dem hölzernen Wall am nördlichen Ende der Sicherheitszone stehen, wo der Zaun noch gebaut wird. Sie machen keinen glücklichen Eindruck. Brian eilt weiter. Sein Schmerz, die steifen Glieder, seine angebrochenen Rippen – all das verschwindet bei den Unmengen von Adrenalin, die jetzt durch seinen Körper pumpen.

Die Lebensmittel von Woodbury werden in einem Lagerhaus aus Ziegeln dem Gerichtsgebäude gegenüber gehortet. Brian hält vor der Lagerhalle inne, als er die drei alten obdachlosen Männer vor dem Gebäude stehen sieht. Mehrere Leute warten auf den Stufen und ziehen nervös an ihren Zigaretten, während andere den Eingang versperren. Brian geht über die Straße und gesellt sich zu der Menge.

»Was ist hier los?«, fragt er den alten Mann im Heilsarmeemantel.

»Probleme in Gotham City, Kleiner«, erwidert der Alte und deutet mit einem verschrumpelten Daumen auf das Gerichtsgebäude. »Die halbe Stadt hat sich da drinnen versammelt und berät sich.«

»Wieso? Ist etwas passiert?«

»Gestern wurden drei weitere Anwohner gefunden. Im Wald. Fein säuberlich abgenagt bis auf die Knochen … Hier wimmelt es nur so von Beißern. Der Lärm des Rennens hat sie wahrscheinlich angelockt. Verdammte Verrückte! Warum haben sie nur so viel Krach gemacht?«

Einen Moment lang überlegt Brian, wie es jetzt weitergehen soll. Er könnte sich einfach aus der Affäre ziehen, indem er seine Siebensachen nimmt und abhaut. Er könnte sich einfach ein Auto schnappen, alles aufladen, Penny in den Kofferraum stecken und losfahren.

Hier schuldet er niemandem etwas. Am besten ist es, sich zu verdünnisieren und dem Kaff so schnell wie möglich den Rücken zuzudrehen. Das wäre eindeutig die beste Vorgehensweise. Aber etwas in Brian lässt ihn noch einmal darüber nachdenken. Was würde Philip tun?