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An der Dachluke hängt eine Schlaufe aus Leder. Brian springt so leise wie möglich hoch und fasst nach ihr. Er zieht daran und öffnet das Schnappschloss zum Dachboden. Eine Leiter erscheint, und Brian zieht sie knarzend bis auf den Treppenabsatz herab, ehe er die Taschenlampe auf das dunkle Loch über sich richtet. Staubkörnchen tanzen durch die Luft. Die Dunkelheit ist dennoch undurchdringlich und scheint fast alles Licht zu schlucken. Brians Herz fängt heftig zu pochen an.

Du verdammtes Weichei, ermahnt er sich. Beweg deinen Hintern nach oben.

Er klettert eine Sprosse nach der anderen hoch, den Baseballschläger unter dem Arm, in der freien Hand die Taschenlampe. Als er oben ankommt, hält er inne. Er richtet den Lichtstrahl auf einen antiken Schrankkoffer voller alter Aufkleber vom Magnolia Springs State Park.

Jetzt nimmt er den kalten, fauligen Geruch wahr, der hier oben herrscht – eine Mischung aus Moder und Mottenkugeln. Die herbstliche Kälte ist durch die Ritzen gekrochen und hat sich auf dem Dachboden breitgemacht. Kühle Luft berührt sein Gesicht. Da dringt das Rascheln erneut an sein Ohr.

Es scheint ein Stück entfernt zu sein. Brians Kehle ist staubtrocken, als er sich etwas aufrichtet. Das Dach ist derart niedrig, dass er leicht gebückt bleiben muss. Er erzittert in seiner Unterhose und dem T-Shirt. Außerdem reizt ihn ein Husten, doch er unterdrückt ihn so gut er kann.

Einen Moment lang hört das Kratzen auf, ehe es mit erneutem Elan weitergeht. Als ob jemand wütend wäre.

Brian hebt den Baseballschläger und rührt sich nicht vom Fleck. Er erlebt das Gefühl der Angst wieder ganz neu: Wenn man sich beinahe in die Hose macht, zittert man nicht, wie es die Schauspieler in den Filmen tun. Nein, man bewegt sich überhaupt nicht. Wie ein Tier, das die Nackenhaare aufstellt.

Das Zittern kommt erst danach.

Der Strahl der Taschenlampe wandert langsam durch die dunklen Ecken des Dachbodens über die abgelegten Dinge einer wohlhabenden Familie: ein Trimmfahrrad voller Spinnweben, ein Rudergerät, Koffer, Hanteln, Dreiräder, Kartons voller Kleider, Wasserski, sogar ein Flipperkasten, der von einer dichten Schicht Staub überzogen ist. Da dringt das Kratzen wieder an sein Ohr.

Der Lichtstrahl trifft auf einen Sarg.

Brian hält wie versteinert inne.

Ein Sarg?

Philip bleibt abrupt auf der Treppe stehen, als er bemerkt, dass die Dachluke auf dem Treppenabsatz im ersten Stock offen steht.

Er eilt die restlichen Stufen hoch, wobei seine Füße nur von Socken bedeckt sind. In einer Hand hält er eine Axt, in der anderen eine Taschenlampe. Die Schusswaffe steckt wieder hinten in seiner Jeans. Mit freiem Oberkörper kann man seine sehnigen Muskeln erst recht gut erkennen. Seine Haut schimmert im Mondlicht, das durch die Oberluke fällt.

In Sekundenschnelle hat er den Treppenabsatz erreicht und klettert die Stufen zum Dachgeschoss hoch. Als er oben in der Dunkelheit angekommen ist, sieht er die Silhouette eines Mannes in dem kleinen Raum.

Ehe Philip auch nur die Taschenlampe auf seinen Bruder richtet, ist ihm bereits klar, was hier vor sich geht.

»Das ist eine Sonnenbank«, sagt eine Stimme und lässt Brians Atem vor Schreck stocken. Ihm war das Herz sowieso in die Hose gerutscht, doch jetzt, da er keine drei Meter von dem staubigen, länglichen Kasten entfernt steht, verliert er fast die Beherrschung. Der Deckel der Kiste ist zu, wie bei einer riesigen Muschelschale – und etwas ist im Inneren und kratzt panisch, um herauszukommen.

Brian dreht sich blitzschnell um und erkennt in dem Strahl seiner Taschenlampe das markante, mürrische Gesicht seines Bruders. Philip steht neben der Luke mit einer Axt in der rechten Hand. »Tritt beiseite, Brian.«

»Glaubst du etwa …«

»Der Junge?«, flüstert Philip und nähert sich vorsichtig. »Da gibt es nur eine Antwort: Wir müssen nachsehen.«

Das Kratzen wird stärker, als ob der im Inneren die Stimmen gehört hätte.

Brian dreht sich wieder zu dem Kasten, konzentriert sich und hebt den Baseballschläger. »Vielleicht hat er sich ja hier oben versteckt, als die anderen angesteckt wurden.«

Philip kommt noch näher. »Tritt beiseite, Mann.«

»Das hier ist meine Sache«, entgegnet Brian und streckt die freie Hand nach dem Schloss aus, den Baseballschläger bereit zum Schlag.

Philip stellt sich zwischen seinen Bruder und die Sonnenbank. »Du musst mir nichts beweisen, Mann. Geh einfach aus dem Weg.«

»Nein, verdammt noch mal. Das Ding hier zieh ich durch«, faucht Brian und greift nach dem staubigen Schloss.

Philip mustert seinen Bruder. »Okay, wie du meinst. Dann mach es eben selbst, aber mach es schnell. Was es auch sein mag – denk darüber nicht nach.«

»Verstanden«, erwidert Brian und greift nach dem Schloss.

Philip steht direkt hinter ihm.

Brian öffnet das Schloss.

Das Kratzen hört abrupt auf.

Philip hebt die Axt, als Brian den Deckel aufklappt.

Philip sieht lediglich den Schatten einer Bewegung. Zwei undeutliche Schemen huschen rasend schnell in die Dunkelheit. Dann hört er das Rascheln und sieht Fell, während der Baseballschläger durch die Luft schwingt.

Es dauert eine Weile, ehe er einen der Schemen als Tier erkennt: eine Ratte! Sie hastet aus dem Strahl der Taschenlampe und saust in Windeseile über den Kasten aus Glasfaser auf ein Loch in einer Ecke zu.

Kurz darauf trifft der Baseballschläger auf die Sonnenbank. Er hat den dicken grauen Nager um Längen verpasst.

Der Einschlag zerfetzt die Apparatur der Sonnenbank ebenso wie einige alte Spielsachen, die unmittelbar daneben liegen. Brian atmet erleichtert auf. Er tritt einen Schritt zurück und glotzt der Ratte hinterher, wie sie in ihrem Loch verschwindet. Die andere ist längst weg.

Philip stöhnt und senkt die Axt. Er will gerade etwas sagen, als er plötzlich eine leise metallisch klingende Melodie hört, die aus dem Schatten neben ihm zu kommen scheint. Brian blickt auf den Boden und hält die Luft an.

Infolge des Schlags ist eine kleine Kiste heruntergefallen.

Von ihr stammt die blecherne Musik. Sie spielt noch einige Töne eines Wiegenlieds, ehe sie verstummt.

Dann öffnet sie sich, und heraus kommt eine kleine Clownsfigur.

»Buh«, macht Philip erschöpft. Seine Stimme klingt alles andere als amüsiert.

Ihre Laune ist am nächsten Morgen nach einem großen Frühstück mit Rühreiern, Schinkenspeck, Hafergrütze und Eierkuchen mit frischen Pfirsichen und süßem Tee etwas besser. Der Duft von Kaffee zieht durch das Haus und wird durch den des gebratenen Fleisches und des Zimts für die Eierkuchen ergänzt. Nick bereitet zum Schinkenspeck sogar seine spezielle Soße, was Bobby in den siebten Himmel katapultiert.

Im Elternschlafzimmer entdeckt Brian ein paar Medikamente gegen seinen Husten. Nachdem er ein paar Pillen geschluckt hat, fühlt er sich besser.

Nach dem Frühstück erkunden sie die unmittelbare Umgebung des Hauses, und zwar einen Block entlang der Green Briar Lane. Dabei finden sie verschiedene Dinge, die ihnen nützlich erscheinen. Nach einer Weile haben sie eine gute Sammlung zusammengetragen: Unmengen von Brennholz, Dielenbretter, diverse Lebensmittel in den Kühlschränken der Nachbarn, volle Gasflaschen in der einen oder anderen Garage, Winterjacken und Stiefel, Kartons voller Nägel, Gasbrenner, Wasserflaschen, ein Kurzwellenradio, einen Laptop, einen Generator und einen Haufen DVDs. In einem Keller stoßen sie sogar auf ein Waffenkabinett mit einer Anzahl von Gewehren und reichlich Munition.

Schalldämpfer finden sie zwar nicht, aber beschweren können sie sich auch nicht.

Selbst was die Untoten betrifft, sieht es relativ rosig aus. Die angrenzenden Häuser stehen beide leer. Ihre Bewohner waren offensichtlich rechtzeitig geflüchtet, ehe die Katastrophe hereinbrach. Zwei Häuser weiter stießen Philip und Nick auf ein älteres Ehepaar, das es nicht mehr geschafft hatte. Aber die beiden waren einfach, schnell und vor allem leise mit einigen gut platzierten Axthieben zu beseitigen.