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Thrall hob die Bärenfellklappe gerade so lange hoch, dass Aggra hineinschlüpfen konnte, dann ließ er sie fallen und band sie zu. Der Regen trommelte wütend gegen die Außenhaut, als verlange er Einlass, und die Hütte bebte leicht vom Wind, der an ihr zerrte. Doch sie würde halten.

Dann begann Thrall schnell, seine durchweichte Kleidung auszuziehen, er zitterte etwas. Aggra tat leise dasselbe. Die feuchte Kleidung konnte sie wahrscheinlich leichter töten als ein Zufallstreffer des Blitzes, wenn auch nicht so schnell. Sie trockneten ihre feuchte Haut, die eine grün, die andere braun, und holten frische, trockene Kleidung aus einer Kiste. Thrall zündete eine kleine Kohlenpfanne an.

Er spürte Aggras Blick auf sich und die Luft im Zelt war schwer von unausgesprochenen Worten. Schließlich brach sie die Stille.

„Go’el“, begann sie. Ihre Stimme war tief und rauchig, voller Sorge.

„Sag nichts“, sagte Thrall und beschäftigte sich damit, Wasser zu erhitzen, um für sie, beide heiße Getränke zuzubereiten.

Er sah, dass sie ihn finster anblickte, dann rollte sie mit den Augen und zog fast schon sichtbar ihre Worte zurück. Er sprach nicht gern so zu ihr, doch er hatte keine Lust, über das Geschehene zu diskutieren.

Der Zauber hatte versagt und Thrall wusste, dass es an ihm gelegen hatte.

Sie saßen schweigend da und es war unbehaglich, als der Sturm über sie hereinbrach und die Erde wieder bebte. Doch wie ein Kind, das sich selbst in den Schlaf geweint hat, schien sich die Erde schließlich zu beruhigen. Thrall konnte spüren, dass sie nicht friedlich war und lange noch nicht geheilt. Aber sie war ruhig.

Bis zum nächsten Mal.

Fast augenblicklich hörte Thrall Stimmen von draußen. Er und Aggra traten in den grauen Tag hinaus, der Boden unter ihren nackten Füßen war nass. Andere versammelten sich im Hauptbereich, in ihren Gesichtern spiegelte sich ernste Sorge, Müdigkeit und Entschlossenheit.

Nobundo wandte sich Thrall und Aggra zu, als sie näher kamen. Er gehörte zu einer Gruppe ehemaliger Draenei. Sein Körperbau war nicht stolz, stark und hoch aufgerichtet, sondern gebeugt, fast missgestaltet durch die Einwirkung von Teufelsmagie. Viele Zerschlagene waren dunkel und korrumpiert, doch nicht Nobundo. Er war gesegnet, sein großes Herz hatte sich den schamanischen Kräften geöffnet und er hatte diese Kräfte zu seinem Volk gebracht. Neben ihm standen mehrere Draenei, deren blaue Gestalten unverletzt waren, schlank, rein. Doch für Thrall und viele andere überragte Nobundo sie alle. Eben weil er derjenige war, der er war.

Als der Blick des Hochschamanen auf Thrall fiel, wollte der Orc wegschauen. Dieses Wesen – eigentlich alle hier versammelten Schamanen – war jemand, den Thrall zutiefst respektierte und den er niemals hatte enttäuschen wollen. Und doch hatte er es getan.

Nobundo winkte Thrall mit seiner riesigen Hand zu sich. „Kommt her, mein Freund“, sagte er leise und betrachtete den Orc freundlich.

Viele waren nicht so gnädig gestimmt und Thrall spürte wütende Blicke, als er zu Nobundo trat. Andere gesellten sich hinzu, um an der formlosen Versammlung teilzunehmen.

„Ihr kennt den Zauber, den wir umsetzen wollten“, sagte Nobundo mit noch immer leiser Stimme. „Er sollte die Erde beruhigen und trösten. Zugegeben, es ist eine knifflige Sache, doch eine, die wir alle hier beherrschen. Könnt Ihr mir sagen, warum...?“

„Red nicht um den heißen Brei herum“, knurrte Rehgar. Er war ein riesiger Orc voller Kampfnarben. Wenn man ihn ansah, fiel einem nicht gleich das Wort „spirituell“ ein, doch wer sich von seinem Äußeren leiten ließ, beging einen schweren Fehler. Rehgars Lebensreise hatte ihn vom Gladiator zum Sklavenbesitzer und engen Freund und Berater Thralls gemacht, und die Reise war noch lange nicht vorbei. Ein geringerer Orc als der Kriegshäuptling der Horde hätte vielleicht vor seiner Wut klein beigegeben. „Thrall... was zum Teufel war los mit dir? Wir konnten es alle spüren! Du warst nicht konzentriert!“

Thrall merkte, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten, und zwang sich zur Ruhe. „Nur weil du mein Freund bist, erlaube ich dir, so mit mir zu sprechen, Rehgar“, sagte Thrall scheinbar gelassen, seine Stimme jedoch hatte einen scharfen Klang.

„Rehgar hat recht, Thrall“, sagte Muln Erdenwut mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme. „Die Arbeit ist hart, aber nicht unmöglich – nicht einmal ungewohnt. Ihr seid Schamane, einer, der alle Riten seines Volkes durchschritten hat. Drek’Thar nannte Euch den Retter seines Volkes, weil die Elemente zu Euch sprachen, nachdem sie viele Jahre geschwiegen hatten. Ihr seid kein unerfahrenes Kind, das getröstet werden muss. Ihr seid ein Mitglied des Rings – geachtet und stark, sonst wärt Ihr nicht hier.

Und doch seid Ihr in einem entscheidenden Moment zusammengebrochen. Wir hätten die Beben abschwächen können, aber Ihr habt unsere Arbeit gestört. Ihr müsst uns sagen, was euch ablenkt, damit wir Euch vielleicht helfen können.“

„Muln...“, begann Aggra, doch Thrall hob die Hand.

„Es ist nichts“, sagte er zu Muln. „Die Arbeit ist anstrengend und ermüdend und ich habe gerade viel im Kopf. Es ist nichts anderes.“

Rehgar stieß einen Fluch aus. „Du hast eine Menge in deinem Kopf, spie er. „Nun, der Rest von uns auch. So triviale Dinge, wie die Welt davor zu bewahren, auseinandergerissen zu werden!“

Eine Sekunde lang sah Thrall rot. Muln sprach, bevor Thrall es konnte. „Thrall war der Anführer der Horde, Rehgar, nicht Ihr. Ihr wisst nicht, welche Last er tragen musste und vielleicht noch trägt. Und als jemand, der selbst noch bis vor Kurzem Sklaven besessen hat, solltet Ihr ihn nicht auch noch moralisch verurteilen!“ Er wandte sich an Thrall. „Ich greife Euch nicht an, Thrall. Ich will nur herausfinden, wie wir Euch helfen können, damit letztlich Ihr uns besser helfen könnt.“

„Ich weiß, was Ihr tut“, sagte Thrall, seine Stimme war nah an einem Zischen. „Und es gefällt mir nicht.“

„Vielleicht“, sagte Muln, um Diplomatie bemüht, „braucht Ihr einige Zeit lang etwas Ruhe. Unsere Arbeit ist sehr anstrengend und auch die Stärksten müssen ruhen.“

Thrall würdigte den anderen Schamanen nicht mal einer Antwort – er nickte nur kurz und ging zurück zu seiner Hütte.

Er war so wütend wie lange nicht mehr. Und die Person, auf die er am meisten wütend war, war er selbst. Er wusste, dass er das schwache Glied in der Kette gewesen war, das es nicht geschafft hatte, die notwendige Konzentration in dem Moment aufzubringen, als sie verzweifelt gebraucht wurde. Er konnte sich nicht tief genug fallen lassen, nicht den Geist des Lebens in sich berühren. Er wusste nicht, ob er jemals dazu fähig sein würde. Und weil er es nicht konnte, war der Zauber schiefgegangen. Er war mit sich selbst unzufrieden. Mit der Arbeit, mit den kleinlichen Streitereien – mit allem. Und er erkannte plötzlich, dass diese Unzufriedenheit schon seit langer Zeit in ihm schlummerte.

Vor ein paar Monaten hatte er eine schwierige Entscheidung getroffen. Er hatte sich dazu entschlossen, als Kriegshäuptling der Horde zurückzutreten, um hierherzukommen, zum Mahlstrom. Er wollte dem Pfad des Schamanen folgen. Zuerst hatte er geglaubt, dass es nur vorübergehend sei. Er hatte das Kommando an Garrosh Höllschrei übergeben, den Sohn des verstorbenen Grom Höllschrei, um nach Nagrand zu reisen und bei seiner Großmutter Geyah zu lernen. Das war vor dem großen Kataklysmus gewesen, der Azeroth erschüttert hatte. Thrall hatte die unzufriedenen Elemente gespürt und gehofft, etwas tun zu können, um sie zu beruhigen und das zu verhindern, was dann schließlich doch geschehen war.

Dort hatte er gemeinsam mit einer schönen, aber oftmals irritierenden und frustrierenden Schamanin namens Aggra gelernt. Sie hatte ihn angetrieben, ihn gezwungen, tief nach Antworten zu graben, und die beiden hatten sich verliebt. Er war nach Azeroth zurückgekehrt, und nachdem der Kataklysmus eingetreten war, hatte er sich entschlossen, gemeinsam mit seiner Geliebten zum Mahlstrom zu gehen, um dort zu dienen.