„Es wäre wirklich gut, wenn wir zusammenarbeiten würden – auch vor dieser Stunde des Zwielichts.“ Alexstrasza beobachtete Kalec und Arygos. „Die Blauen müssen festlegen, wie sie einen neuen Aspekt wählen und Entschädigung leisten. Ihr müsst beweisen, dass wir euch wieder trauen können. Das seht ihr sicher ein.“
„Müssen wir das?“, antwortete Arygos. „Warum ‚müssen‘ wir das, Alexstrasza? Wie kommst du dazu, festzulegen, was der blaue Schwarm tun muss und was nicht? Wie kannst du uns verurteilen? Du bietest keine Entschädigung an. Dabei müssen wir deinetwegen einen neuen Aspekt suchen. Wie willst du uns beweisen, dass wir dir trauen können?“ Ihre Augen weiteten sich bei der Beleidigung, doch Arygos fuhr fort. „Woher soll ich wissen, dass du mich nicht töten willst – wenn ich zum Aspekt erwählt werde“, fügte er schnell hinzu. „Und dein Gefährte, Krasus, wie er gern genannt wird – er ist kein Freund der Blauen. Er hat wiederholt gegen uns gesprochen. Mir fällt auf, dass er bei diesem Treffen nicht anwesend ist. Vielleicht wolltest du ihn auch nicht dabeihaben?“
„Korialstrasz hat dein Leben gerettet, Arygos“, erinnerte Kalecgos ihn. „Als dein Vater so in seinem Wahn verloren war, dass er dich verlassen hat.“
Es war ein schmerzhafter Punkt für Arygos und nur wenige waren tapfer genug, um ihn daran zu erinnern. Das Gelege, in dem sich die Eier von Arygos und Kirygosa befunden hatten, war tatsächlich während Malygos’ Wahnsinn verwaist. Korialstrasz hatte es entdeckt, wie so viele andere, und hatte es zu Nozdormu gebracht. Später waren die Gelege dem roten Schwarm übergeben worden. Es war ein leuchtendes Beispiel für die Zusammenarbeit unter den drei Schwärmen gewesen. Und sie hatten ein gemeinsames Ziel gehabt: die hilflosen Welpen zu pflegen, sobald sie aus der Schale schlüpften. Egal, ob sie rot, blau, grün oder bronzen waren.
„Und auch wenn er und ich unsere Differenzen haben, hat mich das nie daran gehindert, Respekt für ihn zu empfinden. Ich habe ihn stets für vernünftig und weise gehalten“, fuhr Kalec fort. „Korialstrasz hat nichts über das Verhalten unseres Schwarms gesagt, was ich nicht auch gesagt hätte.“
„Wirklich? Und was macht das dann aus dir, Kalecgos?“, gab Arygos zurück.
„Genug“, zischte Alexstrasza, Sie hatte nicht erwartet, dass das Treffen reibungslos verlaufen würde. Doch sie hatte auf mehr gehofft als diese Zankerei. „Sicherlich haben die Schwärme genügend Feinde dort draußen, weshalb wir keine wertvolle Zeit darauf verschwenden sollten, uns gegenseitig zu bekämpfen! Todesschwinge ist zurück, mächtiger denn je – und er hat Azeroth dabei fast zerrissen. Nun hat er Verbündete außerhalb seines Schwarms: den Schattenhammerkult. Was auch immer diese Stunde des Zwielichts sein mag, von der Ysera spricht, so sind die Zwielichtdrachen sicherlich eine unmittelbare Bedrohung. Das Rubinsanktum erholt sich noch von dem letzten Angriff. Wenn wir keinen Weg finden, unsere kleinlichen Differenzen beiseitezuschieben...“
„Du hast meinen Vater ermordet! Wie kannst du es wagen, das kleinlich zu nennen?!“
Alexstrasza wurde nicht schnell wütend, doch nun trat sie zu dem jüngeren Drachen und erklärte: „Ich sagte: genug! Wir müssen alle nach vom blicken. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit. Wir sind jetzt in Gefahr. Hörst du mich? Verstehst du nicht? Todesschwinge ist zurückgekehrt!“
Sie stand beinahe Schnauze an Schnauze mit Arygos. Ihre Ohren lagen flach am Schädel an. „Unsere Welt war nie zerbrechlicher! Wir Drachen sind mächtige Wesen, doch selbst wir sollten Angst vor dem haben, was geschehen wird. Wir leben in dieser Welt, Arygos. Wir müssen sie beschützen, sie heilen oder selbst die Drachen – das schließt auch die Blauen ein! – werden vernichtet werden. Wir müssen...“
Einige Köpfe hoben sich auf den geschmeidigen Hälsen und wandten sich himmelwärts. Und dann hörte Alexstrasza es auch und erkannte, was es war.
Drachen.
Einen kurzen Augenblick wagte Alexstrasza zu hoffen, dass es der bronzene Schwarm war. Doch einen Moment später sah sie die Färbung und erfasste mit Schrecken, welcher Schwarm es wirklich war.
„Die Zwielichtdrachen“, keuchte sie.
Sie kamen zum Wyrmruhtempel.
3
Es war nicht so, dass Alexstrasza es sich gewünscht hätte, aber die plötzliche Ankunft des Zwielichtdrachenschwarms veranlasste die anderen Schwärme zu einem einmütigen Vorgehen. Ohne einen weiteren Atemzug auf den Streit untereinander zu verschwenden, stiegen sie in die Lüfte auf, um den Feind anzugreifen und den heiligen Tempel vor Gefahren zu schützen.
Es war ein unpassend schöner Kampf. Dutzende der mächtigen Gestalten in Rot und Grün und Blau wirbelten durch die Luft. Ihre Feinde waren allesamt von dunklerer Schattierung, wie wenn der Tag sich zur Nacht neigte – violett, lila, indigofarben –, und Anmut und Brutalität vereinten sich zu einer blutigen Schlacht.
Als sie aufeinanderprallten, schien eine Stimme in den Köpfen der farbigen Drachen zu erschallen: „Wie freundlich, dass so viele hier an diesem Ort versammelt sind, damit mehr von euch schwachen Kreaturen getötet werden können.“
Alexstrasza flog direkt zwischen drei Drachen und vermied dabei ihren tödlichen Atem, der so lila war wie ihre Feinde. Aus dem Augenwinkel heraus erkannte sie, dass einer der blauen Drachen einen Moment lang auf der Stelle schwebte, einen Zauber sprach, dann seine Flügel anlegte und nach unten stieß. Sie wich kurz aus und vermied so den plötzlich aufkommenden Sturm, der aus Eiszapfen zu bestehen schien. Einer der Zwielichtdrachen schaffte es, sich selbst feinstofflich zu machen, doch die anderen beiden waren zu langsam. Alexstrasza nutzte die Gelegenheit und schoss aufwärts, um ihre riesigen Zähne in seinen geschmeidigen Hals zu schlagen. In seiner körperlichen Gestalt erwischt und zu schwach, um sich zu verwandeln, stieß der Zwielichtdrache einen würgenden Schrei aus und schlug mit seinen indigofarbenen Flügeln wild in der Luft bei dem Versuch, von ihr wegzukommen. Seine schwarzen Klauen schlugen nach ihrem Bauch. Ihre Schuppen nahmen dem Angriff die Schärfe, hielten ihn aber nicht völlig ab. Stechender Schmerz schoss durch ihren Magen. Sie biss fester zu und der Schmerz schwand. Sie öffnete das Maul, ließ den schlaffen Körper fallen und würdigte ihn keines zweiten Blickes, als er in die Tiefe stürzte.
„Wer bist du?“, rief sie, ihre eigene Stimme wurde von der kalten Luft verstärkt und weitergetragen. „Zeig dich, sag, wer du bist, oder sei als der Feigling und das Großmaul bekannt, das du zu sein scheinst!“
„Ich bin weder Großmaul noch Feigling“, erklang die Stimme erneut. „Meine Anhänger kennen mich als Vater des Zwielichts. Sie sind meine Kinder und ich liebe sie.“
Ein Schaudern durchlief die große Lebensbinderin, obwohl sie nicht wusste, warum. Wenn der Name richtig war, dann war er der Patriarch dieser Wesen...
„Dann tritt vor und schütze deine Kinder, Vater des Zwielichts, oder setz dich und sieh zu, wie wir sie eines nach dem anderen töten.“
Zwei von ihnen näherten sich ihr aus entgegengesetzten Richtungen. Sie hatte sich dermaßen darauf konzentriert, die Quelle der Stimme zu lokalisieren, dass sie beinahe nicht mehr rechtzeitig reagiert hätte. In Sekundenschnelle faltete sie die Flügel zusammen, fiel wie ein Stein und wandte sich dabei um. Direkt über ihr verwandelten sich die beiden Zwielichtdrachen nur einen Wimpernschlag vor dem Zusammenstoß in ihre schemenhaften Gestalten. Wodurch ihre Körper gefahrlos durch einander durch flogen.
Hartes, süffisantes Gelächter umgab sie. „Du bist ein närrisches kleines Mädchen, Lebensbinderin. Es wird herrlich, dabei zuzusehen, wie du von den kommenden Ereignissen zermalmt wirst.“
Ein Brüllen dröhnte in ihren Ohren und Alexstraszas Herz schmerzte, als einer der Ihren im Kampf fiel. Seine großen roten Schwingen versuchten noch, ihn in der Luft zu halten, einer der Flügel in Streifen zerfetzt. Sie tauchte augenblicklich zu den Mördern ihres Artgenossen hinab, brüllend und Feuer spuckend. Einer von ihnen verwandelte sich sofort, wurde feinstofflich und warf sich aus der Flammenbahn. Der andere, entweder tapferer oder dümmer als der Erste, wandte sich um und sandte Dolche aus schwarzer Magie auf Alexstrasza zu, bevor auch er sich verwandelte. Diese Arroganz kostete ihn das Leben. Sie riss das Maul auf und stieß eine Flamme über die ganze Länge seines Körpers aus, bevor die Verwandlung vollständig vollzogen war. Da ihr Feuer mächtiger war als das eines gewöhnlichen roten Drachen, schien es förmlich die verfärbten Schuppen zu schmelzen. Sie ringelten sich auf, während das Fleisch darunter bis auf die Knochen verbrannte. Eine Seite seines Körpers war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Der Drache stürzte unter Schmerzen ab – halb in der einen, halb in der anderen Gestalt.