Alexstrasza hatte die Wachen begleitet, doch es war nicht einmal etwas übrig zum Untersuchen. Irgendwie hatten die Zwielichtdrachen es geschafft, dass jedes Sanktum implodiert war. Zurückgeblieben war nichts als Spuren der Energie, die benutzt worden war, um sie zu zerstören. Das Wie und vielleicht das Warum dafür herauszufinden, wäre die Arbeit eines anderen Tages, wenn die Köpfe kühler und die Herzen ruhiger waren. Jetzt waren die Drachenschwärme tatsächlich vereinigt in Schmerz und Verlust.
Es gab keine Hoffnung und doch hatte Alexstrasza sie. Sie öffnete sich, mit ihrem Herzen, ihrer Magie als Lebensbinderin, ihrer grenzenlosen Liebe, um eine Spur von demjenigen zu finden, der der Erste in ihrem Herzen war. Ihr Band war so stark, dass sie ihn noch spüren würde, selbst wenn er weggezaubert worden wäre. Das war immer so gewesen.
Korialstrasz?
Stille.
Geliebter?
Nichts.
Korialstrasz war fort – ebenso wie die Sanktümer – die Eier und die Hoffnung für die Zukunft der Drachen.
Alexstrasza kroch auf der schneebedeckten Erde. Torastrasza, der Majordomus des Herrscherrates des Paktes, stand neben ihr und versuchte sie zu trösten. Doch für etwas so Schreckliches konnte wahrscheinlich kein Trost gefunden werden, zumindest nicht für lange. Wenn überhaupt jemals.
Tariolstrasz trat zu Torastrasza: „Kann ich mit dir reden?“
Torastrasza strich Alexstrasza sanft über die Schnauze. „Ich bin gleich wieder zurück“, sagte sie.
Alexstrasza verstand Torastraszas Worte einen Augenblick lang nicht. Dann nickte sie: „Oh, ja... natürlich.“
Mein Geliebter, mein Herz, mein Leben... Warum habe ich dich gebeten zurückzubleiben? Wärst du mit mir gekommen, hättest du vielleicht überlebt...
Erregte Stimmen erklangen um sie herum, voller Wut, Angst und Furcht. Das Einzige, was Alexstrasza davon abhielt, sich selbst zu verlieren, war gnädige Benommenheit, die begann, sich aufzulösen, je länger dieser Albtraum, der unmöglich real sein konnte, andauerte. Sie spürte ein sanftes Streicheln am Hals und wandte sich um. Sie erblickte Ysera, die sie voll Mitgefühl aus ihren regenbogenfarbenen Augen anblickte. Der grüne Drachenaspekt schwieg, sie wusste, es konnte nichts gesagt werden. Deshalb legte sie sich neben ihre Schwester und sie berührten sich an der Seite.
„Lebensbinderin“, erklang Torastraszas Stimme nach einiger Zeit. Alexstrasza hob mit Mühe den Kopf und betrachtete den anderen Drachen.
„Korialstrasz...“, begann Torastrasza und konnte dann nicht fortfahren.
„Ich weiß“, sagte Alexstrasza. Ihr Herz brach noch ein wenig mehr, indem sie das anerkannte. Als hätten die Worte dazu beigetragen, es realer zu machen. „Er... war da. Im Sanktum. Mein Geliebter ist fort.“
Doch seltsamerweise schüttelte Torastrasza den Kopf. Plötzliche Hoffnung erfüllte Alexstrasza. „Hat er überlebt?“
„Nein, nein, ich... Es scheint Selbstmord gewesen zu sein.“
Sie starrte Torastrasza an, als redete der Majordomus Unsinn. „Deine Worte ergeben keinen Sinn!“, sagte sie und schlug mit ihrer Vorderpfote auf.
„Er war... Er hat das getan. Das Wenige, was davon übrig ist, trägt sein energetisches Zeichen. Es ist grün... und lebendig.“
„Du sagst, dass der Geliebte meiner Schwester die Sanktümer zerstört hat? Zusammen mit den Eiern und sich selbst?“, fragte Ysera, ihre Stimme noch ruhig und gelöst.
„Es... gibt keine andere Erklärung.“
Alexstrasza starrte Torastrasza an. „Das ist nicht möglich“, sagte sie. Ihre Stimme war härter als Stein. „Du kennst Korialstrasz. Du weißt, dass er dazu gar nicht fähig ist.“
„Und wenn er für den Schattenhammer arbeitet?“ Arygos’ Stimme war voller Wut. „Die ganze Zeit hat er dich gedrängt, meinen Vater zu töten. Den Nexus anzugreifen. Und ganz nebenbei plante er die Vernichtung unseres ganzen Volkes!“
Wut explodierte wie ein Feuerball in Alexstraszas Blut. Sie richtete sich auf, ihr Blick lag auf dem blauen Drachen, und langsam ging sie auf ihn zu.
„Während dein Vater sich in seinem Wahn gesuhlt hat, haben Korialstrasz und ich für Azeroth gekämpft. Wir haben uns mit allen Alliierten zusammengetan, die wir finden konnten. Wir haben sogar die Zeit manipuliert, wir riskierten den Tod und Schlimmeres für diese Welt. Er war immer neben mir, sein Herz rein und stark. Er liebte selbst dich, Arygos, er rettete dein Leben und das von Jury und von so vielen anderen. Er hat immer wieder unsere Welt gerettet und unser Volk. Und jetzt kommst du und verkündest allen Ernstes, dass er sich mit Todesschwinge verbündet hat? Mit einem Kult, der das Ende von allem will?“
„Arygos“, drängte Kalec, „es könnte eine andere Erklärung geben.“
Da konnte... da war... da musste... Alexstrasza wusste es. Und dennoch...
„Diese Kampftaktik der Zwielichtdrachen sollte bezwecken, uns hoch über den Tempel zu locken und zu kämpfen“, fuhr Torastrasza fort. Ihre Stimme klang so freundlich, wie ihre Worte gnadenlos waren. „Es war eine Ablenkung, um uns zu beschäftigen... um die Wyrmruhbeschützer wegzulocken, sodass...“ Torastrasza unterbrach sich und sah zu Boden, unfähig, ihre verehrte Lebensbinderin anzublicken, als sie die Worte sprach, von denen sie wusste, dass sie das Herz der Drachenkönigin in Stücke reißen würde.
„Alexstrasza“, sagte Kalec freundlich, „sag uns, warum Krasus heute nicht mitgekommen ist. Er wollte bestimmt kommen... ich bin mir sicher. Aber du hast ihn gebeten, zurückzubleiben, oder?“ Seine Stimme klang flehentlich.
Sie blickte Kalec an. Ihr Herz brach noch mehr, als sie sich an das Gespräch erinnerte – das letzte, das sie jemals gehabt haben würden.
Geh ohne mich, mein Herz. Du bist der Aspekt. Auf deine Stimme werden sie hören. Ich werde nur ein kleiner Kiesel sein, der zwischen den Schuppen steckt – etwas reizend, aber wenig mehr.
Er war es gewesen, der vorgeschlagen hatte, zurückzubleiben.
„Nein“, keuchte sie, sowohl als Antwort auf Kalecs Frage wie auch in der verzweifelten Weigerung, anzuerkennen, was die Wahrheit zu sein schien – dass Korialstrasz das tatsächlich geplant hatte.
Kalec sah sie ängstlich an. „Ich... Selbst angesichts der Anzeichen... Auch wenn alles danach aussieht... Ich kann nicht glauben, dass Krasus einen Völkermord begehen würde! Das ist nicht der Krasus, den ich kannte!“
„Vielleicht ist der Wahnsinn nicht nur auf Aspekte beschränkt“, zischte Arygos.
Etwas machte Klick in Alexstrasza. Sie warf den Kopf zurück und schrie ihren Schmerz heraus. Ein durchdringendes Geräusch, das die Luft zerspringen ließ und über dem gefrorenen Boden bebte. Sie sprang hoch, die Flügel schlugen im Takt mit ihrem rasenden Herzen, die Augen hefteten sich auf die schöne Kugel der Einheit.
Sie flog direkt darauf zu.
Alexstrasza senkte den Kopf in der letztmöglichen Sekunde, wie ein Schafbock, der auf einen Feind zugaloppierte. Ihre riesigen Hörner trafen die grazile Kugel. Mit einem unwirklichen metallenen Geräusch zerbarst die Kugel der Einheit in Tausende leuchtende Teile, wie prasselnder Regen fielen sie auf die Drachen darunter hinab.
Sie musste von hier fort. Weg von den Drachen, die so schnell das Schlimmste von einem annahmen, der immer einer der Besten gewesen war. Nicht nur von den blauen, grünen oder von ihrem eigenen Schwann, die es hätten besser wissen müssen...
Hätte sie selbst es besser wissen müssen? Was, wenn es sich als wahr erwies?
Nein. Nein, sie konnte und würde nicht einen Hauch davon in ihr Herz einlassen. Sonst würde sie jemanden verraten, der stets ihres Vertrauens würdig gewesen war.
Torastrasza, Ysera und Kalecgos flogen neben ihr her. Sie sagten etwas, was sie nicht verstehen konnte, und Alexstrasza wirbelte mitten im Flug herum und griff sie an.