Der Prinz von Helium kochte vor verzweifeltem Zorn wegen der Langsamkeit, mit der er vorwärts kam. Trotzdem mußte er froh sein, daß die Beschädigung nicht noch schwerer war, denn so konnte er sich auf jeden Fall noch schneller fortbewegen als zu Fuß.
Doch auch diese dürftige Befriedigung war nicht von langer Dauer, denn bald sackte das Schiffchen nach backbord und am Bug ab. Der Schaden am Treibstofftank schien also doch noch viel ernster gewesen zu sein als er zuerst geglaubt hatte.
Den ganzen Tag lang kroch Carthoris in einem recht fragwürdigen Zickzackkurs durch die Luft. Der Bug senkte sich immer tiefer, und die Backbordseite gab auch immer mehr nach.
Es ging schon auf den Abend zu, und die Dunkelheit stand kurz bevor, als der Flieger die Nase immer tiefer hinunterfallen ließ, so daß sich Carthoris schließlich an einem kräftigen Decksring mit dem Harnisch anhängen mußte, um nicht abgeworfen zu werden.
Er bewegte sich nur noch ganz langsam im Tempo einer sanften Brise vorwärts, die aus Südosten blies, und mit Sonnenuntergang hörte sie ganz auf. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Flieger vorsichtig auf den Moosboden zu setzen.
Weit vor ihm türmten sich die Berge auf denen der Grüne entgegenritt, als er ihn zuletzt sah. Das war schon ziemlich lange her, doch Carthoris von Helium, der Sohn John Carters, war ebenso entschlossen und vom gleichen Durchhaltevermögen wie sein Vater und nahm daher die Verfolgung zu Fuß auf. Sein Vater hätte es ja auch nicht anders gemacht.
Die ganze Nacht hindurch marschierte er weiter. Endlich dämmerte ein neuer Tag, und nun kam er in die niederen Vorberge, die jenen hohen Bergen vorgelagert sind, welche das Land Torquas schützen.
Vor ihm stiegen zerklüftete Granitfelsen auf. Nirgends konnte er in dieser grandiosen Barriere eine Lücke finden, die ihm einen Zugang zu dem dahinterliegenden Land gewährt hätte, aber irgendwo in diesem abweisenden Gebirge mußte es doch einen Weg geben, auf dem der grüne Krieger die Frau seines Herzens durch diese Barriere gebracht hatte.
Auf dem Moosboden des Seegrundes hatte er keine Spur gehabt, der er hätte folgen können, denn die weichen Tatzen des Thoats drückten sich nicht so tief in die federnde Vegetationsschicht, als daß er an diesen Zeichen den Weg des grünen Kriegers hätte erkennen können.
Hier war es anders. Da und dort gab es ganze Geröllhalden oder schwarze Erde, auf der wilde Blumen wuchsen. Hier herrschte nicht mehr die Monotonie der Tieflande, und Carthoris hoffte früher oder später Spuren zu finden, die ihm eine Verfolgung ermöglichten.
Er suchte sorgfältig ein weites Gelände ab, doch er fand nichts.
Der vorher deutlich erkennbare Pfad hörte ganz einfach auf. Es war sehr mysteriös und ziemlich verwirrend.
Wieder näherte sich der Abend, als Carthoris’ scharfe Augen ein braungelbes Tier erspähen konnten, das sich in einigen hundert Yards Entfernung links von ihm zwischen den Felsblöcken bewegte. Carthoris duckte sich rasch hinter einen großen Felsen und beobachtete das Ding. Es war ein riesiger Banth, einer jener wilden Marslöwen, die in den trostlosen Bergen des sterbenden Planeten hausen. Er hatte die Nase auf dem Boden und schien der Spur eines fleischigen Wesens zu folgen.
Carthoris beobachtete ihn, und nun faßte er wieder Hoffnung.
Hier lag vielleicht die Lösung für das Geheimnis, das er schon den ganzen Tag zu enträtseln versuchte. Dieses hungrige Raubtier war gierig auf Menschenfleisch und verfolgte vielleicht gerade jetzt die beiden, die auch er, Carthoris, suchte.
Vorsichtig folgte nun der junge Mann der Spur des Raubtieres.
Es bewegte sich am Fuß einer senkrecht ansteigenden Wand entlang. Immer wieder schnüffelte es den Boden ab, und gelegentlich gab es ein leises Winseln, den Laut des jagenden Banth von sich.
Erst wenige Minuten war Carthoris dem Tier gefolgt, als es so plötzlich und spurlos verschwand, als habe es sich in Luft aufgelöst.
Carthoris sprang auf. Nein, jetzt ließ er sich nicht auch noch von einem Tier an der Nase herumführen! Es genügte schon, wenn der grüne Krieger mit seiner kostbaren Beute spurlos verschwunden war! Er rannte auf die Stelle zu, an der er das Raubtier zuletzt gesehen hatte.
Vor ihm stieg eine senkrechte Felswand auf, in der sich keine Höhlen erkennen ließen, in welche das riesige Tier hätte verschwinden können. Neben ihm war ein kleiner, flacher Felsklotz, kaum größer als das Deck eines Zehnmannfliegers und höchstens doppelt so hoch wie er groß war.
Vielleicht versteckte sich der Banth hinter dem Felsblock?
Das Raubtier konnte den Menschen, der ihm auf der Spur war, entdeckt haben, und nun lag es wahrscheinlich auf der Lauer, um sich die leichte Beute zu schnappen.
Vorsichtig und mit gezogenem Langschwert schlich Carthoris, Prinz von Helium, um den Felsblock herum. Kein Banth war da, dafür aber etwas anderes, das ihn mehr überraschte, als es zwanzig Banths vermocht hätten.
Vor ihm gähnte der Zugang zu einer dunklen Höhle, die tief in den Boden führte. Hier mußte der Banth verschwunden sein.
War es sein Lager? Und dort drinnen lauerte vielleicht nicht nur das eine riesige wilde Tier, sondern eine ganze Horde dieser gefährlichen Räuber.
Natürlich wußte das Carthoris nicht, und es war ihm auch ziemlich egal, denn ihn hatte nicht das Tier in diese Wildnis gelockt, sondern der grüne Krieger, der vermutlich mit seiner Gefangenen, der Prinzessin Thuvia von Ptarth, in diese Höhle gestiegen war. Nun würde er eben dem Grünen folgen und stolz darauf sein, wenn er im Dienst der geliebten Frau sein Leben lassen müßte.
Er zögerte nicht einen Augenblick, doch er tat auch keinen übereilten Schritt. Vorsichtig Fuß vor Fuß setzend und mit gezogenem Schwert tappte er weiter. Es war stockfinster in der Höhle, und je tiefer er in sie vordrang, desto schwärzer wurde die Dunkelheit.
5
Die Rasse der Blonden
Der seltsame Tunnel mit seinem glatten Boden führte immer tiefer in den Berg hinein und fiel dabei ziemlich steil ab. Carthoris war nun überzeugt, daß dies keine Höhle war, sondern ein vermutlich künstlich angelegter Schacht.
Weiter vorne hörte er gelegentlich das leise Winseln des Banths, und später vernahm er auch denselben gräßlichen Laut von hinten. Ein zweiter Banth folgte ihm also!
Seine Lage war alles andere als angenehm. Es war so stockdunkel, daß er nicht einmal die Hand vor seinen Augen sah.
Die Banths waren jedoch Nachttiere und sahen auch dann, wenn nicht der leiseste Lichtschimmer vorhanden war, ausgezeichnet.
Er sah also gar nichts, und zu hören bekam er nur das blutrünstige Winseln des einen Raubtieres vor ihm und des anderen hinter ihm.
Der Tunnel schien, soweit er es beurteilen konnte, unten durch die hohe Granitwand zu führen, die ihn vorher so lange genarrt hatte. Erst war er sehr steil abgefallen, doch später verlief er eine ganze Weile eben, um schließlich leicht anzusteigen.
Das Tier hinter ihm kam immer näher, so daß er gezwungen war, dem Banth vor ihm fast auf die Pfoten zu steigen. Mindestens mit einem mußte er früher oder später kämpfen, wenn nicht sogar mit allen beiden. Bei diesem Gedanken griff er ein wenig fester um sein Schwert.
Bald hörte er den Banth hinter sich schnaufen. Jetzt konnte er den Kampf wohl nicht mehr lange hinausschieben. Das hätte er gerne noch solange getan, bis er wußte, ob der Tunnel tatsächlich zur anderen Seite der Barriere führte oder nicht, denn ihm wäre lieber gewesen, er hätte draußen im hellen Mondlicht etwas sehen können. Es war kein angenehmer Gedanke, in völliger Finsternis mit mindestens einem riesigen Raubtier kämpfen zu müssen.