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»Ist das Komal, dein Gott?« fragte sie.

Jav nickte. Das Mädchen lächelte, drückte sich an Carthoris vorbei und trat rasch dem knurrenden Raubtier entgegen.

Leise und energisch sprach sie so zu dem Tier, wie sie damals mit den Banths von den Goldenen Klippen und mit den Aasfressern auf dem Kampffeld vor der Mauer von Lothar gesprochen hatte.

Das Tier hörte zu knurren auf. Es senkte den Kopf, schnurrte wie eine große Katze und ließ sich friedlich zu den Füßen des Mädchens nieder. Thuvia wandte sich zu Carthoris um.

»Es ist doch nur ein Banth«, sagte sie. »Von ihm haben wir nichts zu befürchten.«

Carthoris lächelte.

»Ich habe ihn ja auch nicht gefürchtet«, gab er zur Antwort,

»denn auch ich hielt ihn nur für einen Banth, und ich habe ja mein Langschwert.«

Jav setzte sich auf und starrte die beiden entgeistert an – das schlanke Mädchen, das die kleine Hand in der gelbbraunen Mähne des riesigen Tieres vergraben hatte und Komal, der doch sein Gott gewesen war und jetzt sein schreckliches Maul an Thuvias Beinen rieb.

»So, das ist also euer Gott!« sagte Thuvia lachend.

Jav sah entsetzt drein. Er wußte nicht recht, ob er es wagen konnte, die Beleidigung Komals ungestraft dahingehen zu lassen, denn ein Aberglaube, der sich erst einmal irgendwo eingenistet hat, ist unglaublich hartnäckig. Selbst wenn wir wissen, daß wir ein Phantom oder ein Untier verehrt haben, zögern wir, unseren Irrtum zuzugeben und uns zu einer neuen Überzeugung zu bekennen. So war es auch mit Jav, denn er war auch nur ein Mensch, der dem Irrtum einer falschen Gottheit unterlag.

»Ja«, antwortete er. »Das ist Komal. Seit undenklichen Zeiten wurden Tarios Feinde in seine Grube gestürzt, damit er mit ihnen seinen Magen füllen konnte. Komal mußte ja immer gefüttert werden.«

»Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem Raum? Vielleicht auf die Straßen der Stadt hinaus?« fragte Carthoris.

Jav zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Ich war noch nie vorher hier und hatte auch gar kein Verlangen danach.«

»Komm«, forderte Thuvia den jungen Prinzen auf. »Wir wollen uns umsehen. Einen Weg hier heraus muß es doch geben.«

Zu dritt näherten sie sich der niederen Tür, durch die Komal hereingekommen war – in ihre Todeszelle sozusagen. Dahinter lag eine Art niederer Stall mit einer kleinen Tür am anderen Ende. Das war also das Lager des Banths.

Zu ihrer Freude ließ sich diese kleine Tür leicht öffnen, da sie nur mit einem hölzernen Drehriegel verschlossen war. Von hier aus kamen sie in eine kreisrunde Arena mit zahlreichen ansteigenden Sitzreihen.

»Hier findet die öffentliche Fütterung Komals statt«, erklärte Jav. »Hätte Tario es gewagt, dann wäre unser Schicksal hier besiegelt worden. Er fürchtete aber dein scharfes Schwert viel zu sehr, Roter Mann, und deshalb ließ er uns alle in die Grube fallen. Ich wußte selbst nicht, wie die beiden Räume miteinander verbunden waren.

Jetzt können wir leicht zur Avenue kommen und dann eines der Stadttore erreichen. Höchstens die Bogenschützen könnten uns noch in den Weg treten, aber ich kenne ja ihr Geheimnis, so daß ich nicht glaube, daß sie uns ernstlich daran hindern könnten, zu einem Tor zu gelangen.«

Sie fanden in der Arena eine weitere Tür, durch die sie zu einer Treppe kamen, welche durch die Sitzreihen zu einem Ausgang an der Rückseite der Halle führte. Dahinter lag ein breiter, gerader Korridor, der quer durch den ganzen Palast zu den königlichen Gärten auf der anderen Seite lief.

Niemand schien sie aufhalten zu wollen, als sie mit Komal an des Mädchens Seite ihren Weg fortsetzten.

»Wo sind denn die Leute, die im Palast wohnen, des Jeddaks Gefolge?« fragte Carthoris. »Nicht einmal auf den Straßen der Stadt, durch die wir kamen, sah ich viele Menschen, doch alle Anzeichen, die auf eine zahlreiche Bevölkerung hinweisen.«

Jav seufzte.

»Armes Lothar«, sagte er. »Es ist in der Tat eine Stadt der Geister. Kaum tausend sind von uns noch übrig, und einmal waren wir Millionen. Unsere große Stadt wird bewohnt von den Kreaturen unserer Einbildung. Für uns selbst machen wir uns nicht die Mühe, diese unserem Gehirn entsprungenen Leute zu materialisieren, aber wir wissen, daß sie da sind.

Selbst jetzt sehe ich eine Menschenmenge durch diese Avenue hasten, und alle haben ihre Pflichten, denen sie nachgehen müssen. Ich sehe Frauen und Kinder, die auf den Balkonen lachen und scherzen; diese dürfen wir allerdings nicht materialisieren, denn das ist streng verboten. Trotzdem sehe ich sie, und sie sind auch hier… Aber warum eigentlich nicht?« überlegte er.

»Ich brauche Tario ja nicht mehr zu fürchten… Er hat seinen schlimmsten Fehler gemacht und ist eigentlich ein ausgemachter Mißerfolg. Warum also nicht?

Haltet an, Freunde«, forderte er Carthoris und Thuvia auf.

»Wollt ihr nicht Lothar noch in seiner ganzen Glorie sehen?«

Carthoris und Thuvia nickten, mehr aus Höflichkeit, als aus Interesse. Sie verstanden auch nicht ganz, was er mit seinen gemurmelten Worten meinte.

Jav schaute sie einen Augenblick durchdringend an, dann winkte er. »Schaut!« rief er.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war wirklich außerordentlich erstaunlich. Wo vorher nichts als eine leere, wirklich menschenleere Straße gewesen war, nur scharlachroter Rasen, gähnende Fenster und türlose Tore, da schwärmte jetzt eine unglaubliche Menge fröhlicher, lachender, glücklicher Menschen.

»Das ist die Vergangenheit«, erklärte Jav leise. »Sie sehen uns nicht; sie leben nur die alte, tote Vergangenheit des alten Lothar, des toten, zerfallenen Lothar der alten, sagenhaften Zeiten, das an der Küste des Throxus stand, des größten und herrlichsten aller Ozeane.

Seht ihr diese herrlichen, aufrechten Männer, die schwingenden Schrittes diese Avenue entlangeilen? Seht ihr die jungen Mädchen und die Frauen, die ihnen zulächeln? Seht ihr, wie die Männer sie voll Verehrung und Liebe grüßen? Das hier sind Seefahrer, die von ihren Schiffen kommen, die an den Kais am Rand der Stadt liegen.

Tapfere Männer sind das, ah! Aber der Glanz der Stadt Lothar ist verblaßt. Seht ihre Waffen! Nur sie trugen Waffen, denn sie querten die fünf Ozeane und besuchten fremde Länder und Orte, wo Gefahren auf sie lauerten. Als sie verschwanden, da verschwand auch der kriegerische Geist der Lotharianer, und mit den Jahrhunderten, die vorüberrollten, wurde aus ihnen eine Rasse rückgratloser Feiglinge. Wir haßten den Krieg, und deshalb unterließen wir es auch, unsere Jugend für den Krieg auszubilden.

Das rächte sich, denn als die Meere austrockneten und die grünen Horden uns überfielen, konnten wir nichts tun als nur fliehen.

Aber wir erinnerten uns der seefahrenden Bogenschützen unserer glorreichen Tage, und es ist die Erinnerung an sie, die wir unseren Feinden entgegenschleudern.«

Als Jav zu sprechen aufhörte, verblaßten auch die Bilder, und die drei Menschen setzten ihren Weg durch die langen, leeren Straßen fort, die zu den Toren führten.

Zweimal sahen sie richtige Lotharianer aus Fleisch und Blut.

Sie ergriffen aber sofort die Flucht, als sie Jav mit den beiden Fremden und dem riesigen Banth sahen, in dem sie zweifellos Komal erkannten.

»Sie werden sofort Tario von unserer Flucht berichten«, rief Jav. »Dann wird er uns sehr bald seine Bogenschützen nachhetzen. Wollen wir hoffen, daß unsere Theorie richtig ist und daß die Pfeile wirkungslos sind gegen wissende Geister, die sich ihrer Unwirklichkeit bewußt sind. Sonst sind wir dem Unheil ausgeliefert.

Erkläre, Roter Mann, dieser Frau die Wahrheit, wie ich sie dir erklärt habe, so daß sie sich den Pfeilen mit einer starken Gegensuggestion der Immunität stellen kann.«

Das tat Carthoris, aber sie erreichten eines der großen Tore, ohne daß sie irgendein Anzeichen einer Verfolgung erkennen konnten. Jav setzte den Mechanismus in Bewegung, der das riesige, wagenradähnliche Tor in die Mauernische schob, und einen Moment später schritten die drei, begleitet von dem riesigen Banth, hinaus auf die Ebene.