Es wäre möglich. Was mich angeht, möchte ich jedoch behaupten, daß ich alle Attribute einer körperlichen Existenz habe. Ich esse, ich schlafe, ich…« Er machte eine spannende Pause und warf dem Mädchen einen bedeutungsschweren Blick zu. »… ich… liebe!«
Das Wort und der Blick des Mannes waren nicht mißzuverstehen.
Thuvia zuckte also die Achseln, verzog angewidert den Mund und wandte sich ab.
Der Lotharianer war tatsächlich so echt, daß er das auch bemerkte. »Warum nicht Jav?« schrie er und packte ihren Arm.
»Was wäre ehrenvoller als vom zweithöchsten Mann der ältesten Rasse unserer Welt geliebt zu werden? Dein Prinz aus Helium?
Der ist gegangen und hat dich deinem Schicksal überlassen, nur um sich selbst zu retten. Komm und gehöre Jav an!«
Thuvia von Ptarth richtete sich hoch auf. Sie zeigte dem Mann eine sehr schöne, kalte Schulter; sie hob ihr stolzes Kinn, und ein verächtliches Lächeln lag auf ihren schönen Lippen.
»Du lügst«, stellte sie ruhig fest. »Der Prinz von Helium kennt Untreue ebenso wenig wie Furcht. Und von Furcht weiß er noch weniger als ein ungeschlüpftes Junges.«
»Nun, wo steckt er dann?« höhnte der Lotharianer. »Ich sage dir, er ist aus dem Tal geflohen. Er hat dich deinem Schicksal überlassen. Aber Jav wird dafür sorgen, daß es dir nicht schlecht geht. Morgen werden wir nach Lothar zurückkehren, selbstverständlich an der Spitze meiner siegreichen Truppen. Ich werde dann Jeddak, und du bist meine Gefährtin. Komm!« Er versuchte sie an sich zu reißen.
Das Mädchen kämpfe erbittert, um sich von ihm freizumachen.
Mit ihrem Arm, um den viele metallene Armbänder lagen, schlug sie ihm ins Gesicht. Aber er ließ sie nicht los.
Plötzlich ertönte hinter ihnen ein schreckliches, rumpelndes Röhren.
10
Kar Komak, der Bogenschütze
Als Carthoris durch den Wald zu den fernen Klippen ging und Thuvias Hand noch immer fest mit der seinen umschlossen hielt, wunderte er sich ein wenig über des Mädchens beharrliches Schweigen; das Gefühl ihrer kühlen Hand war jedoch so überaus angenehm, daß er Angst hatte, den Zauber neuen Vertrauens durch ein rasches oder unbedachtes Wort zu brechen.
Immer weiter drangen sie in den dichten Wald vor, bis die Schatten der rasch hereinbrechenden Marsnacht sich dichter um sie schlossen. Dann wandte sich Carthoris ein wenig um, weil er mit dem Mädchen sprechen wollte.
Sie mußten ja einen Plan fassen, an die Zukunft denken. Er hatte vor, sofort durch die Klippen zu stoßen, falls er den Tunnel finden konnte. Er war überzeugt, sehr nahe daran zu sein, aber er hätte gerne ihre Zustimmung zu diesem Plan gehabt.
Seine Augen ruhten auf ihr; da fiel ihm plötzlich auf, wie unwirklich, wie ätherisch sie aussah. Es war ganz seltsam.
Sie schien sich in einen Traum aufgelöst zu haben, immer durchsichtiger und dünner zu werden. Und schließlich verblaßte sie so sehr, daß sie verschwand. Einen Augenblick lang war er so perplex, daß er gar nichts mehr begriff. Dann dämmerte ihm allmählich die Wahrheit. Jav hatte ihn glauben gemacht, Thuvia begleite ihn durch den Wald, während er sie – und das ließ sich leider nicht leugnen – für sich zurückbehalten hatte!
Carthoris war entsetzt. Er hätte sich für seine Dummheit selbst verprügeln mögen, und doch wußte er, daß dieser gespenstischen Macht, mit welcher der Lotharianer ihn behext hatte, jeder andere ebenso zum Opfer gefallen wäre.
Kaum war ihm das klar geworden, als er auch schon umkehrte, doch jetzt schlenderte er nicht mehr friedlich dahin, sondern setzte mit den irdischen Sprüngen, die er von seinem Vater geerbt hatte, über den weichen Teppich dichten Grases und abgefallener Blätter.
Thurias, des näheren Mondes blendendhelles Licht überflutete die Ebene vor der ummauerten Stadt Lothar, als Carthoris dem großen Tor gegenüber aus dem Wald kam; aus diesem Tor waren die Flüchtlinge erst am gleichen Tag gekommen.
Außer ihm schien weit und breit kein Mensch zu sein; die ganze Ebene lag verlassen da. Keine Bataillone von Bogenschützen kampierten unter den Ästen der großen Bäume, keine Haufen gemarterter Toter verdarben die Schönheit des scharlachfarbenen Rasens. Hier herrschte friedliche Stille.
Der junge Prinz ließ sich wenig Zeit, vom Waldrand aus über die Ebene zu schauen, sondern lief sofort eiligst weiter. Da fand er im Gras vor seinen Füßen eine zusammengekrümmte Gestalt.
Es war ein Mann, und er lag auf dem Bauch. Carthoris drehte ihn um, so daß er auf dem Rücken zu liegen kam. Es war Jav, aber er sah schrecklich und nahezu unkenntlich aus, so zerfetzt und zerbissen war er.
Der Prinz beugte sich tief hinunter und versuchte zu entdecken, ob in diesem Körper noch ein Funken Leben zu entdecken sei.
Da hob der Mann die Augenlider, und es waren schmerzerfüllte, gequälte Augen, die zu ihm aufsahen.
»Die Prinzessin von Ptarth!« schrie Carthoris. »Sag, wo ist sie?
Antworte mir, Mensch, oder ich beende das Werk, das andere so gut begonnen haben!«
»Komal«, murmelte Jav mühsam. »Er hat mich angesprungen… Er hätte mich… aufgefressen, wenn nicht… das Mädchen gewesen wäre. Dann gingen sie… zusammen weiter in den Wald hinein… Und das Mädchen… spielte mit den Fingern in der langen Mähne des Banths.«
»In welche Richtung sind sie gegangen?«
»Dorthin«, flüsterte Jav schwach. »Zum Tunnel unter den Klippen.«
Mehr brauchte der Prinz von Helium nicht zu wissen. Er sprang auf und rannte mit langen Sprüngen zurück zum Wald.
Es dämmerte schon, als er den Eingang zum dunklen Tunnel fand, das ihn unter den Klippen durch in eine andere Welt führen würde, weg von diesem Tal geisterhafter Erinnerungen und seltsamer hypnotischer Drohungen und Einflüsse.
Im Tunnel selbst stellte sich ihm nichts und niemand in den Weg, und er war froh, als er auf der anderen Seite der Berge wieder das Licht des Tages erblickte. Von hier aus war es nicht weit zum Südrand des Herrschaftsgebietes der Torquasianer, höchstens einhundertundfünfzig Haad.
Von der Grenze von Torquas zur Stadt Aaanthor betrug die Entfernung weitere zweihundert Haad, so daß der junge Prinz nach irdischen Begriffen gemessen einen Marsch von mehr als hundertfünfzig Meilen vor sich hatte, bis er nach Aaanthor gelangte.
Er wußte es natürlich nicht, doch er nahm an, daß Thuvia in Richtung Aaanthor zu kommen versuchte. Dort lag die nächste Wasserstelle, und dort konnte sie früher oder später auch mit einer Rettungsexpedition aus dem Reich ihres Vaters rechnen. Carthoris kannte Thuvan Dihn gut genug, um zu wissen, daß er jeden Stein umdrehen würde, bis er eine Spur seiner Tochter fände und natürlich auch die ihrer Entführer.
Selbstverständlich wußte Carthoris, daß der Trick, mit dem der Verdacht der Entführung auf ihn geworfen worden war, die Entdeckung der Wahrheit beträchtlich verzögern würde, doch er hatte keine Ahnung davon, welche Verheerungen die Schurkerei von Astok, Prinz von Dusar, bereits angerichtet hatte.
Als er den Tunnel verließ und über die niederen Hügel in Richtung Aaanthor schaute, zog gerade eine Schlachtflotte aus Ptarth majestätisch in Richtung der Zwillingsstädte von Helium, und aus dem fernen Kaol raste eine weitere mächtige Armada heran, um sich mit den Streitkräften des Verbündeten zu vereinen.
Carthoris wußte nicht, daß auf Grund der gegen ihn vorliegenden Indizien sein eigenes Volk ihn allmählich zu verdächtigen begann, er könne die Prinzessin von Ptarth entführt haben.
Er wußte nicht, was alles die Dusarianer unternommen hatten, um die Freundschaft und Allianz zwischen den drei großen Mächten der östlichen Hemisphäre zu vernichten, die zwischen Helium, Ptarth und Kaol.
Er wußte auch nicht, daß Emissäre aus Dusar sich Zugang zu den Auslandsämtern der drei großen Nationen verschafft hatten und daß sie dort hohe Stellungen einnahmen; daß diese Männer die zwischen den Jeddaks ausgetauschten Botschaften so fälschten und verstümmelten, daß Stolz und Geduld der drei Herrscher und früheren Freunde die Demütigungen und Beleidigungen dieser Botschaften nicht länger mehr ertragen wollten und konnten.