Es war eine lange, mühsame Reise, und sie waren zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Der Bogenschütze konnte Carthoris nicht recht folgen, denn der junge Prinz hatte ja die irdischen Muskeln seines Vaters, die ihm mit ungeheurer Schnelligkeit über weite Strecken trugen; der kleinere Planet mit seiner wesentlich geringeren Schwerkraft setzt der irdischen Muskelkraft viel weniger Widerstand entgegen. Für einen Mann von Barsoom sind fünfzig Meilen pro Tag eine recht ordentliche Leistung, aber der Sohn von John Carter hätte mit Leichtigkeit hundert oder noch mehr Meilen zurücklegen können, wäre ihm daran gelegen, seinen neugewonnenen Freund im Stich zu lassen.
Immer schwebten sie ihn Gefahr, von herumstreifenden Banden der wilden Torquasianer entdeckt zu werden, und das galt natürlich für die Zeit, ehe sie die Grenze von Torquas hinter sich brachten.
Doch das Glück blieb ihnen treu, und wenn sie auch zweimal in der Ferne größere Gruppen der grünen Horden sahen, so wurden sie selbst jedoch niemals gesehen.
Am Morgen des dritten Tages erblickten sie von Ferne die schimmernden Kuppeln und Türme von Aaanthor. Unterwegs hatte Carthoris natürlich immer scharf Ausschau nach einem Hinweis auf Thuvia oder den großen Banth gehalten, aber sie hatten von beiden nichts gesehen.
An jenem Morgen aber entdeckten sie weit vorne, etwa auf halbem Weg nach Aaanthor, zwei winzige Gestalten, die zur Stadt wanderten. Gespannt beobachteten sie die beiden eine Weile. Dann war Carthoris überzeugt, daß es Thuvia mit dem Banth sein müßte, und er rannte in großen Sprüngen weiter. Kar Komak folgte ihm so schnell er konnte.
Der Prinz von Helium schrie schon von weitem, um des Mädchens Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und endlich blieb sie stehen, drehte sich um und sah ihm entgegen. Neben ihr stand der riesige Banth mit gespitzten Ohren und wartete auf den sich nähernden Mann.
Aus dieser Entfernung konnte Thuvia von Ptarth den Prinzen von Helium sicher noch nicht erkennen, doch sie mußte wohl überzeugt sein, daß es kein anderer sein konnte als er, da sie ohne jedes Zeichen von Furcht auf ihn wartete.
Dann deutete sie plötzlich nach Nordwesten, über ihn hinaus.
Er blieb nicht stehen, sondern rannte weiter, drehte sich nur im Laufen um und schaute in die von ihr gewiesene Richtung.
Höchstens eine halbe Meile von ihm entfernt raste lautlos auf dem dicken Moosteppich eine Horde grüner Krieger heran.
Auf ihren großen Thoats konnten sie ein höllisches Tempo durchhalten. Rechts von ihnen rannte der nackte, unbewaffnete Kar Komak Carthoris entgegen. Er schrie Warnungen, denn auch er hatte gerade die lautlos heranjagende Gefahr erkannt, deren Lanzen und Schwerter in der Sonne funkelten.
Carthoris wiederum rief dem Lotharianer Warnungen zu, denn er wußte, daß der nackte, unbewaffnete Mann nur sein Leben opferte, wenn er sich den grausamen, erbarmungslosen Wilden in den Weg stellte.
Doch Kar Komak zögerte nicht. Er schrie seinem neuen Freund Ermutigungen zu und rannte weiter. Das Herz des Roten Mannes schlug heftiger vor Freude über soviel Mut. Es tat ihm jetzt unendlich leid, nicht daran gedacht zu haben, daß er Kar Komak ja eines seiner Schwerter hätte abgeben können. Jetzt war zu spät, denn wenn er auf den Lotharianer wartete, dann würden die Torquasianer viel eher als er bei Thuvia von Ptarth angelangt sein.
Wer sie zuerst erreichte, der hatte gewonnen. Die Chancen standen ziemlich gleich.
Carthoris rannte weiter und versuchte beide Seiten im Auge zu behalten. Da sah er plötzlich eine neue Gruppe, die aus Aaanthor zu kommen schien. Es waren zwei mittlere Kriegsschiffe, die eiligst heranrasten, und schon aus einiger Entfernung erkannte er am Bug die Embleme Dusars.
Nun schien wenig Hoffnung mehr zu bleiben für Thuvia von Ptarth. Auf der einen Seite wilde grüne Horden aus Torquas auf riesigen Thoats, von der anderen Seite und aus der Luft zwei Kriegsschiffe des Prinzen von Dusar – das war zuviel für ein Mädchen, einen Banth, einen Roten Krieger und einen unbewaffneten, nackten Bogenschützen. Ihre Lage war hoffnungslos, und sie hatten schon verloren, ehe der Kampf überhaupt begann.
Als Thuvia sah, wie schnell Carthoris sich näherte, fühlte sie wieder jene grenzenlose Erleichterung, die sie schon so gut kannte. Ihr war, als falle alle Verantwortung und Angst von ihr ab. Sie wußte nicht, weshalb, denn ihr Verstand versuchte noch immer ihr Herz zu überreden und sie glauben zu machen, daß der Prinz von Helium Ihre Entführung veranlaßt, wenn nicht durchgeführt hatte. Sie wußte nur das eine, wie froh und glücklich sie war, wenn sie ihn an ihrer Seite fühlte, denn dann schien auch das Unwahrscheinlichste möglich zu werden, sogar so Unmögliches wie ein Entrinnen aus dieser großen Gefahr.
Keuchend blieb er vor ihr stehen. Ein tapferes, ermutigendes Lächeln strahlte auf seinem Gesicht.
»Mut, meine Prinzessin«, flüsterte er.
Schon einmal hatte er diese Worte gebraucht; es war im Thronsaal Tarios von Lothar, als sie langsam über den glatten Marmorboden in eine unbekannte, schwarze Tiefe rutschten.
Damals hatte sie ihn wegen dieses Wortes nicht gerügt, und das tat sie auch jetzt nicht, obwohl sie doch einem anderen Mann versprochen war. Sie wunderte sich über sich selbst und schüttelte den Kopf über ihre eigene Schändlichkeit, denn auf Barsoom muß sich eine Frau schämen, wenn sie solche Worte von einem anderen Mann anhört als von ihrem Ehemann oder Verlobten.
Carthoris sah, wie sie errötete und sofort bedauerte er seine Worte. Aber sie hatten keine Zeit, denn die grünen Horden stürmten heran.
»Vergib mir«, bat der Mann leise. »Meine große Liebe zu dir möge meine Entschuldigung sein – und auch der Glaube, daß ich nur noch ganz kurze Zeit zu leben habe.« Mit diesen Worten stellte er sich den grünen Kriegern entgegen.
Der vorderste raste ihm mit eingelegtem Speer entgegen, aber Carthoris tat einen Satz zur Seite, und als das riesige Thoat und sein riesiger Reiter an ihm vorbeistürmten, ohne ihm Schaden zuzufügen, schwang er sein Langschwert, und mit einem gewaltigen Hieb trennte er den grünen Krieger in zwei nicht ganz gleichmäßige Hälften.
Im gleichen Moment tat Kar Komak einen Satz und klammerte sich mit nackten Händen an ein Bein eines anderen Reiters. Die Horde raste eng aufgeschlossen dahin, und manch einer sprang von seinem Thoat ab, um sein Langschwert besser schwingen zu können. Die Flieger aus Dusar setzten auf dem weichen Moosteppich der ockerfarbenen Seegründe auf, und fünfzig Mann sprangen heraus.
In das gewaltige Durcheinander von Kämpfern. Thoats, Grünen und Roten, von Schwertern und Lanzen sprang Komal, der große Banth.
11
Grüne Männer und weiße Affen
Ein Torquasianerschwert zog eine blutige Linie über Carthoris Stirn. Er hatte den flüchtigen Eindruck weicher Arme um seinen Hals und warmer Lippen an den seinen, bevor er das Bewußtsein verlor.
Wie lange er bewußtlos war, hätte er später nicht einmal schätzen können, doch als er wieder die Augen öffnete, war er allein – bis auf die herumliegenden Leichen grüner Männer und Dusarianer, und der Kadaver eines großen Banth lag halb über ihm.
Thuvia war verschwunden, und auch Kar Komaks Leiche fand er nicht unter den Toten.
Der Blutverlust hatte Carthoris außerordentlich geschwächt, und so kam er nur langsam voran, als er sich endlich nach Aaanthor auf den Weg machte. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte er den Stadtrand.
Er brauchte Wasser nötiger als sonst etwas. Er folgte also einer breiten Avenue, die zum Hauptplatz führte, wo, wie er wußte, das kostbare Naß in einem halb zerfallenen Haus gegenüber vom alten Jeddakspalast zu finden war.
Aller Mut hatte ihn verlassen, und er war sehr bedrückt, weil sich bisher all seine Bemühungen um die Rettung der Prinzessin von Ptarth als vergeblich erwiesen hatten. Es war auch recht seltsam, was ihm alles zustieß. Tief in seine trübsinnigen Gedanken versunken schenkte er seiner Umgebung keine Aufmerksamkeit, als lauerten keine großen weißen Affen in den schwarzen Schatten der gespenstischen, geheimnisumwitterten Ruinen, die an der breiten Avenue und um den Hauptplatz standen.