»Mut, Vas Kor!« flüsterte er dem anderen zu. »Ich habe einen Plan. Halt ihn noch einen Moment länger, fest, dann wird alles gut werden.« Das, was er sich noch dachte – mit Astok, Prinz von Dusar – sprach er nicht aus.
Vas Kor hätte nicht im Traum an einen Betrug und Verrat gedacht, und so nickte er. Ein paar Augenblicke gelang es ihm sogar, Carthoris in die Verteidigung zu drängen. Dann sahen der Heliumprinz und das Mädchen, wie der Prinz von Dusar rasch zur gegenüberliegenden Seite des Raumes rannte, etwas in der Mauer berührte, so daß eine türartige Wandverkleidung nach innen schwang, und dann in die dahinterliegende schwarze Finsternis verschwand.
Das geschah alles so blitzschnell, daß niemand ihm hätte entgegentreten können. Carthoris fürchtete nun, Vas Kor könne ihm auf dieselbe Art entkommen, oder Astok werde mit Verstärkung zurückkehren, drang nun viel rücksichtsloser als vorher auf seinen Gegner ein, und einen Moment später rollte der kopflose Leib des Edelmannes aus Dusar über den glatten Ersitboden.
»Komm!« schrie Carthoris. »Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren. Astok wird jeden Moment mit genug Kriegern zurückkehren, um mich zu überwältigen.«
Aber Astok hatte keine solchen Pläne, denn dafür hätte er ja die im Palast umlaufenden Gerüchte bestätigen müssen, daß die Prinzessin von Ptarth im Ostturm gefangengehalten werde.
Im Nu hätte sein Vater davon erfahren, und dann hätte keine Lüge mehr die Tatsachen verbergen können, die des Jeddaks Nachforschungen ans Licht bringen mußten.
Deshalb rannte also Astok wie ein Irrer durch die langen Korridore des Palastes, um die Tür des Turmzimmers zu erreichen, bevor es Carthoris und Thuvia verlassen konnten. Er hatte gesehen, wie das Mädchen den Schlüssel abgezogen und in ihre Gürteltasche geschoben hatte, und er wußte, daß eine von der anderen Seite her in das Schlüsselloch gesteckte Dolchspitze die beiden einsperren würde, so daß sie drinnen gefangen blieben, bis Barsoom als toter, dürrer Planet in fernen Zeiten um eine sterbende Sonne kreiste.
Astok rannte also so schnell er konnte zum Haupptkorridor, der zum Turmzimmer führte. Konnte er noch rechtzeitig die Tür erreichen? Was dann, wenn der Prinz von Helium den Raum bereits verlassen hatte und ihm vielleicht auf dem Korridor auflauerte? Astok fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen, denn er war ein Feigling, der nicht die geringste Lust verspürte, sich der Klinge eines Meisters zu stellen.
Schon war er in der Nähe der Tür; nur noch eine Korridorecke, dann stand er davor. Nein, sie hatten den Raum noch nicht verlassen. Vas Kor schien also noch immer dem Prinzen von Helium standzuhalten.
Astok konnte kaum ein Grinsen unterdrücken, weil er auf so gerissene Art den Edelmann übers Ohr gehauen hatte und ihn gleichzeitig losgeworden war. Und dann bog er um die letzte Ecke – und stand einem weißen Riesen mit honigfarbenem Haar gegenüber.
Der Bursche stellte keine Fragen und wartete auch nicht auf eine Erklärung für sein Kommen, sondern er sprang ihn mit seinem Langschwert an, so daß Astok erst einmal mindestens ein Dutzend heftigster Ausfälle parieren mußte, ehe er sich zurückziehen und in höchster Eile die Flucht ergreifen konnte.
Einen Augenblick später betraten Carthoris und Thuvia den Korridor vom Geheimraum aus.
»Nun, Kar Komak?« fragte der Prinz von Helium.
»Roter, das war aber gut, daß du mich hierher gestellt hast«, sagte der Bogenschütze. »Ich habe eben einen abgefangen und in die Flucht geschlagen, der unbedingt zu dieser Tür hinein wollte. Es war der, welchen sie Astok Prinz von Dusar nennen.«
Carthoris lächelte.
»Und wo ist er jetzt?« wollte er wissen.
»Leider ist er meinem Schwert entkommen, und er rannte diesen Korridor entlang«, erklärte Kar Komak.
»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren!« rief Carthoris. »Er wird uns sofort die Garde auf den Hals hetzen!«
Zusammen hasteten die drei durch die langen, gewundenen Korridore, durch welche Carthoris und Kar Komak vorher die beiden Dusarianer verfolgt hatten. Diese Gänge wurden selten benutzt und waren daher immer staubig; die beiden Männer hatten selbstverständlich Fußspuren hinterlassen, und es war ziemlich einfach gewesen, ihnen zu folgen.
Erst bei den Aufzügen trafen sie auf einige Posten und einen Offizier, der, da sie Fremde waren, wissen wollte, was sie im Palast Astoks zu suchen hatten.
Wieder einmal ließen Carthoris und Kar Komak ihre Klingen sprechen, aber der Kampfeslärm mußte allmählich den ganzen Palast alarmiert haben, denn überall hörten sie nun Männer rufen. Es gelang ihnen aber, in eine Kabine zu springen, wenn sie auch unterwegs in den vielen Stockwerken, an denen sie vorbeikamen, schwerbewaffnete Männer herumrennen sahen, die alle nach der Ursache des Aufruhrs suchten.
Auf der Landeplattform lag die Thuria mit drei Kriegern, die sie bewachten. Wieder fochten der Prinz von Helium und der Mann aus Lothar Schulter an Schulter, doch der Kampf war schnell vorüber, denn der junge Prinz hätte allein auch mit dem wildesten Trio aufgeräumt, das Dusar zu stellen imstande gewesen wäre.
Die Thuria hatte gerade von der Landebühne abgehoben, als mindestens hundert Krieger herangestürmt kamen. Angeführt wurden sie von Astok von Dusar, und als er sah, daß die beiden, die er so sicher im Griff zu haben glaubte, ihm entschlüpften, führte er vor Wut und Enttäuschung einen Wahnsinnstanz auf.
Er schüttelte die Fäuste und schrie ihnen gemeine Schmähungen und die übelsten Schimpfworte nach, deren sich selbst der Pöbel von Barsoom schämen würde.
Wie ein Meteor schoß die Thuria in einem kühnen Winkel in den Himmel hinauf. Mindestens ein Dutzend Patrouillenboote versuchten sie von verschiedenen Punkten aus zu verfolgen, denn die Szene auf der Landeplattform von Astoks Palast hatte nicht unbemerkt bleiben können.
Etliche Schüsse kratzten den Rumpf der Thuria ein wenig an.
Da Carthoris die Instrumente nicht verlassen konnte, richtete Thuvia von Ptarth die Mündungen der Schnellfeuerkanonen des Schiffes gegen die Feinde, obwohl sie sich nur mühsam auf dem glatten, steilen Deck festhalten konnte.
Es war eine noble Rasse und ein nobler Kampf. Einer gegen eine ganze Meute, denn andere Dusarianer-Schiffe hatten sich der Verfolgungsjagd angeschlossen. Aber Astok, Prinz von Dusar, hatte gute Arbeit geleistet, als er seine Thuria baute. Keiner in der Flotte seines Vaters und Herrn besaß ein schnelleres Schiff, und keines war so glänzend bewaffnet und so tadellos gepanzert.
Ein Verfolger nach dem anderen fiel zurück, und als der letzte ebenfalls aufgeben mußte, richtete Carthoris die Nase der Thuria waagerecht aus, und so zog sie, den Geschwindigkeitshebel im allerletzten Loch eingerastet, in einem unglaublichen Tempo durch die dünne Luft des sterbenden Planeten nach Osten und damit nach Ptarth.
Dreizehneinhalbtausend Haad entfernt lag Ptarth, und für das schnellste Schiff war das eine Reise von dreißig Stunden; dabei war vermutlich zwischen Dusar und Ptarth die Hälfte der Flotte von Dusar aufgezogen, denn in jener Richtung sollte den Gerüchten nach die große Luftschlacht stattfinden, die vielleicht jetzt in vollem Gange war.
Hätte Carthoris nur geahnt, wo sich die Flotten der großen Nationen befänden, dann wäre er ohne Verzug zu ihnen geeilt, denn in der Rückkehr Thuvias zu ihrem Vater lag die größte Hoffnung auf einen raschen Frieden.