Sie hatten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, und noch hatten sie nicht ein einziges Kriegsschiff gesehen. Erst ein wenig später machte Kar Komak den jungen Prinzen auf ein Schiff aufmerksam, das auf dem ockerfarbenen Moos der toten Seegründe lag, über denen die Thuria dahinjagte.
Viele Gestalten umschwärmten das große gestrandete Schiff. An Bord der Thuria gab es ausgezeichnete Ferngläser, mit deren Hilfe sie erkennen konnten, daß es sich um grüne Krieger handelte, die immer wieder die Mannschaft des Schiffes angriffen. Dessen Nationalität war auf die große Entfernung hin nicht auszumachen.
Es war nicht nötig, den Kurs der Thuria zu ändern, um genau über dem Schauplatz des Kampfes wegzufliegen, aber Carthoris ging einige hundert Fuß herunter, um die Lage besser beurteilen zu können.
War es Schiff einer befreundeten Macht, dann konnte er die Feinde mit seinen Kanonen beschießen, denn mit seiner kostbaren Fracht wollte er eine Landung nicht riskieren. Zwei Schwerter, die er zu bieten hatte, waren vermutlich zu wenig, und die Sicherheit der Prinzessin von Ptarth durfte er unter keinen Umständen aufs Spiel setzen.
Als sie sich dem gestrandeten Schiff näherten, konnten sie deutlich erkennen, daß es nur noch eine Frage weniger Minuten war, bis die grünen Krieger das gepanzerte Schanzkleid erstürmen würden, um ihre wilde Blutlust an den Verteidigern zu stillen.
»Eine Landung wäre sinnlos«, sagte Carthoris zu Thuvia. »Es könnte sogar ein Schiff aus Dusar sein. Es hat keine Insignien.
Mehr könnten wir nicht tun als auf die Horden schießen.«
Während er noch sprach, trat er zu einer der Kanonen und richtete ihren Lauf auf die grünen Krieger neben dem Schiff aus.
Erst der erste Schuß der Thuria schien die Leute auf dem Schiff auf die Hilfe aufmerksam zu machen, die ihnen zuteil wurde.
Sofort flatterte vom Bug des Kriegsschiffes eine Flagge. Thuvia von Ptarth hielt den Atem an und warf Carthoris einen gespannten Blick zu.
Die Flagge war die von Kulan Tith, Jeddak von Kaol, des Mannes, dem die Prinzessin von Ptarth verlobt war!
Wie einfach wäre es für den Prinzen von Helium gewesen, nun weiterzufliegen und den Rivalen seinem Schicksal zu überlassen! Lange konnte er sowieso den grünen Horden nicht mehr widerstehen. Niemand könnte ihn der Feigheit oder des Verrates beschuldigen, denn Kulan Tith stand gegen Helium im Krieg, und auf der Thuria gab es nicht genug Schwerter, um den bereits sicheren Ausgang des Kampfes auch nur noch für kurze Zeit hinauszuschieben.
Was sollte Carthoris Prinz von Helium nun tun?
Besser noch: Was würde er tun?
Kaum hatte die Flagge im schwachen Wind am Bug des Kriegsschiffes zu flattern begonnen, als sich auch schon die Nase der Thuria in einem scharfen Winkel senkte.
»Kannst du sie navigieren?« fragte Carthoris Thuvia.
Sie nickte.
»Ich versuche, die Überlebenden an Bord zu nehmen«, erklärte er. »Kar Komak und ich werden die Kanonen bedienen müssen, während die Kaolianer über die Strickleiter an Bord kommen. Laß den Bug vorne. Er ist gut gepanzert und kann das Gewehrfeuer leichter hinnehmen. Außerdem sind auch die Propeller besser geschützt.«
Dann eilte er zur Kabine, als Thuvia die Instrumente übernahm. Einen Moment später fiel die Strickleiter vom Kiel der Thuria, und zu beiden Seiten des Schiffes flogen dicke, geknotete Lederseile über die Reling. Vom Bug stieg eine Signalfahne auf, die bedeutete:
ALLES FERTIGMACHEN UND AN BORD KOMMEN.
Ein gewaltiger Schrei stieg auf vom Deck des Kriegsschiffes aus Kaol. Carthoris, der inzwischen aus der Kabine zurückgekehrt war, lächelte traurig. Ausgerechnet den Mann, der zwischen ihm und seiner Liebe zu Thuvia von Ptarth stand, mußte er jetzt dem Rachen des Todes entreißen.
»Kar Komak, übernimm jetzt die Backbordkanone am Bug!« rief Carthoris dem Bogenschützen zu. Er selbst übernahm das Geschütz der Starbordseite.
Nun spürten sie die scharfen Erschütterungen der Explosionen, als die grünen Horden die Thuria mit einem Geschoßhagel eindeckten. Jeden Augenblick konnten die Treibstofftanks beschädigt werden, und dann wurde die Lage für alle recht brenzlig. Aber die Männer auf dem Kaolianerschiff kämpften mit mehr Hoffnung. Im Bug stand Kulan Tith, ein tapferer Mann, der zusammen mit seinen tapferen Kriegern focht und die wilden grünen Horden zurückschlug.
Nun stand die Thuria ganz niedrig über dem anderen Schiff. Die Kaolianer machten sich unter Führung ihrer Offiziere bereit, an Bord der Thuria zu gehen. Aber in diesem Moment schickten die grünen Krieger einen neuen, wilden Geschoßhagel in die Seiten des tapferen kleinen Fliegers.
Wie ein verwundeter Vogel taumelte sie hinunter. Thuvia versuchte die Nase des kleinen Schiffes wieder nach oben zu drehen, um einen Absturz mit hartem Aufprall zu vermeiden, doch das gelang ihr nur insoweit, als sie das Schiffchen einigermaßen gerade neben dem Schiff der Kaolianer aufsetzte, ohne den Bug in den Boden zu bohren.
Als die grünen Männer nur zwei Krieger und eine Frau auf Deck sahen, erscholl aus ihren Reihen ein brüllendes Lachen, während die Kaolianer enttäuscht stöhnten.
Natürlich wandten sich die Grünen nun den Neuankömmlingen zu, da sie hofften, die beiden Männer und die schwache Frau schnell zu überwältigen, denn vom Deck der Thuria aus konnten sie das des größeren Schiffes leichter überblicken.
Kulan Tith, der auf der Brücke seines eigenen Schiffes stand, schrie eine gellende Warnung zur Thuria hinüber, und dieser Warnung fügte er noch eine Anerkennung für die außerordentlich tapfere Haltung der Fremden an.
»Wer ist es«, rief er, »der sein Leben für Kulan Tith aufs Spiel setzt? Noch nie war auf Barsoom eine edlere Tat der Selbstaufopferung zu verzeichnen!«
Die grünen Horden waren dabei, das Schanzkleid der Thuria zu erklettern, als vom Bug das Symbol Carthoris’, des Prinzen von Helium, flatterte, um auf die Frage des Jeddaks von Kaol zu antworten. Keiner von dem kleinen Flieger hatte Gelegenheit, die Wirkung dieses Symbols auf die Kaolianer zur Kenntnis zu nehmen, denn sie waren vollauf mit dem beschäftigt, was auf ihrem eigenen Deck vorging.
Kar Komak stand an der Kanone, feuerte unablässig und starrte aber gleichzeitig großäugig den anstürmenden grünen Kriegern entgegen. Carthoris, der dies beobachtete, fürchtete schon, daß sich dieser Mann, den er für so unendlich tapfer und wertvoll gehalten hatte, nun als so rückgratlos wie Jav oder Tario erweisen würde, obwohl er von ihm in der Stunde größter Not mehr Aktivität erwartet hatte.
»Kar Komak!« schrie er. »Reiß dich zusammen! Denk an die Tage der glorreichen Seefahrer von Lothar! Kämpfe, Mensch, kämpfe! Kämpfe wie noch nie ein Mann vor dir focht! Jetzt können wir nichts anderes mehr tun als kämpfend sterben!«
Kar Komak wandte sich zum Prinzen von Helium um. Auf seinen Lippen lag ein grimmiges Lächeln.
»Warum sollten wir gegen eine so schreckliche Übermacht kämpfen und sterben?« rief er zurück. »Es gibt eine viel bessere Möglichkeit. Schau doch!« Er deutete auf die Stufen, die unter Deck führten.
Eine Handvoll der grünen Krieger hatten bereits das Deck der Thuria erklettert. Das sah Carthoris, als er in die vom Lotharianer angedeutete Richtung schaute. Doch das war nicht alles. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ sein Herz vor Freude hüpfen. Konnte Thuvia von Ptarth vielleicht doch gerettet werden? Von unten kam nämlich ein ununterbrochener Strom von Bogenschützen herauf, die sehr grimmig und entschlossen und ziemlich fürchterlich aussahen. Es waren nicht die Bogenschützen von Tario oder Jav, sondern eine kriegerische Elite, wilde Kämpfer, die nach einem ordentlichen Kampf zu hungern schienen.