Als sich der Reiter dem Stadtplatz näherte, zügelte er plötzlich sein Tier. Seine schmalen Röhrenohren richteten sich nach vorne.
Sie hatten ein verdächtiges Geräusch aufgenommen. Stimmen!
Und wo es außerhalb von Torquas Stimmen gab, waren auch Feinde. Die ganze weite Welt Barsooms enthielt nichts als Feinde der wilden Torquasianer.
Thar Ban stieg ab. Er hielt sich im Schatten eines großen Monolithen, wie sie die Avenuen und Kais des schlafenden Aaanthor begrenzen, und so huschte er zum Platz. Ihm folgte wie ein Hund sein schieferfraues Thoat; dessen weißer Bauch war unter dem mächtigen Rumpf nicht zu sehen, und die hellgelben Füße fielen im ockerfarbenen Moos nicht auf.
Auf der Platzmitte sah Thar Ban die Gestalt einer Roten Frau. Ein Roter Krieger sprach mit ihr, aber der drehte sich um und kehrte zu einem Palast am gegenüberliegenden Platzrand zurück.
Thar Ban beobachtete ihn, bis er im gähnenden schwarzen Portal verschwunden war. Das hier war eine Gefangene, die sich bezahlt machen würde! Selten einmal fiel eine Frau der Erbfeinde in die Hände der grünen Krieger. Thar Ban leckte sich genießerisch die dünnen Lippen.
Thuvia von Ptarth ließ den Schatten hinter dem Monolithen an der Einmündung der Avenue nicht aus den Augen. Sie hoffte, daß es nur ein Fantasiegebilde ihrer überanstrengten Sinne sein möge.
Aber nein! Jetzt sah sie ganz klar und deutlich, wie sich der Schatten bewegte. Er kam hinter der schützenden Ersitsäule vor.
In diesem Moment warf die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über den Platz und erfaßte das huschende Wesen. Es war ein riesiger grüner Krieger!
Er rannte ihr entgegen. Sie schrie und wandte sich zur Flucht, aber sie hatte kaum die ersten Schritte in die Richtung des Palastes getan, als eine riesige Hand sich auf ihren Arm legte.
Sie wurde herumgewirbelt und halb getragen, halb gezerrt und auf ein riesiges Thoat gehoben, welches an der ockerfarbenen Moosdecke rupfend langsam vom Platzrand her kam.
Da sie von oben einen sirrenden Laut hörte, schaute sie hinauf und sah einen schnellen Flieger, der sich ziemlich rasch auf den Boden herabließ. Kopf und Schultern eines Mannes lehnten weit über die Reling, aber das Gesicht des Mannes lag in tiefem Schatten, so daß sie ihn nicht erkannte.
Nun kamen von hinten her die schrillen Schreie ihrer Entführer.
Wie irr rasten sie hinter dem drein, der es gewagt hatte, die Person zu entführen, die vorher sie entführt hatten.
Als Thar Ban bei seinem Thoat ankam, riß er seine lange Radiumflinte aus dem Halter und schoß dreimal auf die daherrennenden Roten Männer.
Diese Marswilden sind als Schützen von einer unglaublichen Treffsicherheit. Dreimal schoß Thar Ban, und drei Rote Krieger fielen tot um, als drei Projektile in ihren Eingeweiden explodierten.
Die anderen blieben stehen. Keiner von ihnen wagte zurückzuschießen, weil sie Angst hatten, das Mädchen zu verwunden.
Dann sprang Thar Ban mit einem gewaltigen Satz auf sein Thoat. Thuvia von Ptarth hatte er noch immer fest in seinen Armen, und mit einem gellenden Triumpfschrei jagte er zwischen den düsteren Palästen des vergessenen Aaanthor die Avenue entlang.
Carthoris’ Flieger hatte noch nicht den Grund berührt, als er auch schon absprang, um hinter dem schnellen Thoat dreinzurennen, dessen acht lange Beine das Tier mit der Geschwindigkeit eines Eilzuges bewegten. Aber die Männer von Dusar, die noch am Leben geblieben waren, hatten nicht die Absicht, sich eine so wertvolle Gefangene entwischen zu lassen.
Das Mädchen hatten sie ja nun verloren, und es würde ihnen ganz bestimmt nicht leicht fallen, Astok die Sache begreiflich zu machen. Er könnte aber versöhnlicher gestimmt werden, wenn sie ihrem Herrn statt der Prinzessin von Ptarth den Prinzen von Helium bringen könnten.
Die drei restlichen Entführer rannten also hinter Carthoris drein, schwangen ihre Langschwerter und schrien ihm zu, er solle sich ergeben. Ebenso gut hätten sie jedoch dem Mond Thuria befehlen können, nicht ununterbrochen über den Himmel von Barsoom zu rasen, denn Carthoris von Helium war der wahre Sohn des Kriegsherrn vom Mars und seiner unvergleichlichen Dejah Thoris!
Carthoris hatte sein Langschwert schon in der Hand gehabt, als er vom Deck seines Fliegers heruntersprang. In dem Augenblick also, in dem er die Drohung der drei Roten Kriege? erkannte, wirbelte er zu ihnen herum und stellte sich ihnen, wie nur ein John Carter es hätte tun können.
So blitzschnell war sein Schwert, so kraftvoll und lebendig reagierten seine halbirdischen Muskeln, daß einer seiner Gegner schon am Boden lag und mit seinem Blut das ockerfarbene Moos färbte, kaum daß er einen ersten Schritt auf Carthoris zu getan hatte.
Auch die anderen beiden Dusarianer drangen auf den Prinzen von Helium ein. Drei Langschwerter klirrten aneinander und funkelten im Licht des nahen Mondes, bis die großen weißen Affen aus ihrem Schlaf erwachten und zu den hohen Fenstern tappten, um das blutige Schauspiel zu beobachten.
Dreimal berührte eine Schwertspitze Carthoris, so daß ihm das Blut über das Gesicht lief, ihn blendete und seine breite Brust färbte. Mit der freien Hand wischte er den Schweiß und das Blut von den Augen, und um seine Lippen lag dasselbe Lächeln, mit dem sein Vater in den Kampf ging. Immer wieder sprang er seine Gegner an, und er wurde nicht müde, sein Schwert gegen sie zu schwingen.
Mit einem einzigen Hieb trennte er dem einen den Kopf vom Rumpf, so daß der andere, den sicheren Tod vor Augen, falls er bliebe, sich umwandte und zum Palast floh, aus dem er gekommen war.
Carthoris machte nicht den kleinsten Versuch, ihm zu folgen.
Er hatte andere Sorgen als die wohlverdiente Bestrafung dieser Schurken, die sich mit dem Metall seines eigenen Hauses schmückten, wenn sie ihre Untaten begingen. Klar und deutlich hatte er nämlich gesehen, daß sie an ihren Harnischen die Insignien seines persönlichen Gefolges trugen.
Nun kehrte er eiligst zu seinem Schiffchen zurück, und wenige Augenblicke später hob er sich in die Luft, um die Verfolgung von Thar Ban aufzunehmen.
Der Rote Krieger, der in den Palast geflohen war, erkannte Carthoris’ Absicht, griff nach einer Büchse, die seinen toten Kameraden gehört hatte und an einer Wand lehnte, seit sie hinausgerannt waren, um den Diebstahl ihrer kostbaren Beute zu verhindern.
Nur wenige von den Roten Männern sind gute Schützen, denn sie kämpfen viel lieber mit dem Schwert, und darin sind sie ja auch Meister. Als der Dusarianer nun auf den rasch steigenden Flieger anlegte und auf den Auslöseknopf drückte, war der teilweise Erfolg, den er hatte, nicht seiner Tüchtigkeit, sondern einem reinen Zufall zuzuschreiben.
Das Projektil schrammte die metallene Rumpfhaut des Fliegers, und das genügte, um die dünne Opakhülse des Geschosses so weit aufzubrechen, daß Tageslicht auf die Pulverphiole im Geschoßkopf fiel. Es gab eine scharfe Explosion.
Carthoris spürte, wie sein Schiffchen unter ihm wie betrunken herumtorkelte, und dann blieb auch noch die Maschine stehen.
Die Geschwindigkeit, die das Schiffchen schon erreicht hatte, trug es noch über die Stadt hinweg zum Seeboden, der dahinter begann.
Der Rote Krieger unten auf dem Platz gab noch einige Schüsse ab, doch keiner von ihnen traf mehr. Dann entschwand seine dahintreibende Beute hinter einem schlanken Turm seinen Blicken.
Ein ganzes Stück vor Carthoris raste der grüne Krieger mit Thuvia von Ptarth auf seinem riesigen Thoat dahin. Er hielt dabei, von Aaanthor aus gesehen, eine nordwestliche Richtung ein, und dort lag ein Bergland, von dem die Roten Männer an sich recht wenig wußten.
Nun mußte sich Carthoris um sein beschädigtes Schiff kümmern.
Es erwies sich leider, daß einer der Treibstofftanks durchschossen war, doch die Maschine selbst hatte nichts abbekommen.
Ein Geschoßsplitter hatte einen Instrumentenhebel so schwer getroffen, daß er unterwegs nicht repariert werden konnte, sondern in einer Werkstätte ausgewechselt werden mußte. Aber nach einigem Herumprobieren und kleinen Veränderungen gelang es Carthoris doch, sein verwundetes Schiffchen wenigstens ganz langsam zu fliegen. Das Tempo genügte allerdings bei weitem nicht, das Thoat einzuholen, denn das schoß auf seinen acht langen Beinen mit unglaublicher Geschwindigkeit über die mit ockerfarbenem Moos bestandenen glatten Seegründe.