Klingt wirklich gut, aber in welcher Hinsicht besser? Ich hatte viele Ideen, auf welchem Gebiet ich besser werden konnte (fremde Sprachen lernen, geduldiger werden, härter arbeiten), aber ich hatte schon zu viele solcher Vorsätze gefasst, um noch an sie zu glauben. Ich hatte auch viele Ideen, auf welchem Gebiet wir besser werden konnten, aber in einer Beziehung gibt es nur wenige wichtige Dinge, auf die man sich einigen und die man verändern kann. Selbst in Augenblicken, in denen vieles möglich scheint, ist in Wirklichkeit nur wenig möglich.
Das Essen von Tieren, ein Thema, das uns beide bewegte und das wir beide vergessen hatten, schien ein guter Ansatzpunkt zu sein. Es hatte mit so vielem zu tun, und so vieles konnte sich daraus ergeben. Wir verlobten uns noch in derselben Woche und wurden Vegetarier.
Unsere Hochzeit war natürlich nicht vegetarisch. Wir redeten uns ein, dass wir unseren Gästen, von denen einige große Entfernungen zurückgelegt hatten, um mit uns zu feiern, unbedingt tierisches Eiweiß anbieten mussten. (Finden Sie das nicht auch logisch?) Auf unserer Hochzeitsreise aßen wir Fisch, aber wir waren ja auch in Japan, und wenn man in Japan ist … In unserem neuen Zuhause aßen wir manchmal Burger und Hühner-suppe und geräucherten Lachs und Thunfischsteak. Aber nur hin und wieder. Nur wenn uns danach war.
Das, dachte ich, reichte. Und ich dachte, das sei auch gut so. Ich stellte mir vor, wir würden nach einem bewusst inkonsequenten Speiseplan leben. Warum sollte sich Essen von anderen ethischen Bereichen unseres Lebens unterscheiden? Wir waren ehrliche Menschen, die manchmal logen, umsichtige Freunde, die manchmal ungeschickt vorgingen. Wir waren Vegetarier, die ab und zu Fleisch aßen.
Und ich war mir nicht einmal sicher, ob meine Erkenntnisse nicht nur sentimentale Überbleibsel aus meiner Kindheit waren oder ob ich nicht, wenn ichtief in mich hinein horchte, auf Gleichgültigkeit stoßen würde. Ich wusste nicht, was Tiere waren, oder auch nur annähernd, wie sie gehalten oder getötet wurden. Die ganze Sache war mir unangenehm, doch das hieß nicht, dass es anderen ähnlich gehen oder dass es mir so gehen musste. Und ich sah auch keine Notwendigkeit, all diese Fragen schnell zu beantworten.
Doch dann wünschten wir uns ein Kind, und das war eine andere Geschichte, die nach einer anderen Geschichte verlangte.
Ungefähr eine halbe Stunde nach der Geburt meines Sohnes ging ich ins Wartezimmer, um der versammelten Familie die gute Nachricht zu überbringen.
»Du sagst er! Dann ist es ein Junge?«
»Wie soll er heißen?«
»Wem sieht er ähnlich?«
»Erzähl schon!«
Ich beantwortete ihre Fragen so schnell ich konnte, dann zogich
mich in eine Ecke zurück und schaltete mein Handy ein.
»Oma«, sagte ich, »wir haben ein Baby.«
Ihr einziges Telefon steht in der Küche. Sie hob gleich nach dem ersten Klingeln ab, was hieß, dass sie am Tisch gesessen und auf meinen Anruf gewartet hatte. Es war kurz nach Mitternacht. Ob sie gerade Gutscheine ausschnitt? Oder hatte sie Hühnchen mit Möhren zum Einfrieren vorbereitet, damit es jemand bei einem künftigen Besuch aß? Ich hatte sie nicht ein einziges Mal weinen sehen, doch jetzt waren die Tränen in ihrer Stimme nicht zu überhören, als sie fragte: »Wie schwer ist es?«
Ein paar Tage später, nach unserer Rückkehr aus dem Krankenhaus, schickte ich einem Freund ein Foto von meinem Sohn und beschrieb einige erste Eindrücke als Vater. Er antwortete schlicht: »Alles ist wieder möglich.« Es war die perfekte Antwort, denn sie traf genau meine Stimmung. Wir konnten unsere Geschichten neu erzählen und sie besser, bedeutungsvoller und eindringlicher machen. Oder wir konnten andere Geschichten erzählen. Die Welt war voller Möglichkeiten.
Tiere essen
DER ERSTE WUNSCH meines Sohnes war, ohne Worte und ohne schon darüber nachgedacht zu haben, der Wunsch zu essen. Nur Sekunden nach seiner Geburt trank er an der Brust. Ich beobachtete ihn mit einer Ehrfurcht, wie ich sie noch nie in meinem Leben empfunden hatte. Ohne Erklärung oder Erfahrung wusste er, was zu tun war. Millionen Jahre Evolution hatten dieses Wissen in ihm verankert, ebenso wie sie sein winziges Herz zum Schlagen brachten und das Ausdehnen und Zusammenziehen seiner gerade erst getrockneten Lungen bewirkten.
Diese Ehrfurcht, die ich so noch nie empfunden hatte, verband mich über Generationen hinweg mit anderen Menschen. Ich sah die Verästelungen meines Stammbaums: meine Eltern, die mir beim Essen zusahen, meine Großmutter, die meiner Mutter beim Essen zusah, meine Urgroßeltern, die meiner Großmutter zusahen … Er aß genauso wie die Kinder der Höhlenmaler.
Als mein Sohn sein Leben begann und ich dieses Buch, schien sich bei ihm fast alles ums Essen zu drehen. Er wurde gestillt, er schlief nach dem Stillen, er war quengelig, bevor er gestillt wurde, oder er gab die Milch von sich, die er getrunken hatte. Während ich dieses Buch zu Ende schreibe, ist er in der Lage, recht komplexe Unterhaltungen zu führen, und das Essen, das er zu sich nimmt, wird immer häufiger zusammen mit Geschichten verdaut, die wir ihm erzählen. Mein Kind zu ernähren ist anders, als mich zu ernähren: Es ist wichtiger. Es ist wichtig, weil Essen wichtig ist (seine Gesundheit ist wichtig, die Freude am Essen ist wichtig) und weil die Geschichten, die wir mit dem Essen servieren, wichtig sind. Diese Geschichten verbinden unsere Familie untereinander und mit anderen. Geschichten über Essen sind Geschichten über uns – unsere Vergangenheit und unsere Werte. Die jüdische Tradition meiner Familie hat mich gelehrt, dass Essen zwei parallele Zwecke erfüllt: Es ist nahrhaft und hilft beim Erinnern. Essen und Geschichten erzählen sind untrennbar miteinander verbunden – Salzwasser steht auch für Tränen; Honig schmeckt nicht nur süß, sondern lässt uns auch an Süße denken; die Matze ist das Brot unserer Not.
Es gibt Tausende von Nahrungsmitteln auf dem Planeten, und zu erklären, warum wir nur eine relativ kleine Auswahl essen, bedarf einiger Worte. Wir müssen erklären, dass die Petersilie auf dem Teller der Dekoration dient, dass man Pasta nicht zum Frühstück isst, warum wir Flügel essen, aber keine Augen, Rinder, aber keine Hunde. Geschichten erzählen uns etwas, und Geschichten legen Regeln fest.
Ich habe oft in meinem Leben vergessen, dass ich Geschichten über Essen erzählen kann. Ich aß einfach, was vorhanden oder lecker war, was mir natürlich, vernünftig oder gesund erschien – was gab es da zu erklären? Die Art von Eltern schaft jedoch, wie ich sie immer leben wollte, verbietet ein solches Vergessen.
Diese Geschichte fing nicht als Buch an. Ich wollte einfach wissen – für mich und meine Familie –, was Fleisch ist. Ich wollte das so konkret wie nur möglich wissen. Wo kommt es her? Wie wird es produziert? Wie werden die Tiere behandelt, und inwieweit ist das wichtig? Welche ökonomischen, gesellschaftlichen und umweltrelevanten Auswirkungen hat das Essen von Tieren? Meine persönliche Suche war an diesem Punkt nicht zu Ende. Als Vater eines Kindes wurde ich mit Realitäten konfrontiert, die ich als Bürger nicht ignorieren und als Schriftsteller nicht für mich behalten konnte. Doch mit diesen Realitäten konfrontiert zu werden und verantwortungsbewusst darüber zu schreiben ist nicht dasselbe.
Ich wollte diese Fragen umfassend beantworten. Denn obwohl über 99 Prozent aller in diesem Land verzehrten Tiere aus »Massentierhaltungsbetrieben« stammen – ich werde in einem Großteil des Buches erklären, was das heißt und warum es von Bedeutung ist –, ist das verbleibende eine Prozent der Nutztierhaltung auch ein wichtiger Teil dieser Geschichte. Der unverhältnismäßig große Anteil des Buches, in dem es um die besten bäuerlichen Familienbetriebe geht, spiegelt wider, für wie wichtig ich sie halte, gleichzeitig aber auch, wie unwichtig: Ausnahmen bestätigen die Regel.