Um ganz ehrlich zu sein (und trotz des Risikos, meine Glaubwürdigkeit schon auf Seite 23 zu verlieren), glaubte ich schon vor Beginn meiner Recherchen zu wissen, was ich herausfinden würde – nicht in Einzelheiten, sondern als Gesamtbild. Andere schienen es ebenfalls zu wissen. Fast immer, wenn ich erzählte, dass ich ein Buch über »Tiere essen« schreibe, wurde angenommen – ohne meine Ansichten zu kennen –, dass es ein Plädoyer für den Vegetarismus werden würde. Eine aufschlussreiche Vermutung, die nicht nur impliziert, dass eine gründliche Erforschung landwirtschaftlicher Nutztierhaltung unweigerlich vom Fleischessen wegführt, sondern auch, dass die meisten Menschen bereits wissen, dass dies der Fall ist. (Was dachten Sie, als Sie den Titel dieses Buches lasen?)
Auch ich ging davon aus, dass mein Buch über das Essen von Tieren ein aufrichtiges Plädoyer für den Vegetarismus würde. Aber das ist es nicht. Ein aufrichtiges Plädoyer für den Vegetarismus wäre sicherlich ein wichtiges Sujet, aber ich habe hier etwas anderes geschrieben.
Landwirtschaftliche Nutztierhaltung ist ein enorm kompliziertes Thema. Weder zwei Tiere, Tierrassen, Farmen, Farmer noch Esser gleichen sich. Abgesehen von der enormen Recherchearbeit – lesen, interviewen, besichtigen –, die notwendig war, um überhaupt qualifiziert über diese Dinge nachzudenken, musste ich mich fragen, ob sich über eine so unterschiedlich gehandhabte Praxis überhaupt etwas Zusammenhängendes und Wichtiges sagen lässt. Vielleicht gibt es gar kein »Fleisch« als solches. Vielleicht gibt es nur dieses Tier, aufgewachsen auf dieser Farm, geschlachtet in diesem Betrieb, verkauft auf diesem Weg und gegessen von dieser Person – und jedes ist in einer Weise anders, dass es unmöglich ist, sie als Gesamtheit zu betrachten.
Und das Essen von Tieren gehört, ähnlich wie Abtreibung, zu den Themen, bei denen sich einige der wichtigsten Details unmöglich klären lassen (Wann ist ein Fötus ein Mensch, im Gegensatz zu einem potenziellen Menschen? Wie empfindet ein Tier wirklich?). All das löst ein tief sitzendes Unbehagen in uns aus und führt oft zu Aggressionen und Abwehr. Es ist ein strittiges, frustrierendes und nachklingendes Thema. Jede Frage löst die nächste aus, und man gerät leicht in eine radikalere Position, als man sie eigentlich vertreten will oder leben möchte. Oder noch schlimmer, man findet nichts, wofür es sich lohnen würde zu kämpfen oder wonach man leben könnte.
Dann gibt es die Schwierigkeit, zwischen Gefühl und Wirklichkeit zu unterscheiden. Viel zu oft sind Diskussionen über das Essen von Tieren keine Diskussionen, sondern Äußerungen über unsere Vorlieben. Und wo es Fakten gibt – so viel Schweinefleisch essen wir, so viele Mangrovensümpfe sind durch Aquakultur zerstört worden, so wird ein Rind getötet –, stellt sich die Frage, was wir eigentlich mit ihnen anfangen können. Sollen sie aus ethischer, gesellschaftlicher oder rechtlicher Sicht überzeugen? Oder sollen es nur weitere Informationen sein, die jeder Esser so verdauen kann, wie er es für richtig hält?
Dieses Buch basiert auf einer Vielzahl von Recherchen und ist so objektiv, wie ein journalistisches Werk nur sein kann – ich habe die konservativsten Statistiken verwendet, die es gab (fast immer staatliche und von Fachleuten geprüfte Quellen aus Wissenschaft und Industrie), und zwei unabhängige Experten engagiert, um sie zu bestätigen. Trotzdem ist das Buch für mich eine Geschichte. Es gibt jede Menge Daten, aber sie sind oft wenig aussagekräftig. Fakten sind wichtig, bedürfen aber einer Interpretation, um einen Sinn zu ergeben. Was bedeutet »exakt erfasste Schmerzreaktion bei Hühnern«? Sagt sie etwas über den Schmerz aus? Was bedeutet »Schmerz«? Auch wenn wir noch so viel über die physiologische Seite von Schmerz wissen – wie lange er andauert, die Symptome, die er hervorruft, und so fort –, sagt nichts davon etwas Maßgebliches aus. Bringt man aber Fakten in einer Geschichte unter, die von Mitgefühl oder Herrschaft erzählt oder vielleicht von beidem – bringt man sie in einer Geschichte über die Welt unter, in der wir leben, und darüber, wer wir sind und wer wir sein möchten –, dann kann man anfangen, sinnvoll über das Essen von Tieren zu reden.
Wir bestehen aus Geschichten. Ich denke an die Samstagnachmittage am Küchentisch meiner Großmutter, nur wir zwei – Brot röstete im Toaster, ein summender Kühlschrank, der vor lauter Familienfotos nicht zu sehen war. Über Pumpernickelenden und Cola erzählte sie mir von ihrer Flucht aus Europa, davon, was sie essen musste, und davon, was sie nicht aß. Es war ihre Lebensgeschichte – »Hör gut zu«, beschwor sie mich –, und ich wusste, mir wurde eine grundlegende Lektion vermittelt, auch wenn ich als Kind nicht wusste, worin sie bestand.
Heute weiß ich es. Und obwohl sich die Bedingungen grundlegend verändert haben, will und werde ich versuchen, meinem Sohn ihre Lektion zu vermitteln. Und zwar mit diesem Buch. Jetzt zu Beginn fühle ich mich sehr unruhig, weil die Tragweite des Themas so enorm ist. Abgesehen von den über zehn Milliarden Landtieren, die in Amerika jedes Jahr zum Verzehr geschlachtet werden, und abgesehen von der Umwelt und den Arbeitern und unmittelbar damit einhergehenden Themen wie Welthunger, Grippeepidemien und Biodiversität, bleibt immer noch die Frage, wie wir uns und andere sehen. Wir sind nicht nur die Erzähler unserer Geschichten, wir sind auch der Inhalt der Geschichten. Wenn meine Frau und ich unseren Sohn als Vegetarier erziehen, wird er nicht das einzige Gericht seiner Urgroßmutter essen, wird er nie in den Genuss dieses einzigartigen und direktesten Ausdrucks ihrer Liebe kommen, wird er vielleicht nie von ihr als tollste Köchin aller Zeiten sprechen. Ihre erste Geschichte, die erste Geschichte unserer Familie, wird sich ändern müssen.
Als meine Großmutter meinen Sohn zum ersten Mal sah, sagte sie: »Meine Revanche.« Sie hätte unendlich viel sagen können, aber sie entschied sich dafür, oder es wurde für sie entschieden.
Hör gut zu:
»WIR WAREN NICHT REICH, aber wir hatten immer genug. Donnerstags haben wir Brot gebacken und Challa und Brötchen, und das reichte für die ganze Woche. Freitags gab es Pfannkuchen. Am Schabbat gab es immer Hühnchen und Nudelsuppe. Man ging zum Schlachter und fragte nach etwas mehr Fett. Das fetteste Stück war das beste Stück. Nicht so wie heute. Wir hatten keine Kühlschränke, aber wir hatten Milch und Käse. Wir hatten nicht alle Gemüsesorten, aber wir hatten genug. Was ihr heute alles habt und als selbstverständlich voraussetzt … Aber wir waren glücklich. Wir wussten es nicht besser. Und auch wir setzten das, was wir hatten, als selbstverständlich voraus.
Dann wurde alles anders. Der Krieg war die Hölle auf Erden, ich hatte nichts. Ich verließ meine Familie. Ich bin immer gerannt, Tag und Nacht, weil die Deutschen mir immer auf den Fersen waren. Wenn man stehen blieb, war man tot. Es gab nie genug zu essen. Ich wurde immer kränker vom Nichtessen. Ich war nur noch Haut und Knochen und hatte überall am Körper Wunden. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Es machte mir nichts aus, aus Mülltonnen zu essen. Ich aß das, was andere übrig gelassen hatten. Wenn man sich selbst half, konnte man überleben. Ich nahm, was ich finden konnte. Ich aß Sachen, die ich dir lieber nicht beschreibe.
Selbst in den schlimmsten Zeiten traf ich auch gute Menschen. Jemand gab mir den Tipp, meine Hosen unten zuzubinden, um die Hosenbeine mit möglichst vielen gestohlenen Kartoffeln zu füllen. Damit lief ich Kilometer um Kilometer, man wusste ja nie, wann man wieder Glück hatte. Einmal schenkte mir jemand ein bisschen Reis, und ich war zwei Tage zu einem Markt unterwegs und tauschte den Reis gegen etwas Suppe, dann ging ich zu einem anderen Markt und tauschte die Suppe gegen ein paar Bohnen. Man musste Glück haben und erfinderisch sein.