Chris folgte Arnaut tiefer in das Verlies. Irgendwo vor ihnen hallten Stimmen. Arnaut bewegte sich jetzt vorsichtiger, drückte sich an den Wänden entlang. Schließlich konnten sie in das nächste Gewölbe sehen, das von einer großen Grube im Boden beherrscht wurde. Über der Grube hing ein schwerer Metallkäfig an einer Kette. Der Professor stand darin mit ausdruckslosem Gesicht, während der Käfig von zwei Soldaten, die an einer Winde drehten, in die Grube hinabgelassen wurde. Marek wartete mit gefesselten Händen und von zwei Soldaten bewacht an der gegenüberliegenden Wand.
Lord Oliver stand am Rand der Grube und sah lächelnd zu, wie der Käfig in die Tiefe sank. Er trank aus einem goldenen Kelch und wischte sich das Kinn. »Ich habe Euch mein Versprechen gegeben«, sagte er, »und ich halte es auch.« Zu den Soldaten an der Winde sagte er: »Langsamer, langsamer.«
Den Blick starr auf Olvier gerichtet, knurrte Arnaut wie ein Hund und hob sein Schwert. Dann drehte er sich kurz zu Chris um und sagte: »Ich
übernehme Oliver. Ihr könnt die anderen haben.«
Die anderen, dachte Chris. Es waren vier Soldaten in dem Gewölbe.
Aber er hatte keine Zeit zu protestieren, denn mit einem wütenden
Aufschrei stürmte Arnaut bereits voran und rief: »Oliverrrrr!«
Den Kelch noch in der Hand, drehte Lord Oliver sich um. Mit einem höhnischen Grinsen sagte er: »Aha. Das Schwein zeigt sich.« Er warf den Kelch beiseite und zog sein Schwert. Die beiden stürzten sich aufeinander.
Chris lief jetzt auf die Soldaten an der Winde zu, aber er wußte nicht so recht, was er tun sollte. Die Soldaten neben Marek hatten ihre Schwerter erhoben. Oliver und Arnaut kämpften erbittert, ihre Schwerter klirrten, wilde Flüche flogen zwischen den beiden Erzfeinden hin und her.
Alles geschah jetzt sehr schnell. Marek rempelte einen der Soldaten neben ihm an und erstach ihn mit einem Messer, das so klein war, daß Chris es gar nicht sah. Der zweite Soldat drehte sich zu Marek um, aber Marek trat ihn so kräftig, daß er rückwärts stolperte und die beiden Männer an der Winde beiseite stieß. Unbewacht begann die Winde sich schneller zu drehen. Sie funktionierte offenbar mit Hilfe eines Ratschenmechanismus, der einigen Lärm verursachte, aber der Käfig sank deutlich schneller als zuvor. Chris sah, wie er mitsamt dem Professor unter Bodenhöhe sank und langsam in der Grube verschwand.
Inzwischen hatte Chris den ersten der Soldaten erreicht, der ihm den Rücken zukehrte. Der Mann drehte sich um, aber Chris schlug mit dem Schwert nach ihm und verletzte ihn schwer. Noch ein Hieb, und der Mann stürzte zu Boden.
Jetzt waren nur noch zwei Soldaten übrig. Marek, dessen Hände noch immer gefesselt waren, wich zurück, um der zischenden Klinge des einen zu entgehen. Der zweite Soldat stand an der Winde. Er hatte sein Schwert gezogen und war bereit zum Kampf. Chris schwang seine Klinge, aber der Mann parierte mühelos. Doch dann stieß Marek, der im Kreis vor seinem Angreifer zurückwich, gegen den Soldaten, der sich kurz umdrehte. Marek rief: »Jetzt!«, und Chris erstach den Soldaten mit seinem Schwert. Der Mann brach zusammen. Die Winde drehte sich immer noch. Chris packte die Kurbel, sprang dann aber zurück, als das Schwert des vierten Soldaten klirrend den Mechanismus traf. Der Käfig sank immer tiefer. Chris wich zurück. Marek streckte ihm die gefesselten Handgelenke hin, aber Chris war sich nicht sicher, ob er mit dem Schwert präzise genug zielen konnte. »Tu's einfach«, schrie Marek, und Chris holte aus. Das Seil zerriß, und dann war der vierte Soldat über ihm. Er kämpfte mit der Wut eines in die Enge Getriebenen, und Chris wurde beim Zurückweichen am Unterarm getroffen. Er merkte, daß er in Schwierigkeiten war, als sein Angreifer plötzlich entsetzt nach unten sah: Die blutige Spitze eines Schwerts ragte aus seinem Bauch. Der Soldat stürzte zu Boden, und Chris sah Marek mit dem Schwert in der Hand. Chris rannte zu der Kurbel, packte die Winde und schaffte es, den Käfig zu stoppen. Jetzt sah er, daß der Käfig schon tief in das ölige Wasser gesunken war; der Kopf des Professors ragte gerade noch über die Oberfläche. Noch eine Umdrehung der Winde, und er wäre ganz untergetaucht gewesen.
Gemeinsam kurbelten Chris und Marek den Käfig wieder hoch. Chris fragte: »Wieviel Zeit noch?«
Marek sah auf seinen Timer:»Sechsundzwanzig Minuten.« Unterdessen kämpften Arnaut und Oliver weiter; sie befanden sich jetzt in einem dunklen Winkel des Verlieses, und Chris sah nur die Funken ihrer klirrenden Schwerter.
Triefend stieg der Käfig in die Höhe. Der Professor lächelte Chris an. »Ich habe mir gedacht, daß du es rechtzeitig schaffen würdest«, sagte er.
Die schwarzen Stangen des Käfigs waren glitschig in Chris' Händen, als er den Käfig von der Grube wegzog. Schlamm und schwarzes Wasser tropften auf den Lehmboden und hinterließen kleine Pfützen. Chris kehrte zu der Winde zurück und drehte gemeinsam mit Marek die Kurbel, um den Käfig zu Boden zu lassen. Der Professor war triefnaß, aber er schien erleichtert, wieder auf festem Boden zu sein. Chris wollte ihn befreien, mußte aber feststellen, daß der Käfig verschlossen war. Ein schweres Vorhängeschloß von der Größe einer Männerfaust hing an der Tür.
»Wo ist der Schlüssel?« fragte Chris, an Marek gewandt.
»Ich weiß es nicht«, sagte Marek. »Ich lag auf dem Boden, als sie ihn hineinsperrten. Ich konnte nicht sehen, was passierte.«
»Professor?«
Johnston schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe dorthin geschaut.« Er nickte zu der Grube.
Marek schlug mit dem Schwert auf das Schloß. Funken flogen, aber das Schloß war solider Stahl, das Schwert zerkratzte es kaum. »Das funktioniert nicht«, sagte Chris. »Wieviel Zeit noch?« »Fünfundzwanzig Minuten.«
Kopfschüttelnd ging Chris zu dem ersten toten Soldaten und fing an, ihn zu durchsuchen.
Im Kontrollraum sah Stern zu, wie die Techniker eine blasse Gummimembran in einen Eimer mit Klebstoff tauchten und sie, noch triefend, in die Öffnung des Glasschildes schoben. Dann befestigten sie einen Preßluftschlauch an der Öffnung, und der Gummi begann sich auszudehnen. Kurz konnte man erkennen, daß es sich um einen Wetterballon handelte, aber dann dehnte er sich immer weiter aus, der Gummi wurde dünner und transparenter und nahm die Form des Schildes an, bis er jeden Winkel des Behälters erreicht hatte. Dann verschlossen die Techniker die Öffnung, drückten auf eine Stoppuhr und warteten, bis der Kleber getrocknet war. Stern fragte: »Wieviel Zeit noch?«
»Noch einundzwanzig Minuten.« Gordon deutete zu den Ballons. »Es ist zwar ziemlich schlicht, aber es funktioniert.«
Stern schüttelte den Kopf. »Es ging mir die ganze letzte Stunde nicht mehr aus dem Kopf.«
»Was?«
»Platzer«, sagte er. »Ich habe mir immer wieder gedacht, was versuchen wir hier zu vermeiden? Und die Antwort ist, daß die Dinger platzen. Wie bei einem Auto, wenn ein Reifen platzt. Ich habe die ganze Zeit an Reifenplatzer gedacht. Und das kam mir komisch vor, weil die inzwischen nur noch selten vorkommen. Bei neuen Autos so gut wie gar nicht mehr. Weil die neuen Reifen eine innere Membran haben, die selbstabdichtend ist.« Er seufzte. »Ich habe mich gefragt, warum mir so was Ausgefallenes in den Sinn kommt, und dann habe ich bemerkt, daß es genau darum geht: wie man auch für diese Tanks eine Membran herstellen kann.«
»Aber die ist nicht selbstabdichtend«, sagte Kramer.
»Nein«, sagte Gordon. »Aber sie verstärkt das Glas und verteilt die
Belastung.«
»Genau«, sagte Stern.
Die Techniker hatten alle Tanks mit Ballons ausgekleidet und verschlossen. Gordon sah auf die Uhr: »Noch drei Minuten, dann sind alle trocken.«