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Durch die Flammen, die im inneren Burghof von La Roque loderten, sah Kate den Professor und die anderen aus einer Tür in der Mauer kommen. Sie lief zu ihnen. Alle drei schienen okay zu sein. Der Professor nickte ihr zu. Sie bewegten sich alle sehr schnell. Kate sagte zu Chris: »Hast du die Keramik?«

»Ja. Ich habe sie noch.« Er zog sie aus der Tasche und drehte sie, um auf den Knopf zu drücken.

»Nein, hier nicht«, sagte der Professor. »Hier ist nicht genug Platz.« »Hier ist doch Platz...«, sagte Chris.

»Nein. Wir brauchen rundherum zwei Meter, erinnerst du dich?« Sie waren umgeben von Feuer. »Soviel Platz finden wir in diesem Hof nirgends«, sagte Marek.

»Das stimmt«, sagte der Professor. »Wir müssen hinaus in den nächsten Hof.«

Kate schaute zu dem Tor, das in den äußeren Hof führte. Es war etwa vierzig Meter entfernt. Aber das Fallgitter war hochgezogen, ja, es sah sogar so aus, als wäre das Tor überhaupt nicht bewacht. Alle Soldaten hatten es verlassen, um gegen die Eindringlinge zu kämpfen. »Wieviel Zeit noch?« »Fünf Minuten.«

»Okay«, sagte der Professor. »Gehen wir.«

Brandherden und kämpfenden Soldaten ausweichend, trabten sie über den Hof. Der Professor und Kate bildeten die Spitze, Marek, der wegen der Schmerzen in seinem Bein bei jedem Schritt zu-sammenzuckte, folgte ihnen. Und Chris, der sich Sorgen um Marek machte, kam als letzter.

Kate erreichte das erste Tor. Es gab überhaupt keine Wachen. Unter den Spitzen des hochgezogenen Fallgitters hindurch liefen sie in den mittleren Hof. »O nein«, sagte Kate.

Im mittleren Hof befand sich das Lager von Olivers Soldaten, und es sah so aus, als würden Hunderte von Rittern und Knappen durcheinanderlaufen, die einen den Männern auf den Mauern Befehle zuschreiend, die anderen Waffen und Gerätschaften schleppend. »Hier ist kein Platz«, sagte der Professor. »Wir müssen noch durchs nächste Tor. Vor die Burg.«

»Ganz hinaus?« fragte Kate. »Wir schaffen es ja nicht einmal über diesen Hof.«

Marek kam keuchend zu ihnen gehumpelt. Er warf nur einen Blick auf den Hof und sagte: »Wehrgang.«

»Ja«, sagte der Professor und nickte. Er deutete die Mauer hoch. »Der Wehrgang.«

Der Wehrgang war ein überdachter und holzverkleideter Gang am äußeren Rand der Mauerkrone. Es war ein geschützter Bereich, von dem aus die Soldaten auf die angreifenden Truppen hinunterschießen konnten. Vielleicht schafften sie es, diesen Wehrgang entlangzulaufen und so zur anderen Seite des Hofs und zum äußeren Torturm zu gelangen.

Marek sagte: »Wo ist Chris?«

Sie schauten zurück in den inneren Hof.

Doch Chris war nirgends zu sehen.

Chris war Marek gefolgt und hatte sich überlegt, ob er ihn vielleicht tragen sollte, als er plötzlich beiseite geschubst und gegen eine Wand gedrückt wurde. Hinter sich hörte er eine Stimme in perfektem modernem Englisch sagen: »Du nicht, Kumpel. Du bleibst hier.« Und er spürte die Spitze eines Schwerts im Rücken.

Als er sich umdrehte, stand Robert de Kere mit gezücktem Schwert vor ihm. De Kere packte ihn grob am Kragen und stieß ihn wieder gegen eine Wand. Beunruhigt sah Chris, daß sie direkt vor der Munitionskammer standen. Da der ganze Hof in Flammen stand, war das kein Ort, wo man sich aufhalten sollte.

De Kere schien es gleichgültig zu sein. Er grinste. »Wenn man's genau nimmt«, sagte er, »geht keiner von euch Mistkerlen irgendwohin.« »Warum nicht?« fragte Chris, ohne das Schwert aus den Augen zu lassen.

»Weil du den Marker hast, Kumpel.« »Nein, habe ich nicht.«

»Ich kann Euren Sprechverkehr abhören, hast du das vergessen?« De Kere streckte die Hand aus. »Komm, gib ihn mir.« Wieder packte er Chris und schubste ihn durch die Tür. Chris stolperte in die Munitionskammer. Sie war verlassen, alle Soldaten waren geflohen. Überall um ihn herum waren Schwarzpulversäcke aufgestapelt. Die Mörser, in denen die Soldaten das Pulver gemahlen hatten, lagen noch auf dem Boden.

»Euer verdammter Professor«, sagte de Kere und deutete auf die Schalen. »Ihr alle denkt, ihr habt die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Gib mir das Ding endlich.«

Chris tastete unter seiner Kleidung nach dem Beutel.

De Kere schnippte ungeduldig mit dem Finger. »Komm, komm, mach endlich.«

»Moment«, sagte Chris.

»Ihr seid doch alle gleich«, sagte de Kere. »Genau wie Doniger. Weißt du, was Doniger gesagt hat? Mach dir keine Sorgen, Rob, wir entwickeln eine neue Technologie, die dir hilft. Es ist immer eine neue Technologie, die einem hilft. Aber er hat keine neue Technologie entwickelt. Das hatte er nie vor. Hat einfach gelogen, wie er es immer tut. Mein verdammtes Gesicht.« Er griff sich an die Narbe, die mitten durch sein Gesicht lief. »Tut die ganze Zeit weh. Irgendwas mit den Knochen. Tut verdammt weh. Und innen drin ist auch alles durcheinander. Überall Schmerzen.« Verärgert streckte er Chris die Hand hin. »Na komm schon. Wenn du so weitermachst, bringe ich dich gleich um.«

Chris spürte die Sprühdose in seinen Fingern. Aus welcher Entfernung würde das Gas noch wirken? Sicher nicht auf Schwertlänge. Aber es gab keine Alternative.

Chris holte einmal tief Atem und sprühte. De Kere hustete, eher verärgert als überrascht, und trat einen Schritt vor. »Du Arschloch«, sagte er. »Du hältst das wohl für eine gute Idee, was? Wirklich raffiniert. Ein raffinierter Junge.« Er stupste Chris mit dem Schwert an. Chris wich zurück. »Dafür schlitze ich dir den Bauch auf und lasse dich zusehen, wie deine Gedärme herausquellen.« Er schwang das Schwert nach oben, aber Chris konnte dem Hieb mühelos ausweichen. Offenbar zeigte das Spray doch Wirkung. Er sprühte noch einmal, dichter vor de Keres Gesicht, und duckte sich dann, als er das Schwert wieder auf sich herabsausen sah. Es verfehlte ihn, warf eine der Schalen um und klirrte zu Boden. De Kere wankte, aber er hielt sich noch auf den Beinen, auch als Chris ein drittes Mal sprühte. Erneut holte de Kere aus, das Schwert zischte; Chris wich ihm aus, aber die Klinge schlitzte ihm knapp über dem rechten Ellbogen den Arm auf. Blut quoll aus der Wunde und tropfte auf den Boden. Die Sprühdose fiel ihm aus der Hand. De Kere grinste. »Tricks funktionieren hier nicht«, sagte er. »Das hier ist das wirkliche Leben. Und jetzt paß mal auf, Kumpel.« Wieder hob er das Schwert. Er war noch etwas unsicher, kam aber offenbar schnell wieder zu Kräften. Chris duckte sich, als de Kere ausholte, das Schwert rauschte über seinen Kopf hinweg und grub sich in einen der Pulversäcke. Graues Pulver flirrte durch die Luft. Beim Zurückweichen spürte Chris, wie sein Fuß gegen eine Schale auf dem Boden stieß. Er wollte sie beiseite kicken, bemerkte aber plötzlich, wie schwer sie war. Es war keiner der Mörser, es war ein Gefäß mit einer dicken, schweren Paste. Die ziemlich scharf roch. Den Geruch erkannte er sofort: Ätzkalk.

Was bedeutete, daß die Schale voll war mit automatischem Feuer. Chris bückte sich schnell und hob die Schale auf. De Kere hielt inne. Er wußte, was es war.

Chris nutzte dieses kurze Zögern und schleuderte die Schale auf de Kere. Sie traf ihn an der Brust, die braune Paste spritzte ihm auf Gesicht, Arme und Körper. De Kere knurrte.

Chris brauchte Wasser. Wo war hier Wasser? Er sah sich verzweifelt um, aber er kannte die Antwort bereits: In diesem Raum gab es kein Wasser. De Kere grinste. »Kein Wasser?« fragte er. »Zu schade, du raffinierter Junge.« Er hielt das Schwert horizontal vor sich und ging auf Chris zu. Chris spürte die Mauer in seinem Rücken und wußte, daß dies das Ende war. Vielleicht schafften es wenigstens die anderen.

Er sah zu, wie de Kere langsam und siegessicher auf ihn zukam. Er konnte seinen Atem riechen; er war so nahe, daß Chris ihn anspucken konnte.

Ihn anspucken.

In dem Augenblick, da Chris das dachte, spuckte er de Kere auch schon an - nicht ins Gesicht, sondern auf die Brust. De Kere schnaubte angewidert: Dieses Bürschchen konnte ja nicht mal richtig spucken. Doch wo die Spucke die Paste traf, begann diese zu rauchen und zu knistern.