»Einige Grunderwerbsurkunden für das Umland hier. Aber das Material ist nicht sehr überzeugend. Fünf Parzellen wurden von einer deutschen Investmentgruppe gekauft, über die nur wenig bekannt ist. Zwei Parzellen wurden von einem britischen Anwalt gekauft, der behauptet, hier seinen Ruhestand verbringen zu wollen, eine aridere von einem niederländischen Bankier für seine erwachsene Tochter, und so weiter und so fort.«
»Briten und Niederländer kaufen seit Jahren im Perigord Land«, sagte Chris. »Das ist nichts Neues.«
»Genau. Aber sie hat die fixe Idee, daß alle Grundstückskäufe zu ITC zurückverfolgt werden können. Die Argumentation ist jedenfalls ziemlich dünn. Man muß schon daran glauben.«
Das Auto war verschwunden. Sie drehten sich um und gingen zum Fluß. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, es wurde allmählich heiß. Vorsichtig bemerkte Chris: »Charmante Frau.« »Ich glaube«, sagte Johnston, »sie ist zu sehr auf ihren Job fixiert.« Sie stiegen in das Boot, das am Flußufer vertäut lag, und Chris ruderte sie hinüber nach Castelgard.
Sie ließen das Boot am Ufer liegen und stiegen den Hügel zum Ort hinauf. Bald kamen die ersten Teile der Burgmauern in Sicht. Auf dieser Seite war von den Mauern nichts mehr übrig als ein paar grasbewachsene Wälle, die in langen Narben aus freiliegendem, zerbröckelndem Gestein endeten. Nach sechshundert Jahren sah es fast so aus wie ein natürlicher Teil der Landschaft. Tatsächlich aber waren es die Überreste einer Mauer.
»Weißt du«, sagte der Professor, »wogegen sie eigentlich was hat, ist Firmensponsoring. Aber archäologische Forschung war schon immer von externen Wohltätern abhängig. Vor hundert Jahren waren diese Wohltäter noch Privatpersonen: Carnegie, Peabody, Stanford. Heutzutage ist das große Geld bei Firmen und Konzernen, deshalb finanziert Nippon TV die Sixtinische Kapelle, British
Telecom finanziert York, Philips Electronics finanziert das castrum in Toulouse, und ITC- finanziert uns.«
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Chris. Als sie die Kuppe überquerten, sahen sie die dunkle Gestalt von Diane Kramer, die sich mit Andre Marek unterhielt.
Der Professor seufzte. »Der Tag ist im Eimer. Wie lange hat sie vor zu bleiben?«
»Ihr Flugzeug steht in Bergerac. Der Rückflug ist für heute nachmittag drei Uhr geplant.«
»Tut mir leid wegen dieser Frau«, sagte Diane Krämer, als Johnston zu ihr kam. »Sie nervt jeden, aber wir konnten nichts gegen sie tun.« »Bellin sagte mir, Sie wollten, daß ich mit ihr spreche.« »Wir wollen, daß alle mit ihr sprechen«, sagte Kramer. »Wir tun, was wir können, um ihr zu zeigen, daß wir nichts zu verbergen haben.« »Sie schien höchst besorgt darüber«, bemerkte Johnston, »daß ITC hier in der Gegend Land aufkauft.«
»Landkäufe? ITC?« Kramer lachte. »Der Witz ist mir neu. Hat sie Sie auch nach Niob und Atomreaktoren gefragt?«
»Wenn Sie's genau wissen wollen, ja. Sie behauptete, ITC hätte eine Firma in Nigeria gekauft, um den Bedarf zu decken.« »Nigeria«, wiederholte Kramer mit einem Kopfschütteln. »Ach du meine Güte. Unser Niob kommt aus Kanada. Niob ist nicht gerade ein seltenes Metall, wissen Sie. Fünfundsiebzig Dollar das Pfund.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben ihr eine Führung durch unsere Einrichtungen angeboten, ein Interview mit unserem Präsidenten, sie hätte einen Fotografen und eigene Experten mitbringen dürfen, was immer sie will. Aber nein. Das ist moderner Journalismus: Laß dir die Tatsachen nicht in die Quere kommen.«
Kramer drehte sich um und deutete über die Ruinen von Castel-gard. »Wie auch immer«, sagte sie, »ich bin eben in den Genuß von Dr. Mareks ausgezeichneter Führung gekommen, im Hubschrauber und zu Fuß. Es ist offensichtlich, daß Sie hier absolut spektakuläre Arbeit leisten. Sie kommen gut voran, die Arbeit ist von höchster akademischer Qualität, die Aufzeichnungen sind erstklas-sig, Ihre Leute sind zufrieden, Organisation und Verwaltung funktionieren. Einfach großartig. Ich könnte nicht glücklicher sein. Aber Dr. Marek sagt mir, daß er zu spät kommt für seine — was ist es gleich wieder?«
»Meine Breitschwertstunde«, sagte Marek.
»Seme Breitschwertstunde. Ja. Ich glaube, da sollte er unbedingt hingehen. Es klingt nicht wie etwas, das man einfach verlegen kann wie eine Klavierstunde. Können wir unterdessen ein wenig über das Gelände spazieren?« »Natürlich«, sagte Johnston.
Chris' Funkgerät klickte. »Chris? Sophie will dich sprechen.« »Ich rufe sie zurück.«
»Nein, nein«, sagte Kramer. »Machen Sie nur. Ich spreche allein mit dem Professor.«
»Normalerweise habe ich Chris immer dabei, damit er sich Notizen macht«, sagte Johnston schnell.
»Ich glaube nicht, daß wir heute Notizen brauchen.«
»Okay. Gut.« Er wandte sich an Chris. »Aber gib mir dein Funkgerät,
nur für den Fall.«
»Kein Problem.« Er hakte das Funkgerät vom Gürtel und gab es Johnston. Als Johnston es in die Hand nahm, drückte er, für Chris sichtbar, die Sprechtaste. Dann hakte er es sich an den Gürtel. »Danke«, sagte Johnston. »Und jetzt soütest du besser Sophie anrufen. Du weißt, daß sie es nicht mag, wenn man sie warten läßt.« »Okay«, sagte Chris.
Während Johnston und Kramer langsam durch die Ruinen schlenderten, rannte er über die Wiese zu dem steinernen Bauern-haus, das ihnen als Hauptquartier diente.
Knapp hinter den bröckelnden Mauern des Ortes Castelgard hatte das Team ein heruntergekommenes steinernes Lagerhaus gekauft, das Dach erneuert und das Mauerwerk ausgebessert. Hier waren ihre gesamte Elektronik, die Laborausrüstung und die Archivierungscomputer untergebracht. Unbearbeitete Aufzeichnungen und Artefakte lagerten neben dem Bauernhaus unter einem weiten grünen Zeltdach. Chris betrat das Lagerhaus, ursprünglich ein einziger großer
Raum, den sie in zwei kleine unterteilt hatten. Im linken Abteil saß Elsie Kastner, die Linguistin und Graphologieexpertin des Teams, über Pergamente gebeugt. Chris ignorierte sie und ging direkt in den anderen Kaum, der gesteckt voll war mit elektronischem Gerät. Dort saß David Stern, der dünne, bebrillte Technikexperte des Projekts, und sprach in ein Telefon.
»Na ja«, sagte Stern eben. »Sie müßten Ihr Dokument mit einer ziemlich hohen Auflösung einscannen und es uns schicken. Haben Sie einen Scanner?«
Hastig wühlte Chris in dem Gerätedurcheinander auf dem Klapptisch nach einem Funkgerät. Er fand keins, alle Ladestationen waren leer. »Die Polizei hat keinen Scanner?« fragte Stern eben überrascht. »Ach, Sie sind nicht im Revier — aber warum gehen Sie nicht hin und benutzen den Polizeiscanner?«
Chris klopfte Stern auf die Schulter. Funkgerät, formte er mit den Lippen.
Stern nickte und hakte das Funkgerät von seinem Gürtel. »Ja, der Krankenhausscanner tut's auch. Vielleicht gibt es da ja jemanden, der Ihnen helfen kann. Wir brauchen zwölf-achtzig mal zehn-vier-undzwanzig, abgespeichert als JPEG-Datei. Dann schicken Sie uns das...«
Chris lief nach draußen und schaltete dabei die Funkkanäle durch. Von der Tür des Lagerhauses konnte er das gesamte Gelände überblicken. Er sah, daß Johnston und Kramer am Rand des Plateaus entlanggingen, von wo man zum Kloster hinuntersah. Sie hatte ihr Notizbuch aufgeschlagen und zeigte ihm etwas. Und dann fand er sie auf Kanal acht.
»- deutliche Beschleunigung der Forschungsarbeiten«, sagte sie eben. Und der Professor sagte: »Was?«
Johnston starrte die Frau, die vor ihm stand, über seine Drahtbrille hinweg an. »Das ist unmöglich«, sagte er.
Sie atmete tief ein. »Vielleicht habe ich es nicht gut erklärt. Sie machen doch schon einige Rekonstruktionen. Nun, Bob hätte gern, daß Sie diese Arbeiten zu einem vollständigen Wiederaufbauprogramm ausweiten.« »Ja. Und das ist unmöglich.« »Sagen Sie mir, warum?«