Rückblickend betrachtet war es ein Zusammentreffen besonderer Umstände - plus beträchtliches Glück -, das ITC diesen Vorsprung in einer spektakulären neuen Technologie verschaffte. Obwohl die Firma die Position vertrat, daß ihre Entdeckungen völlig harmlos und dem Menschen nur nützlich seien, zeigte ihre sogenannte Rettungsexpedition die Gefahren nur zu deutlich. Zwei Menschen starben während einer Expedition, eine Person verschwand, eine weitere erlitt schwere Verletzungen. Die jungen Doktoranden, die die Expedition unternahmen, erfuhren es am eigenen Leibe: Diese neue Quantentechnologie, die Vorbotin des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ist alles andere als harmlos.
Ein typisches Beispiel für einen Privatkrieg ereignete sich im Jahre 1357. Sir Oliver de Vannes, ein englischer Ritter von edlem Geblüt und Charakter, hatte die Städte Castelgard und La Roque eingenommen. Glaubt man den Quellen, so herrschte dieser »geborgte Herr« mit Würde und Gerechtigkeit und war beim Volk beliebt. Im April wurden die Ländereien von einer wilden Kompanie aus zweitausend Briganten überfallen, abtrünnigen Rittern unter dem Befehl von Arnaut de Cervole, einem aus dem Amt gejagten Mönch, den man auch den »Erzpriester« nannte. Nachdem Cervole Castelgard niedergebrannt hatte, schleifte er das Kloster von Sainte-Mere, ermordete die Mönche und zerstörte die berühmte Wassermühle an der Dordogne. Anschließend verfolgte Cervole Sir Oliver bis zur Festung von La Roque, wo eine blutige Schlacht stattfand.
Oliver verteidigte seine Burg mit Geschick und Wagemut. Zeitgenössische Berichte schreiben Olivers Verteidigungserfolge seinem militärischen Berater Edwardus de Johnes zu. Nur wenig ist bekannt von diesem Mann, doch rankt sich manche Sage um ihn, die an Merlin erinnert. Angeblich konnte er in einem Lichtblitz verschwinden. Der Chronist Audreim behauptete, Johnes sei aus Oxford gekommen, anderen Quellen zufolge war er jedoch Mailänder. Da er mit einer Gruppe junger Gehilfen reiste, war er höchstwahrscheinlich ein fahrender Gelehrter, der sich dem verdingte, der ihm seine Dienste bezahlte. Er war geübt im Gebrauch von Schießpulver und Artillerie, einer Technologie, die zu der Zeit noch sehr neu war...
Letztendlich verlor Oliver seine uneinnehmbare Burg nur, weil ein Spion einen Geheimgang öffnete und so den Soldaten des Erzpriesters Zugang zur Festung verschaffte. Ein Verrat wie dieser war charakteristisch für die komplexen Intrigen der damaligen Zeit. Aus: Der Hundertjährige Krieg in Frankreich von M. D. Backes, 1996
CORAZON
Wer von der Quantentheorie nicht schockiert ist, versteht sie nicht.
NIELS BOHR, 1927
Niemand versteht die Quantentheorie.
RICHARD FEYNMAN, 1967
Er hätte diese Abkürzung nie nehmen dürfen.
Dan Baker zuckte zusammen, als sein neuer Mercedes S 500 über die unbefestigte Straße holperte, die sie tiefer und tiefer in das Navajo-Reservat im Norden Arizonas brachte. Die Landschaft um sie herum wurde immer trostloser: weit entfernte Tafelberge, sogenannte mesas im Osten, im Westen endlose flache Wüste. Vor einer halben Stunde waren sie an einem Dorf vorbeigekommen — staubige Häuser, eine Kirche und eine kleine Schule, die an einem Bergabhang kauerten —, aber seitdem hatten sie überhaupt nichts mehr gesehen, nicht einmal einen Zaun. Nur leere rote Wüste. Das letzte Auto hatten sie vor einer Stunde gesehen. Jetzt war es Mittag, die Sonne brannte auf sie herab. Baker, ein vierzigjähriger Bauunternehmer aus Phoenix, wurde allmählich ein wenig nervös. Vor allem, da seine Frau, eine Architektin, zu jenen künstlerischen Menschen gehörte, die sich mit so profanen Dingen wie Benzin und Kühlwasser nicht abgaben. Sein Tank war halb leer. Und der Motor lief langsam heiß. »Liz«, sagte er, »bist du sicher, daß das der richtige Weg ist?« Seine Frau, die neben ihm saß, beugte sich über die Karte und fuhr die Route mit dem Finger nach. »Er muß es sein«, sagte sie. »Im Führer heißt es, fünf Kilometer nach der Abzweigung zum Corazon Canyon.« »Aber am Corazon Canyon sind wir schon vor zwanzig Minuten vorbeigekommen. Wir haben ihn bestimmt übersehen.« »Wie sollen wir denn einen Handelsposten übersehen?« »Ich weiß auch nicht.« Baker starrte auf die Straße. »Aber hier ist überhaupt nichts. Bist du ganz sicher, daß du dorthin willst? Ich meine, wir können doch auch in Sedona tolle Navajo-Teppiche kaufen. In Sedona gibt es alle möglichen Teppiche.« »Sedona«, erwiderte sie naserümpfend, »ist nicht authentisch.« »Natürlich ist es authentisch, Liebling. Ein Teppich ist ein Teppich.« »Ein Gewebe.«
»Okay.« Er seufzte. »Ein Gewebe.«
»Außerdem ist es nicht dasselbe«, sagte sie. »In den Läden in Sedona gibt es nur Touristenramsch - aus Acryl und nicht aus Wolle. Ich will die Gewebe, die sie im Reservat verkaufen. Und angeblich hat dieser Handelsposten ein altes Sandpainting-Gewebe aus den Zwanzigern, von Hosteen Klah. Und das will ich haben.«
»Okay, Liz.« Er persönlich wußte nicht so recht, wozu sie noch einen Navajo-Teppich - ein Gewebe — brauchten. Sie hatten bereits zwei Dutzend davon. Liz hatte sie überall im Haus verteilt. Und einige sogar in Schränken verstaut.
Schweigend fuhren sie weiter. Die Straße flirrte in der Hitze, so daß sie aussah wie ein Silbersee. Und es gab auch Luftspiegelungen, Häuser oder Menschen, die plötzlich auf der Straße auftauchten, aber wenn man dann näher kam, war nichts mehr da.
Dan Baker seufzte noch einmal. »Wir sind bestimmt daran vorbeigefahren.«
»Laß uns noch ein paar Kilometer fahren«, sagte seine Frau.
»Wie viele noch?«
»Ich weiß nicht. Ein paar.«
»Wie viele, Liz? Wir sollten entscheiden, wie weit wir noch fahren wollen.«
»Noch zehn Minuten«, sagte sie. »Okay«, erwiderte er. Zehn Minuten.
Er sah eben auf die Tankanzeige, als Liz plötzlich erschrocken die Hand vor den Mund schlug und »Dan!« rief. Als Baker wieder auf die Straße schaute, sah er gerade noch eine Gestalt auftauchen — einen Mann in brauner Kleidung am Straßenrand — und hörte einen lauten Knall an der Seite des Autos.
»O Gott!« sagte sie. »Wir haben ihn angefahren!«
»Was?«
»Wir haben den Typ angefahren.« »Nein, haben wir nicht. Wir sind über ein Schlagloch gefahren.« Im Rückspiegel sah Baker, daß der Mann noch immer am Straßenrand stand. Eine Gestalt in Braun, die sehr schnell in der Staubwolke des Autos verschwand.
»Wir können ihn nicht angefahren haben«, sagte Baker. »Er steht ja noch.«
»Dan. Wir haben ihn angefahren. Ich habe es gesehen.« »Nein, glaube ich nicht, Liebling.«
Baker schaute noch einmal in den Rückspiegel. Aber jetzt sah er nichts mehr außer der Staubwolke hinter dem Auto. »Wir sollten umkehren«, sagte sie. »Warum?«
Baker war ziemlich sicher, daß seine Frau sich getäuscht hatte und sie den Mann auf der Straße nicht angefahren hatten. Aber wenn sie ihn doch angefahren hatten und wenn er auch nur leicht verletzt war — nur eine Wunde am Kopf oder ein Kratzer —, würde das eine lange Unterbrechung ihrer Fahrt bedeuten. Sie würden es nie bis Einbruch der Nacht nach Phoenix schaffen. Wer sich hier draußen herumtrieb, war mit Sicherheit ein Navajo; sie würden ihn in ein Krankenhaus bringen müssen oder zumindest in die nächste größere Stadt, und das war Gallup, was nicht auf ihrem Weg lag —
»Ich dachte, du wolltest umkehren«, sagte sie.
»Will ich auch.«
»Dann laß uns umkehren.«
»Ich will nur keine Probleme, Liz.«
»Dan. Ich glaub das einfach nicht.«