Bei Robert Doniger hatten sich schon früh erste Anzeichen von Genialität gezeigt. Bereits in der Grundschule verschlang er technische Fachbücher. Und als er neun war, konnte er jedes elektronische Gerät -ob Radio oder Fernseher - reparieren; er spielte einfach so lange mit den Röhren und Drähten herum, bis es wieder funktionierte. Als seine Mutter sich sorgte, er könne sich mit einem Stromschlag töten, erwiderte er nur: »Mach dich doch nicht lächerlich.« Und als seine geliebte Großmutter starb, informierte ein tränenloser Doniger seine Mutter, daß die alte Dame ihm noch siebenundzwanzig Dollar schulde und er nun von ihr die Rückzahlung erwarte.
Nachdem er mit achtzehn in Stanford summa cum laude in Physik promoviert hatte, ging er zu FermiLab in der Nähe von Chicago. Nach sechs Monaten kündigte er wieder und sagte dem Direktor des Labors, daß »Elementarteilchenphysik nur etwas für Wichser« sei. Er kehrte nach Stanford zurück, um dort in einem Bereich zu arbeiten, der ihm vielversprechender erschien: Magnetismus auf Basis der Supraleitung. Zu dieser Zeit verließen Wissenschaftler aller Fachgebiete die Universitäten und gründeten Firmen, um aus ihren Erfindungen Kapital zu schlagen. So auch Doniger: Er gründete nach einem Jahr in Stanford eine Firma namens TechGate, in der er die Komponenten für ein Präzisionsätzverfahren für Chips, das er nebenbei erfunden hatten, herstellte. Als Stanford dagegen protestierte, weil er die Entdeckungen während der Arbeit in ihren Laboren gemacht habe, sagte Doniger nur: »Wenn Sie ein Problem haben, verklagen Sie mich. Ansonsten halten Sie den Mund.«
Schon bei TechGate wurde Donigers barscher Führungsstil berühmt. Bei Besprechungen mit seinen Wissenschaftlern saß er, seinen Stuhl gefährlich weit nach hinten gekippt, in einer Ecke und deckte sie mit Fragen ein. »Was ist damit?« — »Warum tun Sie das?« - »Was ist der Grund hierfür?« Wenn die Antwort ihn zufriedenstellte, sagte er: »Vielleicht...« Das war das höchste Lob, das man von Doniger bekommen konnte. Aber wenn ihm die Antwort nicht gefiel — was meistens der Fall war —, knurrte er: »Sind Sie hirntot?« — »Haben Sie vor, zum Idioten zu werden?« — »Wollen Sie dumm sterben?« - »Sie sind ja nicht mal ein Schwachkopf.« Wenn er wirklich verärgert war, warf er mit Bleistiften und Notizblöcken um sich und schrie: »Arschlöcher! Ihr seid alle verdammte Arschlöcher!« Die Angestellten von TechGate fanden sich mit den Wutausbrüchen von »Todesmarsch Doniger« ab, weil er ein brillanter Physiker war - ein viel besserer, als sie es waren -, weil er die Probleme kannte, mit denen seine Teams sich herumschlugen, und weil seine Kritik immer berechtigt und treffsicher war. So unangenehm dieser ätzende Stil auch sein mochte, er funktionierte; in nur zwei Jahren machte TechGate erstaunliche Fortschritte.
1984 hatte er seine Firma für hundert Millionen Dollar verkauft. Im selben Jahr zählte das Time Magazine ihn zu den fünfzig Leuten unter fünfundzwanzig, die »den Rest des Jahrhunderts prägen werden«. Zu diesem Kreis gehörten auch Bill Gates und Steve Jobs. »Verdammt noch mal«, sagte Doniger nun zu Gordon. »Muß ich denn alles selber machen? Wo wurde Traub gefunden?« »In der Wüste. Im Navajo-Reservat.« »Wo genau?«
»Soweit ich weiß, zwanzig Kilometer nördlich des Corazon. Anscheinend gibt's da draußen nicht viel.«
»Na gut«, entgegnete Doniger. »Dann sag Baretto vom Sicherheitsdienst, er soll Traubs Auto zum Corazon fahren und es in der Wüste abstellen. Er soll einen Reifen zerstechen und dann verduften.« Diane Kramer räusperte sich. Sie war dunkelhaarig, Anfang Dreißig und trug ein schwarzes Kostüm. »Ich weiß nicht so recht, Bob«, sagte sie in bestem anwaltlichem Tonfall. »Du manipulierst Beweise —« »Natürlich manipuliere ich Beweise! Darum geht's doch. Irgend jemand wird fragen, wie Traub überhaupt dahin gekommen ist. Also stellen wir sein Auto dort ab, damit man es findet.« »Aber wir wissen gar nicht genau, wo -« »Das ist auch nicht wichtig. Tu es einfach.« »Das bedeutet, daß Baretto und noch ein anderer von der Sache wissen ...«
»Und wen kümmert das? Niemanden. Tu es einfach, Diane.«
Ein kurzes Schweigen entstand. Kramer starrte stirnrunzelnd zu Boden.
Die Sache gefiel ihr absolut nicht.
»Schau«, sagte Doniger, an Gordon gewandt. »Weißt du noch, als damals Garman kurz davor war, diesen Vertrag zu kriegen und nicht meine alte Firma? Erinnerst du dich noch an das Gerücht, das wir in die Welt gesetzt haben?« »Nur zu gut.«
»Du hattest dir so den Kopf zerbrochen deswegen«, sagte Doniger mit einem Grinsen. »Garman war ein fettes Schwein. Dann verlor er viel Gewicht, weil seine Frau ihn auf Diät gesetzt hatte. Wir deuteten an, daß Garman inoperablen Krebs habe und seine Firma eingehen werde. Er dementierte natürlich, aber keiner glaubte ihm, weil er so schlecht aussah. Wir bekamen den Vertrag. Und ich schickte seiner Frau einen großen Korb mit Obst.« Er lachte. »Aber das Wichtigste war doch, daß niemand das Gerücht bis zu uns zurückverfolgen konnte. Alles ist erlaubt, Diane. Geschäft ist Geschäft. Also schaff das verdammte Auto in die Wüste.«
Sie nickte, starrte aber noch immer zu Boden.
»Und dann«, fuhr Doniger fort, »will ich wissen, wie zum Teufel Traub überhaupt in den Transitraum gekommen ist. Er hatte doch schon zu viele Reisen gemacht und dabei zu viele Transkriptionsfehler angesammelt. Sein Limit war überschritten. Er hätte keine weiteren Reisen mehr machen dürfen und hatte keine Transitfreigabe mehr. Da unten wimmelt es von Sicherheitsleuten. Also, wie ist er in den Transitraum gekommen?«
»Wir glauben, daß er eine Wartungsfreigabe hatte, damit er sich um die Maschinen kümmern konnte«, sagte Kramer. »Er wartete bis zum Schichtwechsel am Abend und nahm dann eine Maschine. Aber das prüfen wir alles genau nach.«
»Ich will nicht, daß du es nachprüfst«, erwiderte Doniger sarkastisch. »Ich will, daß du das Problem bereinigst, Diane.« »Wir bereinigen das, Bob.«
»Das solltet ihr auch, verdammt noch mal«, sagte Doniger. »Weil diese Firma jetzt drei schwerwiegende Probleme hat. Und Traub ist noch das geringste. Die beiden anderen sind bedeutender. Viel, viel bedeutender.«
Doniger hatte schon immer Weitblick bewiesen. 1984 hatte er TechGate verkauft, weil er voraussah, daß das Chipgeschäft »gegen die Wand fahren« würde. Damals klang das noch unsinnig. Computerchips verdoppelten alle achtzehn Monate ihre Leistungsfähigkeit, während die Kosten sich halbierten. Aber Doniger erkannte, daß man diese Fortschritte nur erreichte, indem man die Komponenten auf dem Chip immer enger zusammendrängte. Irgendwann würden die Schaltkreise so dicht beieinanderliegen, daß die Chips in der Hitze, die sie entwickelten, schmelzen würden. Das bedeutete eine Obergrenze für Computerleistung. Doniger wußte, daß die Gesellschaft immer mehr Rechnerleistung verlangen würde, aber er sah keine Möglichkeit, das zu erreichen.
Frustriert wandte er sich einem früheren Interessensgebiet zu, dem Magnetismus auf Basis der Supraleitung. Er gründete eine zweite Firma, Advanced Magnetics. Diese Firma besaß mehrere Patente, die wesentlich waren für das neue Magnetresonanz-Dar-stellungsverfahren, kurz MRI, für die Kernspintomograhen also, die zu der Zeit begannen, die Medizin zu revolutionieren. Advanced Magnetics erhielt eine Viertelmillion Dollar Tantiemen für jeden Kernspintomographen, der gebaut wurde. Es war »ein Goldesel«, sagte Doniger einmal, »und ungefähr so interessant, wie eine Eselin zu melken«. Gelangweilt und auf der Suche nach neuen Herausforderungen, hatte er die Firma 1988 verkauft. Er war damals acht-undzwanzig Jahre alt und eine Milliarde Dollar schwer. Aber seiner Ansicht nach mußte er eine Großtat erst noch vollbringen.
Im Jahr darauf, 1989, gründete er ITC.
Einer von Donigers Helden war der Physiker Richard Feynman. Anfang der achtziger Jahre hatte Feynman die Hypothese aufgestellt, daß es möglich sein könnte, einen Computer zu bauen, der sich der Quanteneigenschaften von Atomen bediente. Theoretisch wäre ein solcher Quantencomputer abermilliardenmal leistungsstärker als jeder existierende Computer. Aber Feynmans Idee implizierte eine völlig neue Technologie - eine Technologie, die quasi aus dem Nichts entwickelt werden mußte, eine Technologie, die alle Regeln über den Haufen warf". Weil niemand einen praktikablen Weg sah, wie ein solcher Quantencomputer gebaut werden könnte, war Feynmans Idee bald wieder in Vergessenheit geraten. Nur Doniger vergaß sie nicht.