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„Das Geld in deiner Hand ist keinen Pfifferling wert“, sagte der Fremde verächtlich.

„Aber ich habe es am Schalter bekommen“, rief Timm. „Ganz bestimmt.“

„Am Schalter, mein Junge, hast du gutes Geld bekommen. Aber die drei Manner im Garten haben es dir todsicher gegen falsches Geld umgetauscht. Ich kenne sie. Leider sah ich dich zu spät in ihrer Gesellschaft, Timm. Ehe ich dazukommen konnte, hatten sie sich aus dem Staube gemacht. Es sind Gauner.“

„Ausgeschlossen, mein Herr! Der eine ist Fachmann für Handtaschen... “

„Jawohl, Timm, ein Taschendieb!“

„Ein Taschendieb?“ fragte der Junge verwirrt. „Und was macht der Drucker, der Geld druckt?“

„Er druckt falsches Geld.“

„Und der dritte, der Büchermacher?“

„Ist ein sogenannter Buchmacher, aber einer, der unerlaubte Wetten veranstaltet.“

Timm wollte es nicht glauben, bis der karierte Herr seiner Brieftasche einen Geldschein entnahm und ihn mit einem von Timms Scheinen verglich. Tatsächlich fehlten bei den Banknoten des Jungen, wenn man sie gegen das Licht hielt, die Wasserzeichen.

„Siehst du nun, daß ich recht habe, Timm?“

Der Junge nickte benommen. Dann warf er plötzlich alle Geldscheine zu Boden und trampelte wütend darauf herum. Ein alter Herr,, der gerade vorbeiging, machte große Augen, blickte abwechselnd den Jungen, das Geld und den karierten Herrn an und rannte dann plötzlich davon, als sei der Teufel hinter ihm her.

Der Fremde sagte eine Weile gar nichts. Dann zog er fünf Mark aus der Tasche, gab sie dem verdutzten Timm und forderte ihn auf, am nächsten Sonntag damit wiederzukommen. Dann entfernte er sich rasch.

„Warum weitet er eigentlich nicht selber?“ dachte Timm. Aber dann vergaß er die Frage wieder, steckte das Geld ein und ging zu Fuß heim in die Gassenwohnung. Die falschen Scheine ließ er auf der Straße liegen.

Merkwürdigerweise prügelte ihn die Stiefmutter nicht, obwohl er sehr spät heimkam und obwohl es der Begräbnistag des Vaters war, an dem er sich davongestohlen hatte. Nur erhielt er kein Abendessen mehr und wurde fast wortlos ins Bett geschickt. Erwin durfte noch aufbleiben und bei den Begräbnisgästen sitzen, die Timm stumm und seltsam anstarrten.

Auf diesen absonderlichen Sonntag folgte eine lange, traurige Woche, in der Timm wieder wie sonst Prügel bekam und in der ihn der Lehrer noch öfter als üblich ermahnen mußte. Der Junge überlegte ständig, ob er am folgenden Sonntag wieder zur Rennbahn gehen solle oder nicht. Die fünf Mark hatte er Erwins wegen in einer Mauerritze des Nachbarhauses versteckt. Immer, wenn er daran vorbeiging, mußte er lachen, ob er wollte oder nicht. Der Gedanke, vielleicht noch einmal beim Wetten zu gewinnen, machte ihm Spaß.

Dritter Bogen. Gewinn und Verlust

Als der langersehnte Sonntag da war, wußte Timm schon in der Frühe, daß er am Nachmittag wieder zur Pferderennbahn gehen werde. Kaum schlug die Wanduhr im Wohnzimmer dreimal, als er sich aus der Wohnung stahl, die fünf Mark aus der Mauerritze fingerte und wie ein Besessener zur Pferderennbahn lief.

Am Eingang rannte er gegen einen Herrn an, der niemand anders als der karierte Fremde war.

„Hoppla“, sagte der Herr, „... .Du kannst es wohl nicht erwarten?“

„Ich bitte um Entschuldigung!“ pustete Timm.

„Macht nichts, Junge! Ich habe dich erwartet. Hier ist der Wettschein. Hast du die fünf Mark?“

Timm nickte und holte das Geldstück aus der Tasche.

„Schön, mein Junge! Dann geh zum Schalter und wette. Wenn du gewinnen solltest, erwarte mich nachher hier am Eingang. Ich möchte etwas mit dir besprechen.“

„In Ordnung, mein Herr! “

Timm wettete also wieder, und als das Rennen zu Ende war, hatte er genau wie am Sonntag zuvor eine Menge Geld gewonnen.

Aber diesmal verließ er den Schalter schnell wieder, ohne irgend jemandem seinen Gewinn zu zeigen. Er stopfte die Geldscheine in die Innentasche seiner Jacke, versuchte, ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu machen, und verließ die Rennbahn durch ein Loch im Zaun. Mit dem karierten Herrn wollte er nicht wieder Zusammentreffen. Der Mensch war ihm ein bißchen unheimlich geworden. Überdies hatte der Fremde ihm das Geld und den Wettschein ja geschenkt. Er war ihm also nichts schuldig.

Hinter der Rennbahn lag eine Wiese, auf der verstreut einige Eichen standen. Timm legte sich hinter dem Stamm der dicksten Eiche ins Gras und dachte darüber nach, was er mit seinem Reichtum beginnen könnte. Er wollte sich damit alle Leute zu Freunden machen, die Stiefmutter, den Stiefbruder, den Lehrer und die Schulfreunde. Und dem Vater wollte er einen Stein aus Marmor auf das Grab setzen lassen. Darauf sollte in Goldbuchstaben geschrieben stehen: „Von deinem Sohn Timm, der dich nie vergißt“.

Sollte dann immer noch Geld übrig sein, wollte Timm sich einen Tretroller kaufen, wie ihn der Sohn vom Bäcker hatte, mit einer Hupe und Luftreifen.

Der Junge fing mit offenen Augen zu träumen an, bis er darüber müde wurde und einschlief.

An den karierten Herrn hatte er nicht mehr gedacht. Wenn er ihn jetzt gesehen hätte, wäre er sicher verwundert gewesen; denn der merkwürdige Fremde unterhielt sich gerade mit den drei Männern, die den Jungen am Sonntag zuvor eingeladen und beschwindelt hatten.

Zu seinem Glück - oder besser: zu seinem Unglück - sah Timm ihn nicht. Er schlief.

Eine scharfe Stimme weckte ihn wieder auf. Es war die Stimme ebenjenes karierten Herrn. Er stand zu Timms Füßen auf der Wiese, sah den Jungen an und fragte nicht gerade freundlich: „Ausgeschlafen?“

Timm nickte, noch benommen von Schlaf, richtete sich auf und tastete vorsichtshalber die Tasche seines Jacketts von außen ab. Sie fühlte sich merkwürdig leer an. Schnell fuhr der Junge mit der Hand in die Tasche hinein und war plötzlich hellwach: Die Jackentasche war wirklich leer. Das Geld war verschwunden.

Der karierte Herr grinste.

„Ha - ha - haben Sie das Geld?“ stotterte Timm.

„Nein, du Schlafmütze! Das Geld hat einer der drei Gauner, mit denen du vorigen Sonntag gezecht hast. Er ist dir nachgeschlichen. Es scheint mein Schicksal zu sein, daß ich immer zu spät komme. Als er mich kommen sah, rannte er weg. Dadurch habe ich dich entdeckt.“

„Wohin ist er gelaufen? Wir müssen die Polizei holen!“

„Ich mag keine Blauröcke“, sagte der Fremde. „Sie sind mir nicht fein genug. Und der Gauner ist sowieso schon über alle Berge. Aber jetzt steh endlich auf, Junge! Und dann, marsch, nach Haus. Und komm nächsten Sonntag wieder!“

„Ich glaube, ich werde nicht wieder hierherkommen“, meinte Timm. „So oft hat man kein Glück. Ich weiß das von meinem Vater.“

„Man sagt, Glück und Pech kommen immer dreimal hintereinander, Timm! Und du wolltest dir doch sicherlich einige Sachen kaufen, stimmt’s?“

Timm nickte.

„Nun, das alles kannst du haben, wenn du nächste Woche wiederkommst und ein Geschäft mit mir machst!“

Der Unbekannte sah auf seine Uhr und schien es plötzlich sehr eilig zu haben. „Auf Wiedersehen am nächsten Sonntag“, sagte er. Dann ging er schnell davon.

Mit krausen Gedanken im Kopf wanderte Timm nach Haus, wo ihn eine Tracht Prügel und die Schadenfreude seines Stiefbruders erwarteten.

Und wieder schlich eine lange Woche durch die Gasse.

Aber in dieser Woche war Timm erstaunlich munter. Obwohl der karierte Herr ihm nicht geheuer schien, war er fest entschlossen, ein Geschäft mit ihm zu machen. Denn ein Geschäft, dachte der Junge, ist etwas Ordentliches und Gesetzliches. Da bekommt man keine Reichtümer für ein gefundenes Fünfmarkstück, sondern jeder gibt und nimmt etwas, und jedem steht sein Teil zu. Es ist vielleicht merkwürdig, daß ein junge im fünften Schuljahr so etwas denkt; aber in den engen armen Gassen, wo man sparen muß, um leben zu können, lernen schon die Kinder, Geld und Geschäfte wichtig zu nehmen.