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Kwakin, der damit gerechnet hatte, verprügelt zu werden, stand unschlüssig und mit gesenktem Kopf da.

„Du kannst gehen“, wiederholte Timur. „Hier ist der Schlüssel zur Kapelle. Hol deinen Freund Pjotr heraus.“

Doch Kwakin rührte sich nicht.

„Laß erst die andern heraus, oder sperre mich zu ihnen“, stieß er hervor.

„Nein.“ Timur lehnte ab. „Das geht nicht. Euer Spiel ist aus. Ihr werdet keine fremden Obstgärten mehr plündern. Ich werde dafür sorgen, daß die andern nicht mehr mitmachen.“

Als Kwakin einsehen mußte, daß Timur sich nicht erweichen ließ, schlich er, den Kopf in die Schultern gezogen, davon. Das Gejohle und Gepfeife und die höhnischen Zurufe des siegreichen Timur-Trupps begleiteten ihn.

Nachdem er sich etwa zehn Schritte entfernt hatte, blieb er stehen, drohte mit den geballten Fäusten und schrie: „Ich werde dich windelweich prügeln, Timur.

Mann gegen Mann. Totschlagen werde ich dich.“ Und er verschwand in der Dunkelheit.

Gleichgültig und ohne Kwakins Drohungen zu beachten, wandte sich Timur jetzt seinem Trupp zu.

„Ladygin“, rief er, „du und die fünf aus deiner Abteilung haben dienstfrei. Oder hattest du etwas vor?“

„Im Hof des Hauses Bolschaja Wassilkowskaja Nummer zweiundzwanzig müssen die Baumstämme beiseitegerollt werden.“

„Schön, dann macht euch an die Arbeit.“

Von der Eisenbahnstation her klang das Pfeifen einer Lokomotive. Der Vorortzug war eingelaufen. Timur hatte es plötzlich eilig.

„Simakow, was habt ihr vor, du und deine fünf?“

„Na, du weißt doch – Nummer achtunddreißig Malaja Petrakowskaja.“ Er lachte. „Das Übliche: Eimer nehmen – Wasser holen – Trog füllen – dalli dalli! Auf Wiedersehen.“

„Schön, dann geht an die Arbeit.“

Der Lärm aus der Schusterbude hallte über den ganzen Marktplatz. Offenbar wurde von innen gegen die Tür geschlagen. Vorübergehende, die vom Bahnhof kamen, wunderten sich, blieben stehen und lauschten. Das Klopfen wiederholte sich, drinnen wurde gerufen und geschrien. Hinter einigen Fenstern an den Nachbarhäusern wurde es hell. Im Lichtschein lasen die Menschen, die sich angesammelt hatten, an der Budentür folgende Ankündigung:

AN DIE VORÜBERGEHENDEN

Wenn Ihr drinnen Lärm hört, braucht Ihr kein Mitleid zu haben. In dieser Bude sitzen Halunken, die in der Nacht die Obstgärten friedlicher Einwohner plündern. Übrigens hängt der Türschlüssel hinter diesem Plakat. Wer aber einen unserer Gefangenen herausläßt, sollte lieber zuerst feststellen, ob nicht sein Sohn oder sein Neffe dabei ist.

Es war pechschwarze Nacht. Der am Tor angebrachte rote Stern mit dem schwarzen Trauerrand war nicht zu erkennen.

In dem Garten, der zu dem Haus gehörte, in dem Leutnant Pawlows kleine Tochter wohnte, waren leise Geräusche zu hören.

Eben ließ sich eine Gestalt von einem Baumstamm herabgleiten. An einem starken Ast waren Stricke befestigt worden, über die jetzt ein bereitliegendes Brett gelegt wurde. Dann setzte sich eine Gestalt auf das Brett, um auszuprobieren, ob die neue Schaukel auch fest sei.

Der Ast knarrte leise, die Blätter rauschten. Ein aufgeschreckter Vogel stieß einen Pfiff aus und flatterte ängstlich hin und her. Es war schon spät.

Olga schlief längst, auch Shenja schlief. Die Helden dieses Tages lagen in ihren Betten und schliefen: der lustige, immer zu Streichen aufgelegte Simakow, der schweigsame, zuverlässige Ladygin und der tolpatschige, gutherzige Kolja. Auch der tapfere Geika lag sicherlich längst im tiefen Schlaf, und die aufregenden Ereignisse des Tages verfolgten ihn in seinen Träumen.

Da schlug die Turmuhr: bim – bam… eins, zwei!… Ja, es war schon spät. Der Tag war vorüber, die Arbeit getan.

Behutsam tastete der Junge den Rasen ab, bis er einen großen Strauß Feldblumen, den er aus der Hand gelegt hatte, wiederfand. Shenja hatte ihn gepflückt.

Vorsichtig, auf Zehenspitzen, um die Schlafenden im Hause nicht zu wecken, stieg der Junge die vom Mond hell beleuchtete Treppe zur Veranda empor und legte den Strauß auf die oberste Stufe. Der Junge war Timur.

Zur Feier der Wiederkehr des Tages, an dem die Rote Armee bei Chassan einen gewaltigen Sieg errungen hatte, veranstaltete die Jugend ein großes Fest im Park.

Die Mädchen waren schon früh aufgestanden, um sich zu schmücken. Olga war dabei, sich eine frischgewaschene Bluse aufzuplätten. Nachdem das geschehen war, nahm sie Shenjas Kleider, schüttelte den Sarafan aus und legte ihn auf das Plättbrett; dabei fiel ein Zettel aus der Tasche. Sie hob ihn auf und las:

„Mädchen, du brauchst keine Angst zu haben. Alles ist in Ordnung, und ich verrate niemand etwas. Timur.“

Weshalb sollte Shenja keine Angst haben? Was war in Ordnung? Was sollte das heißen? Was für Geheimnisse hatte dieses verschlossene, immer zu Schelmenstreichen aufgelegte Mädchen? Olga bekam wieder ihr sorgenvolles Gesicht. Das mußte ein Ende haben. Vor seinem Weggehen hatte Papa ihr die kleine Schwester anvertraut… Was konnte sie nur unternehmen? Eines war sicher, sie mußte rasch und entschlossen eingreifen.

Während Olga noch in Gedanken versunken, das erkaltende Bügeleisen in der Hand, dastand, wurde ans Fenster geklopft. Sie stellte das Bügeleisen an seinen Platz, ging zum Fenster und spähte hinaus. Georgi stand draußen und winkte. Olga öffnete und wünschte ihm einen guten Morgen.

Doch er ließ sie kaum aussprechen: „Ach, Olga“, bat er, „Sie müssen mir helfen. Vorhin ist eine Abordnung zu mir gekommen, die mich gebeten hat, bei dem Fest zu singen. An einem Tage wie dem heutigen kann man so etwas schlecht abschlagen. Ich möchte Sie bitten, mich auf dem Akkordeon zu begleiten.“

Olga schien etwas verwirrt. „Ja… aber… Da wäre doch eine Klavierspielerin richtiger“, meinte sie schließlich. „Weshalb soll es denn gerade das Akkordeon sein?“

„Olga, so verstehen Sie mich doch. Ich will keine Klavierspielerin. Ich möchte von Ihnen begleitet werden. Sie spielen so gut. Das wird eine ausgezeichnete Sache. Lassen Sie doch das dumme Plätten und holen Sie ihr Akkordeon. Darf ich durchs Fenster hereinkommen?“ fragte er und hatte, ohne ihre Antwort abzuwarten, mit einem Satz das niedrige Hindernis überwunden. „So, und jetzt brauchen Sie nur zu spielen, und ich werde singen.“

Olga, deren Widerstand schon längst gebrochen war, erklärte nur noch vorwurfsvolclass="underline" „Was müssen Sie eigentlich durch das Fenster klettern, wenn eine Tür da ist?“

Im Park ging es laut und lustig zu. Ein Teil der Kurgäste kam im eigenen Auto angefahren. Lastwagen brachten Körbe mit belegten Broten, Getränken, Keks und Bonbons. Blaugestrichene Karren wurden von Speiseeisverkäuferinnen herangeschoben. Überall auf den Wiesen verstreut lagen Gruppen von Sommerfrischlern, die ihre Grammophone spielen ließen. Nun marschierte die Musik auf.

Am Eingang zum Festplatz stand ein alter Mann. Er zankte gerade mit einem Monteur, der in seiner Arbeitskleidung mitsamt seinen Schlüsseln, Schraubenziehern und Haken Einlaß begehrte.

„Mit dem Werkzeug kommt heute hier keiner durch. Es ist Feiertag. Geh mal erst nach Hause, wasch dich und ziehe dich festlich an.“

„Heute brauche ich keine Eintrittskarte. Hier ist doch alles kostenlos, Väterchen“, widersprach der Monteur, der nicht verstanden hatte, worum es ging.

„Das stimmt. Aber so kommst du nicht herein. Hättest ja noch einen Schraubstock mitbringen können“, fertigte ihn der Alte ab. „Und du, Bürger“, rief er dem nächsten Einlaßbegehrenden zu, „hier wird gesungen und nicht getrunken. Und bei dir guckt die Flasche aus der Tasche.“

„Ach, liebes Väterchen“, stotterte der Mann, „ich muß doch herein… Ich bin doch selber Tenor.“