Der Natternkopf stierte sie an - lauernd wie ein fetter Kater, der noch nicht wusste, wie er das Spiel mit der Maus, die er gefangen hatte, am vergnüglichsten gestalten sollte. »Ah!«, sagte er mit seiner schweren klebrigen Stimme. »Du redest vermutlich von dem Feuertänzer. Umgibt sich gern mit Wilderern und Wegelagerern. Was denkst du, wird er kommen und versuchen, dich zu retten? Dann könnte ich ihn endlich an das Feuer verfüttern, das ihm angeblich so gut gehorcht.«
»Mich muss niemand retten«, erwiderte Meggie. »Denn ich wäre auf jeden Fall zu dir gekommen. Auch wenn du mich nicht hättest herbringen lassen.«
Gelächter erhob sich zwischen den silbernen Säulen. Der Natternkopf aber lehnte sich über den Tisch und musterte sie mit unverhohlener Neugier.
»Ach was!«, sagte er. »Tatsächlich? Warum? Um mich anzuflehen, deinen Vater freizulassen? Er ist doch dein Vater, dieser Räuber, nicht wahr? Zumindest behauptet Mortola das. Sie sagt sogar, dass wir auch deine Mutter gefangen haben.«
Mortola! An die hatte Fenoglio nicht gedacht. Mit keinem Wort hatte er sie erwähnt, doch da saß sie, mit ihrem Elsterblick. Denk nicht dran, Meggie. Kalt! Sei kalt bis ins Herz, so wie damals, in der Nacht, als du den Schatten gerufen hast. Aber wo sollte sie nun die passende Antwort hernehmen? Improvisiere, Meggie, wie eine Schauspielerin, die ihren Text vergessen hat, dachte sie. Nun mach schon! Such dir eigene Worte und mische sie einfach unter die, die Fenoglio geschrieben hat, wie ein neues Gewürz.
»Die Elster hat Recht«, erwiderte sie dem Natternkopf. Und tatsächlich, ihre Stimme klang ruhig und fest, als klopfte ihr das Herz nicht in der Brust wie ein gehetztes kleines Tier. »Du hast meinen Vater gefangen, nachdem sie ihn fast getötet hat, und meine Mutter hältst du in deinem Kerker gefangen. Trotzdem bin ich nicht hier, um dich um Milde anzuflehen. Ich will dir einen Handel vorschlagen.«
»Nun hör sich einer die kleine Hexe an!« Bastas Stimme zitterte vor Hass. »Warum schneid ich sie nicht einfach in feine Scheiben und Ihr verfüttert sie an Eure Hunde?«
Aber der Natternkopf beachtete ihn nicht. Er wandte den Blick nicht von Meggies Gesicht, als suchte er darin nach dem, was sie nicht aussprach. Denk an Staubfinger, dachte sie.
Ihm sieht man auch nicht an, was er denkt oder fühlt. Versuch es! So schwer kann das doch nicht sein.
»Einen Handel?« Der Natternkopf griff nach der Hand seiner Frau, so beiläufig, als hätte er sie gerade neben seinem Teller gefunden. »Was willst du mir verkaufen, was ich mir nicht einfach nehmen kann?«
Seine Männer lachten. Und Meggie versuchte nicht zu beachten, dass ihre Finger taub vor Angst waren. Erneut waren es Fenoglios Worte, die ihr über die Lippen kamen. Worte, die sie vorgelesen hatte.
»Mein Vater«, fuhr sie mit mühsam beherrschter Stimme fort, »ist kein Räuber. Er ist ein Buchbinder und ein Zauberer. Er ist der Einzige, der den Tod nicht fürchtet. Hast du nicht seine Wunde gesehen? Haben die Bader dir nicht gesagt, dass die Verletzung ihn hätte töten müssen? Nichts kann ihn töten. Mortola hat es versucht, und ist er gestorben? Nein. Er hat Cosimo den Schönen zurückgeholt, obwohl die Weißen Frauen ihn schon dem Tod übergeben hatten, und wenn du ihn und meine Mutter freilässt, wirst du sie auch nicht mehr fürchten müssen, denn mein Vater - «, Meggie ließ sich Zeit mit den letzten Worten, »- kann dich unsterblich machen.«
Es wurde sehr still in dem großen Saal.
Bis Mortolas Stimme die Stille zerschnitt. »Sie lügt!«, rief sie. »Die kleine Hexe lügt! Glaubt ihr kein Wort. Es ist ihre Zunge, ihre verhexte Zunge. Sie ist ihre einzige Waffe. Ihr Vater kann sehr wohl sterben, o ja! Bringt ihn her, und ich beweise es Euch. Ich töte ihn selbst, vor Euren Augen, und diesmal mache ich es richtig!«
Nein! Meggies Herz begann zu rasen, als wollte es ihr aus der Brust springen. Was hatte sie angerichtet? Der Natternkopf starrte sie an, doch als er endlich sprach, schien es, als hätte er Mortolas Worte gar nicht gehört. »Wie?«, fragte er nur. »Wie sollte dein Vater zustande bringen, was du versprichst?« Er dachte schon jetzt an die nächste Nacht. Meggie sah es in seinen Augen. Er dachte an die Angst, die auf ihn wartete: noch größer als in der vergangenen Nacht, noch unerbittlicher.
Meggie beugte sich über den gedeckten Tisch. Sie sprach die Worte, als würde sie sie erneut vorlesen: »Mein Vater wird dir ein Buch binden!«, sagte sie so leise, dass außer dem Natternkopf höchstens seine puppenzarte Frau sie hören konnte. »Er wird es dir mit meiner Hilfe binden, ein Buch aus fünfhundert unbeschriebenen Blättern. Er wird es in Holz und Leder kleiden, mit Messingschließen versehen, und du wirst deinen Namen eigenhändig auf die erste Seite schreiben. Zum Dank aber wirst du ihn ziehen lassen, sobald er dir das Buch übergeben hat, und mit ihm alle, deren Leben er von dir fordert, und du wirst das Buch an einem Ort verbergen, den nur du kennst, denn wisse: Solange es dieses Buch gibt, wirst du unsterblich sein. Nichts wird dich töten können, keine Krankheit, keine Waffe - solange das Buch unbeschädigt bleibt.«
»Tatsächlich!« Der Natternkopf starrte sie an mit seinen blutunterlaufenen Augen. Sein Atem roch süß, wie nach zu schwerem Wein. »Und wenn es jemand verbrennt oder zerreißt? Papier ist keineswegs so haltbar wie Silber.«
»Du musst eben gut darauf aufpassen«, antwortete Meggie leise - und töten wird es dich trotzdem, setzte sie in Gedanken hinzu. Es war ihr, als hörte sie ihre eigene Stimme Fenoglios Worte noch einmal lesen (wie gut sie auf der Zunge geschmeckt hatten!): Doch eins verriet das Mädchen dem Natternkopf nicht: dass das Buch ihn nicht nur unsterblich machen, sondern auch töten konnte, nur dadurch, dass jemand drei Wörter auf seine weißen Seiten schrieb: Herz, Blut, Tod.
»Was flüstert sie da?« Mortola war aufgestanden, sie stützte die knochigen Fäuste auf den Tisch. »Hört nicht auf sie!«, fuhr sie den Natternkopf an. »Sie ist eine Hexe und eine Lügnerin! Wie oft noch soll ich Euch das sagen? Tötet sie, sie und ihren Vater, bevor sie Euch töten! Wahrscheinlich hat der Alte ihr all die Worte geschrieben, der Alte, von dem ich Euch erzählt habe!«
Zum ersten Mal wandte der Natternkopf sich zu ihr um, und für einen Augenblick fürchtete Meggie, er würde Mortola vielleicht doch glauben. Doch dann sah sie den Zorn in seinem Gesicht. »Sei still!«, fuhr er die Elster an. »Vielleicht hat Capricorn auf dich gehört, aber der ist fort, ebenso wie der Schatten, der ihn mächtig machte, und du bist an diesem Hof nur geduldet, weil du mir einige Dienste erwiesen hast! Aber ich will nichts mehr hören von deinem Gefasel über Zauberzungen und alte Männer, die Buchstaben zum Leben erwecken. Kein Wort mehr, oder ich stecke dich dorthin, wo du einst hergekommen bist - in die Küche zu den Mägden.«
Mortola wurde so weiß, als hätte sie kein Blut mehr in den Adern.
»Ich habe Euch gewarnt!«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Vergesst das nicht!« Dann setzte sie sich mit versteinertem Gesicht wieder an ihren Platz. Basta warf ihr einen beunruhigten Blick zu, doch Mortola beachtete ihn nicht. Sie starrte nur Meggie an, so hasserfüllt, dass es ihr vorkam, als brenne ihr der Blick ein Loch ins Gesicht.
Der Natternkopf aber spießte mit seinem Messer einen der winzigen gebratenen Vögel auf, die vor ihm auf einer Silberplatte lagen, und schob ihn sich genüsslich zwischen die Lippen. Offenbar hatte ihm der Streit mit Mortola Appetit gemacht. »Habe ich dich richtig verstanden? Du würdest deinem Vater bei der Arbeit helfen?«, fragte er, während er einem Diener, der hastig hinzutrat, die feinen Knochen in die Hand spuckte. »Heißt das, er hat einer Tochter seine Kunst beigebracht, so wie ein Meister es gewöhnlich mit seinen Söhnen tut? Du weißt sicherlich, dass das in meinem Reich verboten ist, oder?«