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»Ja.« Er umschloss ihre Finger erneut mit seiner Hand. »Wir scheinen uns neuerdings nur noch in Kerkern zu treffen! Wie lange braucht dein Mann, um ein Buch zu binden?«

»Ein Buch?«

Wieder hörte er Schritte, aber diesmal verklangen sie rascher.

»Ja. Es ist eine verrückte Geschichte, aber da Fenoglio sie geschrieben und deine Tochter sie gelesen hat, wird sie wohl wahr werden.«

Sie streckte die Hand durchs Gitter, bis sie mit den Fingern auf sein Gesicht stieß. »Du bist wirklich unsichtbar! Wie machst du das?« Neugierig wie ein kleines Mädchen klang sie. Sie war auf alles neugierig, was sie nicht kannte. Er hatte das immer an ihr geliebt.

»Nur ein alter Feentrick!« Ihre Finger strichen ihm über die narbige Wange. Warum kannst du ihr nicht helfen, Staubfinger? Sie wird noch verrückt werden hier unten! Was, wenn er einen der Wächter niederschlug? Aber da war noch die Treppe, die endlose Treppe, und danach die Burg, der weite Hof und die kahle Hügelkuppe - kein Ort, sich zu verstecken, kein Baum, sie zu verbergen. Nur Steine und Soldaten.

»Was ist mit deiner Frau?« Ihre Stimme klang wirklich schön. »Hast du sie wiedergefunden?«

»Ja.«

»Was hast du ihr erzählt?«

»Worüber?«

»Über die Zeit, die du fort warst.«

»Nichts.«

»Ich habe Mo alles erzählt.«

Ja, vermutlich hatte sie das. »Nun, Zauberzunge weiß, wovon du redest, aber Roxane hätte mir wohl kaum geglaubt, oder?«

»Nein, vermutlich nicht.« Für einen Moment senkte sie den Kopf, als erinnerte sie sich, erinnerte sich an die Zeit, von der er nicht erzählen konnte. »Der Prinz hat mir gesagt, dass du auch eine Tochter hast«, flüsterte sie. »Warum hast du mir nie von ihr erzählt?«

Der Zweifinger und die Frau mit dem verweinten Gesicht starrten weiter zu ihnen herüber. Hoffentlich glaubten sie inzwischen, dass sie sich die Feuerbuchstaben eingebildet hatten. An der Wand war nur noch eine feine Rußspur zu sehen, und dass Menschen anfangen, mit der Luft zu reden, kam in Kerkern schließlich häufig vor.

»Ich hatte zwei Töchter.« Staubfinger fuhr zusammen, als irgendwo jemand aufschrie. »Die ältere ist so alt wie Meggie, aber sie ist nicht gut auf mich zu sprechen. Sie will hören, wo ich die zehn Jahre war. Vielleicht weißt du eine schöne Geschichte, die ich ihr erzählen kann?«

»Was ist mit der zweiten?«

»Sie ist tot.«

Resa schwieg und drückte seine Hand. »Das tut mir Leid.«

»Ja. Mir auch.« Er drehte sich um. Einer der Aufseher stand vor dem Eingang des Ganges, rief einem anderen etwas zu und schlurfte dann mit mürrischem Gesicht weiter.

»Drei, vielleicht vier Wochen!«, flüsterte Resa. »So lang würde Mo brauchen, je nachdem, wie dick das Buch ist.«

»Gut, das ist doch gar nicht so schlimm.« Er schob die Hand durch das Gitter und strich ihr übers Haar. »Ein paar Wochen sind nichts gegen all die Jahre in Capricorns Haus, Resa! Denk daran, jedes Mal, wenn du glaubst, deinen Kopf gegen das Gitter schlagen zu müssen. Versprich’s mir.«

Sie nickte. »Sag Meggie, es geht mir gut!«, flüsterte sie. »Und sag es Mo, ja? Du wirst doch auch mit ihm sprechen, oder?«

»Sicher!«, log Staubfinger. Was schadete es schon, es ihr zu versprechen? Was konnte er sonst tun, um ihr zu helfen? Die andere Frau begann wieder zu schluchzen. Ihr Weinen hallte von den schimmligen Wänden wider, lauter und lauter.

»Verdammt noch mal. Still da!«

Staubfinger drückte sich eng an die Wand, als der Aufseher auf die Tür zukam. Er war ein fetter Kerl, ein Klotz von einem Mann, und Staubfinger hielt den Atem an, als er direkt neben ihm stehen blieb. Für einen abscheulichen Augenblick starrte der Zweifinger so genau in seine Richtung, als könnte er ihn sehen, doch dann schweiften seine Augen weiter, suchten die Dunkelheit ab, vielleicht nach einem feurigen Buchstaben an der Wand.

»Hör auf zu heulen!« Resa versuchte die Frau zu beruhigen, als der Aufseher mit dem Stock gegen das Gitter schlug. Staubfinger fand kaum noch einen Winkel, um sich hineinzupressen. Die weinende Frau presste das Gesicht in Resas Rock, und der Aufseher drehte sich mit einem Grunzen um und stapfte wieder davon. Staubfinger wartete, bis seine Schritte verklangen, bevor er erneut an das Gitter trat. Resa kniete neben der Frau, die immer noch das Gesicht in ihr Kleid presste, und sprach leise auf sie ein.

»Resa!«, flüsterte er. »Ich muss fort. Haben sie heute Nacht einen alten Mann hier heruntergebracht? Einen Bader, Schleierkauz nennt er sich.«

Noch einmal trat sie an das Gitter. »Nein«, flüsterte sie, »aber die Aufseher haben über einen verhafteten Bader geredet, der jeden Kranken auf der Burg behandeln muss, bevor sie ihn zu uns sperren.«

»Das wird er sein. Grüß ihn von mir.« Es fiel ihm schwer, sie so allein zu lassen in der Dunkelheit. Er hätte sie gern aus ihrem Käfig befreit, so wie er es mit den Feen auf den Märkten tat, aber Resa würde nicht davonfliegen können.

Am Fuß der Treppe spotteten zwei Aufseher über den Henker, dem der Brandfuchs zu gern seine Arbeit abnahm. Staubfinger schlüpfte geschwind wie eine Eidechse an ihnen vorbei, aber trotzdem drehte der eine sich mit verwirrtem Gesicht zu ihm um. Vielleicht war ihm der Geruch von Feuer in die Nase gezogen, den Staubfinger trug wie einen zweiten Mantel.

Im Turm der Nachtburg

Du kamst niemals so heraus, wie du hineingegangen warst.

Francis Spufford, The Child That Books Built

Mo schlief, als sie Meggie zu ihm brachten. Nur das Fieber ließ ihn schlafen, es betäubte die Gedanken, die ihn wach hielten, Stunde um Stunde, Tag für Tag, während er seinem eigenen Herzschlag lauschte in der zugigen Zelle, in die sie ihn gesperrt hatten, hoch oben in einem der Silbertürme. Durch die vergitterten Fenster schien noch der Mond, als die nahenden Schritte ihn aufschreckten.

»Aufwachen, Eichelhäher! « Der Schein einer Fackel fiel in die Zelle und der Brandfuchs stieß eine schmale Gestalt durch die Tür.

Resa? Was für eine Art Traum war das? Zur Abwechslung ein guter?

Aber es war nicht seine Frau, die sie gebracht hatten. Es war seine Tochter. Mo richtete sich mühsam auf. Er schmeckte Meggies Tränen auf seinem Gesicht, als sie ihn so heftig umarmte, dass er vor Schmerz den Atem einzog. Meggie. Sie hatten sie also auch gefangen.

»Mo? Sag doch was!« Sie griff nach seiner Hand, sah ihm besorgt ins Gesicht. »Wie geht es dir?«, flüsterte sie.

»Nun sieh einer an!«, höhnte der Brandfuchs. »Der Eichelhäher hat tatsächlich eine Tochter. Bestimmt wird sie dir gleich erzählen, dass sie freiwillig hier ist, so wie sie es schon dem Natternkopf weismachen wollte. Einen Handel hat sie mit ihm abgeschlossen, einen Handel, der deinen Hals retten soll.

Du hättest die Märchen hören sollen, die sie erzählt hat. An die Spielleute kannst du sie verkaufen mit der Engelszunge.«

Mo fragte nicht einmal, wovon er sprach. Er zog Meggie an sich, sobald die Wache hinter dem Brandfuchs die Tür verriegelte, küsste ihr Haar, ihre Stirn, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, von dem er so sicher gewesen war, dass er es in dem Stall im Wald zum letzten Mal gesehen hatte. »Meggie, um Gottes willen«, sagte er, während er den Rücken gegen die kalte Mauer lehnte, weil er immer noch kaum stehen konnte. Er war so froh, dass sie da war. So froh und so verzweifelt zugleich. »Wie haben sie dich gefangen?«

»Das macht gar nichts. Es wird alles gut, glaub mir!« Sie strich über sein Hemd, dort, wo immer noch das trockene Blut klebte. »In dem Stall sahst du so krank aus. ich dachte, ich seh dich nie wieder.«

»Das hab ich schon gedacht, als ich den Brief auf deinem Kissen fand.« Er strich ihr die Tränen von den Wimpern, wie er es so oft schon getan hatte, so viele Jahre lang. Wie groß sie war, kaum noch ein Kind, obwohl er das Kind immer noch deutlich sah. »Himmel, es tut so gut, dich zu sehen, Meggie. Ich weiß, das sollte ich nicht sagen. Ein guter Vater würde sagen: Liebste Tochter, musst du dich jedes Mal einsperren lassen, wenn ich es tue?«