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Fenoglio wollte protestieren, aber der Schwarze Prinz hatte sich schon seinen Männern zugewandt. »Sucht weiter nach Verwundeten!«, befahl er. »Beeilt euch! Es wird Zeit, dass wir von der Straße herunterkommen.«

Knapp zwei Dutzend Überlebende fanden sie. Zwei Dutzend zwischen Hunderten von Toten. Als die Räuber sich mit den Verwundeten wieder auf den Weg machten, stolperte Fenoglio ihnen schweigend nach, ohne zu fragen, wohin es ging. »Der Alte folgt uns!«, hörte er Staubfinger zu dem Prinzen sagen. »Wo soll er sonst hin?«, erwiderte der Prinz nur - und Staubfinger schwieg. Doch er hielt sich fern von Fenoglio. Als wäre er der Tod selbst.

Unbeschriebenes Papier

Wir machen die Sachen, die nimmer vergehen, Aus Tüchern die Bücher, die immer bestehen, Wir schicken zu drükken den Drukkern von Hier, Die geben das Leben dem toten Papier.

Michael Kongehl, Gedicht über die Weiße Kunst

Als Mortola sich Mos Zelle aufschließen ließ, erzählte Meggie ihm gerade vom Fest des Speckfürsten, vom Schwarzen Prinzen und Farids Fackelspielen. Mo legte schützend den Arm um sie, als draußen die Riegel zurückgeschoben wurden und Mortola in die Zelle trat, flankiert von Basta und dem Pfeifer. Das Licht der hereinfallenden Sonne ließ Bastas Gesicht aussehen wie gekochtes Hummerfleisch.

»Sieh an, welch eine Idylle! Tochter und Vater wiedervereint«, höhnte Mortola. »Wahrhaft rührend!«

»Beeilt Euch!«, raunte ihr der Wächter durch die Tür zu. »Wenn der Natternkopf erfährt, dass ich Euch zu ihm gelassen habe, stehe ich drei Tage am Pranger!«

»Nun, wenn das passiert, so habe ich gut dafür bezahlt, oder?«, erwiderte Mortola nur, während Basta mit bösem Lächeln auf Mo zutrat.

»Na, Zauberzunge«, schnurrte er, »hab ich dir nicht gesagt, dass ihr uns alle noch in die Falle geht?«

»Du siehst eher so aus, als wärst du Staubfinger in die Falle gegangen«, erwiderte Mo und schob Meggie rasch hinter sich, als Basta zur Antwort sein Messer aufschnappen ließ.

»Basta! Lass das!«, fuhr Mortola ihn an. »Wir haben keine Zeit für deine Spiele.«

Meggie trat hinter Mos Rücken hervor, als Mortola auf sie zukam. Sie wollte ihr zeigen, dass sie keine Angst vor ihr hatte (auch wenn das natürlich nur eine tapfere Lüge war).

»Das waren interessante Worte, die du da unter deinen Kleidern versteckt hattest«, raunte Mortola ihr zu. »Den Natternkopf interessierte speziell der Teil, in dem von drei ganz besonderen Wörtern die Rede ist. Oh, seht nur, wie blass sie um ihre hübsche Nase wird! Ja, der Natternkopf weiß von deinen Plänen, Täubchen, und dass Mortola doch nicht so dumm ist, wie er dachte. Das Buch, das du ihm versprochen hast, will er leider trotzdem immer noch haben. Der Narr glaubt tatsächlich, dass ihr zwei seinen Tod in ein Buch sperren könnt.« Die Elster rümpfte die Nase über so viel fürstliche Dummheit und trat noch dichter an Meggie heran. »Ja, er ist ein leichtgläubiger Dummkopf, wie alle Fürsten!«, flüsterte sie Meggie zu. »Wir beide wissen das, nicht wahr? Denn die Worte, die du bei dir trugst, erzählen auch, dass Cosimo der Schöne diese Burg erobern und den Natternkopf töten wird - mit Hilfe des Buches, das dein Vater für ihn binden soll. Wie aber soll das gehen? Cosimo ist tot, und diesmal endgültig. Ja, da siehst du mich erschrocken an, du Hexe, nicht wahr?« Grob kniffen ihre knochigen Finger in Meggies Wangen.

Mo wollte ihre Hand zurückstoßen, aber Basta hielt ihm das Messer entgegen.

»Deine Zunge hat ihre Zauberkraft verloren, Schätzchen!«, raunte die Elster. »Die Worte sind nichts als Worte geblieben. Das Buch, das dein Vater dem Natternkopf binden soll, wird nur ein leeres Buch sein - und wenn der Silberfürst das endlich begriffen hat, wird euch zwei nichts mehr vor dem Henker retten. Und Mortola hat endlich ihre Rache.«

»Lass sie in Ruhe, Mortola!« Mo griff nach Meggies Hand, trotz Bastas Messer. Meggie schloss ihre Finger ganz fest um die seinen, während in ihrem Kopf die Gedanken übereinander stolperten. Cosimo war tot? Zum zweiten Mal? Was bedeutete das? Gar nichts, dachte sie. Gar nichts, Meggie. Weil du die Worte, die ihn schützen sollten, nie vorgelesen hast!

Mortola schien ihre Erleichterung zu bemerken, die Augen der Elster wurden schmal wie ihre Lippen. »Ach, sieh an, das beunruhigt dich nicht? Denkst du, ich lüge dich an? Oder glaubst du etwa selbst an dieses Unsterblichkeits-Buch? Weißt du was?« Die Elster bohrte Meggie die mageren Finger in die Schulter. »Es ist ein Buch und du und dein Vater, ihr erinnert euch doch sicherlich daran, was mein Sohn mit Büchern zu tun pflegte! Capricorn wäre nie so dumm gewesen, sein Leben einem Buch anzuvertrauen, auch wenn du ihm dafür die Unsterblichkeit versprochen hättest! Außerdem, die drei Wörter, die man angeblich nicht hineinschreiben darf. die kenne ich ja nun auch.«

»Was heißt das, Mortola?«, fragte Mo leise. »Träumst du etwa davon, Basta auf den Thron des Natternkopfes zu setzen? Oder gar dich selbst?«

Die Elster warf einen raschen Blick auf den Wächter vor der Zellentür, doch er kehrte ihnen den Rücken zu und sie wandte sich mit ausdruckslosem Gesicht erneut Mo zu. »Was auch immer ich vorhabe, Zauberzunge«, zischte sie ihm zu, »du wirst es nicht mehr erleben. Für dich ist diese Geschichte zu Ende. Warum ist er nicht in Ketten?«, fuhr sie den Pfeifer an. »Noch ist er ein Gefangener, oder? Fessle ihm wenigstens die Hände für den Weg.«

Meggie wollte protestieren, aber Mo warf ihr einen warnenden Blick zu.

»Glaub mir, Zauberzunge!«, raunte Mortola, während der Pfeifer ihm unsanft die Hände auf den Rücken band. »Selbst wenn der Natternkopf dich freilässt, nachdem du ihm sein Buch gemacht hast - du wirst nicht weit kommen. Und auf Mortolas Worte ist mehr Verlass als auf die Worte eines Dichters. Bringt die beiden in die Alte Kammer!«, befahl sie, während sie wieder auf die Tür zuging. »Aber bewacht sie gut, während sie das Buch binden.«

Die Alte Kammer lag im abgelegensten Teil der Nachtburg, weit entfernt von den Sälen, in denen der Natternkopf Hof hielt. Verstaubt und verlassen waren die Korridore, durch die Basta und der Pfeifer sie führten. Kein Silber zierte Säulen oder Türen, kein Glas verschloss die zugigen Fensterhöhlen.

Die Kammer, deren Tür der Pfeifer schließlich mit einer spöttischen Verbeugung vor Mo öffnete, schien schon seit langem nicht mehr bewohnt. Den blassroten Stoff, mit dem das Bett verhängt war, hatten die Motten zerfressen. Die Blumensträuße, die in Krügen in den Fensternischen standen, waren längst vertrocknet. Staub hing in den verblassten Blüten und bedeckte schmutzig weiß die Truhen, die unter den Fenstern standen. Mitten im Raum war ein Tisch aufgebaut, eine lange Holzplatte, auf Böcke gelegt. Dahinter stand ein Mann, blass wie Papier, mit weißem Haar und Tintenflecken an den Fingern. Meggie streifte er nur mit einem Blick, doch Mo musterte er so eingehend, als hätte ihn jemand gebeten, ein Gutachten über ihn auszustellen.

»Das ist er?«, fragte er den Pfeifer. »Der Mann sieht aus, als hätte er nie in seinem Leben ein Buch in der Hand gehabt, ganz zu schweigen davon, dass er auch nur die Spur einer Ahnung hat, wie man sie bindet.«

Meggie sah, wie sich ein Lächeln auf Mos Gesicht stahl. Ohne ein Wort trat er auf den Tisch zu und musterte die Werkzeuge, die darauf lagen.

»Mein Name ist Taddeo. Ich bin der Bibliothekar hier«, fuhr der Fremde mit gereizter Stimme fort. »Ich nehme an, dass dir nicht einer dieser Gegenstände etwas sagt, aber ich kann dir versichern, dass allein das Papier, das du dort siehst, mehr wert ist als dein armseliges Räuberleben. Allerfeinste Schöpfarbeit von der besten Papiermühle in tausend Meilen Umkreis, genug, um mehr als zwei Bücher mit fünfhundert Blättern zu binden. Wobei natürlich ein echter Buchbinder Pergament jedem noch so guten Papier vorziehen würde.«