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Meggie musste ein Lächeln unterdrücken, aber Mo tat, als hätte der Bibliothekar ihm die selbstverständlichste Frage der Welt gestellt. »Sicher«, sagte er.

Taddeo nickte und warf einen Blick zur Tür, vor der eine der Wachen mit mürrischer Miene auf und ab ging. »Mortola darf nichts davon erfahren, deshalb werde ich wiederkommen, wenn es dunkel ist«, raunte er Mo zu. »Zum Glück geht sie früh schlafen. Es gibt wunderbare Bücher auf dieser Burg, aber leider niemanden, der sie zu schätzen weiß. Früher war das anders, aber früher ist vergessen und vergangen. Ich habe gehört, dass es auf der Burg des Speckfürsten inzwischen auch nicht viel besser steht, aber dort ist wenigstens Balbulus. Wir waren damals alle sehr erbost, als der Natternkopf seiner Tochter als Mitgift ausgerechnet den besten unserer Buchmaler mitgab! Seither ist es mir nicht erlaubt, mehr als zwei Schreiber zu beschäftigen und einen mehr als mäßigen Illuminator. Die einzigen Abschriften, die ich in Auftrag geben darf, sind Manuskripte, die sich mit den Ahnen des Natternkopfes beschäftigen, dem Abbau und der Verarbeitung von Silber oder der Kunst der Kriegsführung. Im letzten Jahr, als das Holz wieder einmal knapp war, hat der Brandfuchs sogar mit einigen meiner schönsten Bücher den kleinen Festsaal geheizt.« In Taddeos trübe Augen traten Tränen.

»Bringt mir die Bücher, wann Ihr wollt«, sagte Mo.

Der alte Bibliothekar fuhr sich mit dem Saum seines dunkelblauen Kittels über die Augen. »Ja!«, stammelte er. »Ja, das werde ich. Ich danke Euch.«

Dann war er fort. Und Mo setzte sich mit einem Seufzer in den Lehnstuhl, den er ihm gebracht hatte. »Gut«, seufzte er. »Dann machen wir uns mal an die Arbeit. Ein Buch, das den Tod fern hält, was für eine Idee. Nur schade, dass es für diesen Schlächter sein soll. Du wirst mir helfen müssen, Meggie, beim Falzen und Heften, beim Pressen.«

Sie nickte nur. Natürlich würde sie ihm helfen. Es gab nicht viele Dinge, die sie lieber tat.

Es fühlte sich so vertraut an, Mo wieder bei der Arbeit zu sehen - wie er das Papier zurechtlegte, es falzte, zuschnitt und heftete. Er arbeitete langsamer als sonst, und immer wieder wanderte seine Hand an die Brust, dorthin, wo Mortola ihn verwundet hatte. Aber Meggie spürte, dass es ihm gut tat, die gewohnten Handgriffe zu tun, auch wenn einiges Werkzeug anders beschaffen war, als er es gewohnt war. Die Handbewegungen waren dieselben, seit Hunderten von Jahren, in dieser wie in der anderen Welt.

Schon nach wenigen Stunden bekam die Alte Kammer etwas seltsam Vertrautes, wie eine Zuflucht und nicht nur ein weiteres Gefängnis. Als es draußen dämmerte, brachte der Bibliothekar ihnen mit einem Diener ein paar Öllampen. Das warme Licht gab dem staubigen Raum fast den Anschein, als sei er schon seit langem wieder mit Leben erfüllt.

»Es ist lange her, dass in dieser Kammer Lampen entzündet wurden!«, sagte Taddeo, während er Mo eine zweite auf den Tisch stellte.

»Wer hat in dieser Kammer zuletzt gewohnt?«, fragte Mo.

»Unsere erste Fürstin«, antwortete Taddeo. »Ihre Tochter hat den Sohn des Speckfürsten geheiratet. Ich frage mich, ob Violante schon weiß, dass Cosimo zum zweiten Mal gestorben ist.« Mit traurigem Gesicht blickte er zum Fenster. Ein feuchter Wind strich herein, und Mo beschwerte das Papier mit einem Stück Holz. »Violante kam mit einem Geburtsmal zur Welt, das ihr Gesicht entstellte«, fuhr der Bibliothekar fort, mit so abwesender Stimme, als erzählte er nicht ihnen, sondern einem fernen Zuhörer die Geschichte. »Alle sagten, es sei eine Strafe, ein Fluch der Feen, weil ihre Mutter sich in einen Spielmann verliebt hätte. Der Natternkopf ließ sie gleich nach der Geburt in diesen Teil der Burg verbannen, und sie lebte hier zusammen mit dem Kind, bis sie starb. sehr plötzlich starb.«

»Das ist eine traurige Geschichte«, sagte Mo.

»Glaubt mir, würde man all die traurigen Geschichten, die diese Mauern gesehen haben, in Bücher schreiben«, erwiderte Taddeo bitter, »dann könnte man jeden Raum dieser Burg mit ihnen füllen.«

Meggie blickte sich um, als könnte sie die Bücher sehen, all die traurigen Bücher. »Wie alt war Violante, als sie mit Cosimo verlobt und nach Ombra geschickt wurde?«, fragte sie.

»Sieben. Die Töchter unserer derzeitigen Fürstin waren sogar erst sechs, als man sie verlobte und fortschickte. Wir hoffen alle, dass sie diesmal einen Sohn bekommt!« Taddeo ließ den Blick über das Papier schweifen, das Mo zugeschnitten hatte, das Werkzeug. »Es ist schön, wieder Leben in dieser Kammer zu sehen!«, sagte er leise. »Ich komme mit den Büchern zurück, sobald ich sicher sein kann, dass Mortola schläft.«

»Sechs Jahre alt, sieben Jahre, mein Gott, Meggie«, sagte Mo, als er fort war. »Du bist schon dreizehn, und ich habe dich immer noch nicht weggeschickt, geschweige denn verlobt.«

Es tat gut, zu lachen. Auch wenn es seltsam widerhallte in dem hohen Raum.

Taddeo kam erst nach Stunden zurück. Mo arbeitete immer noch, obwohl er sich immer häufiger an die Brust griff und Meggie ihn schon ein paar Mal hatte überreden wollen, sich endlich schlafen zu legen. »Schlafen?«, sagte er nur. »Ich hab noch nicht eine Nacht richtig geschlafen in dieser Burg. Außerdem will ich deine Mutter wiedersehen, und das werde ich erst, wenn ich dieses Buch fertig habe.«

Der Bibliothekar brachte ihm zwei Bücher. »Seht Euch das an!«, flüsterte er, als er Mo das erste hinschob. »Diese Fraßstellen am Einband! Und immer sieht es fast so aus, als roste die Tinte. Das Pergament wird löchrig. Manche Worte kann man kaum noch lesen! Was kann das sein? Würmer? Käfer? Ich habe mich nie um so etwas gekümmert. Ich hatte einen Helfer, der sich mit all diesen Bücherkrankheiten auskannte, doch eines Morgens war er verschwunden, man sagt, er sei zu den Räubern in den Wald gegangen.«

Mo nahm das erste Buch in die Hand, schlug es auf und strich über die Seiten. »Himmel!«, sagte er. »Wer hat das gemalt? Ich habe noch nie so schöne Illuminationen gesehen.«

»Balbulus«, antwortete Taddeo. »Der Illuminator, der mit Violante fortgeschickt wurde. Er war noch sehr jung, als er dies gemalt hat. Seht her, seine Schrift ist noch etwas unfertig, aber inzwischen ist seine Meisterschaft ohne Makel.«

»Woher wisst Ihr das?«, fragte Meggie.

Der Bibliothekar senkte die Stimme. »Violante lässt mir ab und zu ein Buch schicken. Sie weiß, wie sehr ich Balbulus’ Kunst bewundere und dass es auf der Nachtburg außer mir niemanden mehr gibt, der Bücher liebt. Nicht, seit ihre Mutter tot ist. Seht Ihr die Truhen dort?« Er wies auf die schweren staubigen Holzkisten neben der Tür und unter den Fenstern. »Darin verbarg Violantes Mutter ihre Bücher. Sie versteckte sie zwischen ihren Kleidern. Nur abends holte sie sie hervor und zeigte sie der Kleinen, obwohl die damals vermutlich kaum ein Wort von dem verstand, was ihre Mutter ihr vorlas. Doch dann, kurz nachdem Capricorn verschwunden war, kam Mortola her, weil der Natternkopf sie gebeten hatte, die Mägde in der Küche auszubilden, worin, darüber sprach keiner. Violantes Mutter bat mich daraufhin, ihre Bücher in der Bibliothek zu verstecken, denn Mortola ließ mindestens einmal am Tag ihre Kammer durchsuchen, wonach, erfuhr sie nie. Dieses - «, er zeigte auf das Buch, in dem Mo immer noch blätterte, »- war eins ihrer Lieblingsbücher. Die Kleine zeigte auf ein Bild, und ihre Mutter erzählte ihr eine Geschichte dazu. Ich wollte es Violante mitgeben, als sie sie fortschickten, aber sie ließ es in dieser Kammer zurück. Vielleicht weil sie keine Erinnerung an diesen traurigen Ort mit in ihr neues Leben nehmen wollte. Ich würde es trotzdem gern retten, als Andenken an ihre Mutter. Wisst Ihr, ich glaube, dass ein Buch immer etwas von seinen Besitzern zwischen seinen Seiten bewahrt.«

»O ja, das glaube ich auch«, sagte Mo. »Ganz sicher ist das so.«

»Und?« Der alte Mann sah ihn hoffnungsvoll an. »Wisst Ihr, wie ich es vor weiterem Schaden bewahren kann?«